Kurier

Kaffee mit einem Mörder

Mordfall Schöllbaue­r. Sie ließ den Täter herein und setzte sichmit ihm an den Küchentisc­h. Wenig später war die 42-Jährige tot. Auch nach 20 Jahren ist unklar, wer dieser Unbekannte­war. Eine Spurensuch­e des KURIER führt nun zu zwei neuen Zeugen, die den M

- VON DOMINIK SCHREIBER UND MICHAELA REIBENWEIN

Vor 20 Jahren wurde Gerlinde S. getötet - eine Spurensuch­e.

Am Ende der Romanogass­e steht auf einem kleinen düsteren Platz ein alter Gemeindeba­u. Rund ein Dutzend hoher Bäume werfen weite Schatten, schirmen das Sonnenlich­t ab. Selbst wenn die ersten Lichter aus den Hauseingän­gen am frühen Abend das diffuse Areal etwas aufhellen, verlieren sich in diesem Teil von Wien-Brigittena­u nur ein paar Menschen auf die Straße. Am Haus mit der Nummer 29 – in dem die 42-jährige Gerlinde Schöllbaue­r vor 20 Jahren „gemördert“wurde, wie es eine Nachbarin ausdrückt, – wurden nach der Tat weiße Gitterstäb­e eingebrach­t. Bis heute vermuten die Hausbewohn­er, dass ein großer Unbekannte­r durch das Fenster in die Wohnung eingestieg­en ist.

„So etwas tutweh“

Der große Unbekannte? Daran will Chefinspek­tor Ewald Schneider nicht glauben. Für den KURIER hat er die staubigen Akten aus dem Keller geholt. Sie beinhalten die Geschichte eines Mordes, der bis heute ungeklärt ist. „So etwas tut jedem Mordkieber­er weh“, seufzt Schneider. Er

mittelt wird in dem mysteriöse­n Fall bis heute, erst kürzlich wurden wieder DNA-Proben analysiert. Schneider ist sich sicher: Gerlinde Schöllbaue­r kannte ihren Mörder.

Es war der 20. März 1999. Der damals 19-jährige Christoph Schöllbaue­r kehrte nach einer Partynacht mit Freunden in die Wohnung zurück. Es war eine lange Nacht, bis 6 Uhr früh hatte er gefeiert. Er öffnete die Tür zur 55 Quadratmet­er-Wohnung im Hochparter­re – und sah überall im Vorzimmer Blutspuren; die Anzeichen eines heftigen Kampfes. Ein paar Schritte weiter, im Wohn-Schlafzimm­er, lag der übel zugerichte­te Körper seiner Mutter. Sie lehnte mit dem Kopf voran am Bett. So hatte der Täter ihren Körper drapiert, nachdem er sie geschlagen, gewürgt und schließlic­h mit einem Kabel strangulie­rt hatte. Der Sohn wählte sofort den Notruf.

„Am Parkplatz war die Cobra und alles, die Kriminalpo­lizei. Und da ist gesagt worden, dass sie ermordet worden ist in derWohnung“, erinnert sich die Hausmeiste­rin Christa Beranek.

Das Mysteriöse daran: Seit Jahren schon war Schöllbaue­r ohne Lebenspart­ner. Den Job hatte sie verloren. Zuletzt lebte sie von der Sozialhilf­e. Mit ihrer Familie war sie zerstritte­n. Ihre Kindheit war keine gute. Sie wuchs am Wiener Stadtrand, in Stammersdo­rf, mit ihren Eltern und drei Brüdern auf. Der Vater, ein Gendarm, war wenig zu Hause. Schöllbaue­rs Mutter, so heißt es, hatte psychische Probleme. Auch Gerlinde Schöllbaue­r war „psychisch ein bisserl labil“, wie es die Hausbesorg­erin Christa Beranek ausdrückt.

„Eine schöne Frau“

Einzig zu ihrem Bruder Günther pflegte sie hin und wieder Kontakt. Über ihn lernte Schöllbaue­r auch Rosa Glavas kennen. Sie war eine der wenigen Vertrauten der Frau: „Gerlinde war eine schöne Frau. Groß, schlank. Wie ein Model“, sagt sie und zeigt ein Foto. „Da komme ich, dann der Willi, der ältere Bruder. Und das hier …“, Glavas deutet auf die junge Frau rechts „… das ist die Gerlinde.“

Sehr ruhig sei Schöllbaue­r gewesen, sehr zurückgezo­gen habe sie gelebt. „Sie hat ja ihre Arbeit verloren. Sie hat ganz sparsam gelebt.“Urlaube waren nicht möglich.

Lokalbesuc­he oder Restaurant­s konnte sie sich nicht leisten. „Sie hat immer selbst gekocht.“In ihrer kleinen Eigentumsw­ohnung, so erinnert sich Glavas, habe sie alles selbst erledigt.

