Kaffee mit einem Mörder
Mordfall Schöllbauer. Sie ließ den Täter herein und setzte sichmit ihm an den Küchentisch. Wenig später war die 42-Jährige tot. Auch nach 20 Jahren ist unklar, wer dieser Unbekanntewar. Eine Spurensuche des KURIER führt nun zu zwei neuen Zeugen, die den M
Vor 20 Jahren wurde Gerlinde S. getötet - eine Spurensuche.
Am Ende der Romanogasse steht auf einem kleinen düsteren Platz ein alter Gemeindebau. Rund ein Dutzend hoher Bäume werfen weite Schatten, schirmen das Sonnenlicht ab. Selbst wenn die ersten Lichter aus den Hauseingängen am frühen Abend das diffuse Areal etwas aufhellen, verlieren sich in diesem Teil von Wien-Brigittenau nur ein paar Menschen auf die Straße. Am Haus mit der Nummer 29 – in dem die 42-jährige Gerlinde Schöllbauer vor 20 Jahren „gemördert“wurde, wie es eine Nachbarin ausdrückt, – wurden nach der Tat weiße Gitterstäbe eingebracht. Bis heute vermuten die Hausbewohner, dass ein großer Unbekannter durch das Fenster in die Wohnung eingestiegen ist.
„So etwas tutweh“
Der große Unbekannte? Daran will Chefinspektor Ewald Schneider nicht glauben. Für den KURIER hat er die staubigen Akten aus dem Keller geholt. Sie beinhalten die Geschichte eines Mordes, der bis heute ungeklärt ist. „So etwas tut jedem Mordkieberer weh“, seufzt Schneider. Er
mittelt wird in dem mysteriösen Fall bis heute, erst kürzlich wurden wieder DNA-Proben analysiert. Schneider ist sich sicher: Gerlinde Schöllbauer kannte ihren Mörder.
Es war der 20. März 1999. Der damals 19-jährige Christoph Schöllbauer kehrte nach einer Partynacht mit Freunden in die Wohnung zurück. Es war eine lange Nacht, bis 6 Uhr früh hatte er gefeiert. Er öffnete die Tür zur 55 Quadratmeter-Wohnung im Hochparterre – und sah überall im Vorzimmer Blutspuren; die Anzeichen eines heftigen Kampfes. Ein paar Schritte weiter, im Wohn-Schlafzimmer, lag der übel zugerichtete Körper seiner Mutter. Sie lehnte mit dem Kopf voran am Bett. So hatte der Täter ihren Körper drapiert, nachdem er sie geschlagen, gewürgt und schließlich mit einem Kabel stranguliert hatte. Der Sohn wählte sofort den Notruf.
„Am Parkplatz war die Cobra und alles, die Kriminalpolizei. Und da ist gesagt worden, dass sie ermordet worden ist in derWohnung“, erinnert sich die Hausmeisterin Christa Beranek.
Das Mysteriöse daran: Seit Jahren schon war Schöllbauer ohne Lebenspartner. Den Job hatte sie verloren. Zuletzt lebte sie von der Sozialhilfe. Mit ihrer Familie war sie zerstritten. Ihre Kindheit war keine gute. Sie wuchs am Wiener Stadtrand, in Stammersdorf, mit ihren Eltern und drei Brüdern auf. Der Vater, ein Gendarm, war wenig zu Hause. Schöllbauers Mutter, so heißt es, hatte psychische Probleme. Auch Gerlinde Schöllbauer war „psychisch ein bisserl labil“, wie es die Hausbesorgerin Christa Beranek ausdrückt.
„Eine schöne Frau“
Einzig zu ihrem Bruder Günther pflegte sie hin und wieder Kontakt. Über ihn lernte Schöllbauer auch Rosa Glavas kennen. Sie war eine der wenigen Vertrauten der Frau: „Gerlinde war eine schöne Frau. Groß, schlank. Wie ein Model“, sagt sie und zeigt ein Foto. „Da komme ich, dann der Willi, der ältere Bruder. Und das hier …“, Glavas deutet auf die junge Frau rechts „… das ist die Gerlinde.“
Sehr ruhig sei Schöllbauer gewesen, sehr zurückgezogen habe sie gelebt. „Sie hat ja ihre Arbeit verloren. Sie hat ganz sparsam gelebt.“Urlaube waren nicht möglich.
Lokalbesuche oder Restaurants konnte sie sich nicht leisten. „Sie hat immer selbst gekocht.“In ihrer kleinen Eigentumswohnung, so erinnert sich Glavas, habe sie alles selbst erledigt.
Dass die Freundin ermordet worden ist, hat sie damals aus der Zeitung erfahren. „Es war Sonntagfrüh. Ihr Bruder ist zu mir gekommen und hat mir das gezeigt. Er hat gesagt: „Schau, die Gerlinde ist tot.“
Die Hoffnung lebt
Glavas: „Sie hat das nicht verdient. Dass das Leben in so jungen Jahren endet.“Obwohl die Tat 20 Jahre her ist – der Wunsch, dass der Mordfall geklärt wird, ist groß. „Ichwäre so froh.“
Wer die damals 42-Jährige ermordet haben könnte, ist ihr ein Rätsel. Nie habe ihre Freundin von einer Männerbekanntschaft berichtet. „Aber vielleicht hat sie doch jemanden kennengelernt. Oder jemand hat sie verfolgt.“
„Ich hab nur einmal gehört, dass sie Herrenbesuche gehabt hat“, sagt Beranek, die gegenüber wohnt. „Aber ich selber weiß das nicht. Ich hab das auch nicht gesehen. Ich bin da so eine untypische Hausbesorgerin, mich interessiert das gar nicht, was die Leute damachen.“
„Ich war sicher damals im Haus und ich weiß nur, es muss jemand durchs Fenster eingestiegen sein“, erinnert sich die Hausbewohnerin Christina Merkos, eine Lehrerin. „Ich habe oft mit ihr geplaudert, aber sie war nicht so ganz bei sich – immer. Sie war ein bisschen esoterisch unterwegs. Sie sagte immer, sie geht zu einem Brunnen. Ich habe sie am Abend öfter ausgehen gesehen. Es muss jemand gewesen sein, den sie gekannt hat. Männer habe ich in ihrer Gesellschaft eigentlich nie gesehen. In der Nähe bei einem Spielplatz in der Pappenheimgasse – da ist eine Prostituierte im Park gemördert worden. Der Fall ist auch nicht gelöst, bis heute.“
Die Kriminalpolizisten sind der Meinung, dass Schöllbauer ihren Mörder gekannt haben muss. Denn: Das Opfer hatte bereits den Pyjama an. Kurz zuvor hatte sich die Frau noch eine Abendzeitung geholt. Diese blätterte sie an ihrem kleinen Küchentisch durch, zündete sich einige Zigaretten an und trank Kaffee. Dann, am späten Samstagabend, davon ist Ermittler Schneider überzeugt, ließ sie ihren Mörder selbst in die Wohnung. An der Eingangstür fanden sich keine Einbruchsspuren. Gemeinsam mit dem Unbekannten saß Schöllbauer einige Zeit am Küchentisch. „Es muss dort zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen sein“, sagt Schneider.
BlutspuramVorhang
Und dann wurde der Unbekannte handgreiflich. Das schließt Schneider aus dem verrutschten Tischtuch und einer kleinen Blutspur am Vorhang. Es war die einzige, die sich in der kleinen Küche befand. „Sie hat ihn wahrscheinlich aufgefordert, die Wohnung zu verlassen“, glaubt der Polizist.
Wenige Schritte weiter im Vorzimmer eskalierte die Situation. „Der Täter hat aus der Küche ein Elektrokabel mitgenommen und versucht, das Opfer mit dem Kabel zu fesseln“, beschreibt der Mordermittler. Doch Schöllbauerwehrte sich, wollte aus der Wohnung flüchten – Blutspuren an der Wohnungstür bezeugen ihren verzweifelten Kampf. Der Täter schlug zu. Unzählige Male, vor allem ins Gesicht. Er versuchte, sie zu fixieren, würgte sie.
Als Gerlinde Schöllbauer vermutlich kurz vor Mitternacht leblos zusammensackte, packte der Mörder den Körper der Frau und schleifte ihn ein paar Schritte ins Wohn-Schlafzimmer. Dort ließ er Schöllbauer ans Bett angelehnt liegen. „Das war keine geplante Tat“, meint Mordermittler Schneider.
Er geht auch davon aus, dass der Mörder anschließend noch rund zwei Stunden in der Wohnung verbrachte. Er durchwühlte alle Zimmer, verwischte Spuren und nahm eine Lederjacke und Hardrock-CDs des Sohnes mit.
150 Personen wurden mittlerweile überprüft, die DNA mit Spuren auf einem Handtuch verglichen. Der KURIER fand aber zwei Zeugen, die den Tätermöglicherweise gesehen haben: Eine Nachbarin, die anonym bleiben will, glaubt, dass sie und ihr Mann den Mörder trafen: „Mein Mann war Taxifahrer früher und der ist um zwei Uhr in der Früh heim. Und da ist jemand aus dem Haus gegangen. Der hat nur einen weißen Pullover angehabt, für die Jahreszeit eher ungewöhnlich. Er hat sich gedacht, das ist aber komisch. DieWohnungstür von ihr (Schöllbauer, Anm.) war aber zu.“Der Täter sei so rund 180 Zentimeter groß gewesen.
Sie selbst meint, dass sie später mit diesem Mann noch eine Begegnung hatte: „Ich habe ihn gesehen, dort bei der Bibliothek.“Hinweise an das Landeskriminalamt Wien (Journaldienst) unter ✆ (01) 313 10-33 800