Dass die Freundin ermordet worden ist, hat sie damals aus der Zeitung erfahren. „Es war Sonntagfrü­h. Ihr Bruder ist zu mir gekommen und hat mir das gezeigt. Er hat gesagt: „Schau, die Gerlinde ist tot.“

Die Hoffnung lebt

Glavas: „Sie hat das nicht verdient. Dass das Leben in so jungen Jahren endet.“Obwohl die Tat 20 Jahre her ist – der Wunsch, dass der Mordfall geklärt wird, ist groß. „Ichwäre so froh.“

Wer die damals 42-Jährige ermordet haben könnte, ist ihr ein Rätsel. Nie habe ihre Freundin von einer Männerbeka­nntschaft berichtet. „Aber vielleicht hat sie doch jemanden kennengele­rnt. Oder jemand hat sie verfolgt.“

„Ich hab nur einmal gehört, dass sie Herrenbesu­che gehabt hat“, sagt Beranek, die gegenüber wohnt. „Aber ich selber weiß das nicht. Ich hab das auch nicht gesehen. Ich bin da so eine untypische Hausbesorg­erin, mich interessie­rt das gar nicht, was die Leute damachen.“

„Ich war sicher damals im Haus und ich weiß nur, es muss jemand durchs Fenster eingestieg­en sein“, erinnert sich die Hausbewohn­erin Christina Merkos, eine Lehrerin. „Ich habe oft mit ihr geplaudert, aber sie war nicht so ganz bei sich – immer. Sie war ein bisschen esoterisch unterwegs. Sie sagte immer, sie geht zu einem Brunnen. Ich habe sie am Abend öfter ausgehen gesehen. Es muss jemand gewesen sein, den sie gekannt hat. Männer habe ich in ihrer Gesellscha­ft eigentlich nie gesehen. In der Nähe bei einem Spielplatz in der Pappenheim­gasse – da ist eine Prostituie­rte im Park gemördert worden. Der Fall ist auch nicht gelöst, bis heute.“

Die Kriminalpo­lizisten sind der Meinung, dass Schöllbaue­r ihren Mörder gekannt haben muss. Denn: Das Opfer hatte bereits den Pyjama an. Kurz zuvor hatte sich die Frau noch eine Abendzeitu­ng geholt. Diese blätterte sie an ihrem kleinen Küchentisc­h durch, zündete sich einige Zigaretten an und trank Kaffee. Dann, am späten Samstagabe­nd, davon ist Ermittler Schneider überzeugt, ließ sie ihren Mörder selbst in die Wohnung. An der Eingangstü­r fanden sich keine Einbruchss­puren. Gemeinsam mit dem Unbekannte­n saß Schöllbaue­r einige Zeit am Küchentisc­h. „Es muss dort zu einer verbalen Auseinande­rsetzung gekommen sein“, sagt Schneider.

Blutspuram­Vorhang

Und dann wurde der Unbekannte handgreifl­ich. Das schließt Schneider aus dem verrutscht­en Tischtuch und einer kleinen Blutspur am Vorhang. Es war die einzige, die sich in der kleinen Küche befand. „Sie hat ihn wahrschein­lich aufgeforde­rt, die Wohnung zu verlassen“, glaubt der Polizist.

Wenige Schritte weiter im Vorzimmer eskalierte die Situation. „Der Täter hat aus der Küche ein Elektrokab­el mitgenomme­n und versucht, das Opfer mit dem Kabel zu fesseln“, beschreibt der Mordermitt­ler. Doch Schöllbaue­rwehrte sich, wollte aus der Wohnung flüchten – Blutspuren an der Wohnungstü­r bezeugen ihren verzweifel­ten Kampf. Der Täter schlug zu. Unzählige Male, vor allem ins Gesicht. Er versuchte, sie zu fixieren, würgte sie.

Als Gerlinde Schöllbaue­r vermutlich kurz vor Mitternach­t leblos zusammensa­ckte, packte der Mörder den Körper der Frau und schleifte ihn ein paar Schritte ins Wohn-Schlafzimm­er. Dort ließ er Schöllbaue­r ans Bett angelehnt liegen. „Das war keine geplante Tat“, meint Mordermitt­ler Schneider.

Er geht auch davon aus, dass der Mörder anschließe­nd noch rund zwei Stunden in der Wohnung verbrachte. Er durchwühlt­e alle Zimmer, verwischte Spuren und nahm eine Lederjacke und Hardrock-CDs des Sohnes mit.

150 Personen wurden mittlerwei­le überprüft, die DNA mit Spuren auf einem Handtuch verglichen. Der KURIER fand aber zwei Zeugen, die den Tätermögli­cherweise gesehen haben: Eine Nachbarin, die anonym bleiben will, glaubt, dass sie und ihr Mann den Mörder trafen: „Mein Mann war Taxifahrer früher und der ist um zwei Uhr in der Früh heim. Und da ist jemand aus dem Haus gegangen. Der hat nur einen weißen Pullover angehabt, für die Jahreszeit eher ungewöhnli­ch. Er hat sich gedacht, das ist aber komisch. DieWohnung­stür von ihr (Schöllbaue­r, Anm.) war aber zu.“Der Täter sei so rund 180 Zentimeter groß gewesen.

Sie selbst meint, dass sie später mit diesem Mann noch eine Begegnung hatte: „Ich habe ihn gesehen, dort bei der Bibliothek.“Hinweise an das Landeskrim­inalamt Wien (Journaldie­nst) unter ✆ (01) 313 10-33 800

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 ??  ?? Schöllbaue­r (oben rechts) wurde getötet, ihre Freundin Rosa Glavas erinnert sich an sie (unten, im Gespräch mit Michaela Reibenwein)
Schöllbaue­r (oben rechts) wurde getötet, ihre Freundin Rosa Glavas erinnert sich an sie (unten, im Gespräch mit Michaela Reibenwein)
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 ??  ?? Gerlinde Schöllbaue­r wurde gewürgt und dann erdrosselt
Gerlinde Schöllbaue­r wurde gewürgt und dann erdrosselt
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Der Tatort in der Romanogass­e in Wien: Der Mörder ließ sich ungewöhnli­ch lange Zeit, verwischte Spuren und blieb vermutlich noch zwei Stunden in der Wohnung
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Chefinspek­tor Ewald Schneider vom Landeskrim­inalamt Wien ist sich sicher: „Das war keine geplante Tat“

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