Kurier

Eine Wien-Wien-Situation

Urlaub daheim. FreieTage zuHause verbringen, ist angesagt. Warumsich das Image vonBalkoni­en gewandelt hat

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STEFANIE RACHBAUER

Um auf eine Insel zu kommen, muss Christian Böhm weder in den Flieger steigen noch mit einem Boot fahren. Sondern acht Minuten gehen. Von seinerWohn­ung in Kaisermühl­en ins Gänsehäufe­l – das bekannte Strandbad auf einer Sandinsel in der Alten Donau. Den Weg über die Brücke wird er in den nächsten dreiWochen mit Frau Susanne und Sohn Emil oft zurücklege­n. Denn die Böhms machen Urlaub. In Wien. „Wenn es hier 35 Grad hat, muss ich nicht nach Spanien“, sagt Christian.

Urlaub auf „Balkonien“– so hätte man das zumindest bis vor einigen Jahren genannt. Und die Familie schief beäugt. Denn Verreisen galt lange als das, was den freien Tagen erst Sinn verlieh. Heute heißt Urlaub daheim Staycation oder Holistay (Kombinatio­n aus „stay“für „bleiben“und „vacation“bzw. „holiday“für „Urlaub“).

Mit dem schicken Namen kam ein neues Image: Das Zuhauseble­iben ist nun en vogue. Das hat inzwischen auch die Stadt Wien erkannt: Mit Wortschöpf­ungen wie „Havannasch­markt“(Kreation aus der kubanische­n Hauptstadt Havanna und Naschmarkt) bewirbt sie heuer exzessiv den „Urlaub vor derHaustür­e“.

Statussymb­ol

„Staycation rückt immer mehr in den Fokus“, sagt Florian Aubke, Leiter des Bereichs Tourismus an der Fachhochsc­hule Wien. „Aber ein neues Phänomen ist es nicht.“Doch woher rührt dann die Aufmerksam­keit? Aubke: „Die Gründe, nicht wegzufahre­n, haben sich gewandelt.“

Wer früher daheim blieb, tat das meist unfreiwill­ig: Reisen war lange der wohlhabend­en Bürgerlich­en vorbehalte­n. Die Arbeitersc­hicht verbrachte die freien Tage daheim – bis in die 80er.

Ab dann machten die Liberalisi­erung des Flugmarkts und der Boom von Pauschalur­lauben Reisen auch für weniger gut Betuchte erschwingl­ich. Undwichtig. „Reisen wurde zum Statussymb­ol. Nicht nur musste das eigene Auto größer sein als das des Nachbarn. Sondern auch der Urlaub toller“, sagt Aubke.

Doch das hat sich geändert. Menschen definieren sich weniger über Konsum, Reisen eigne sich nicht mehr zur Abgrenzung: „Überspitzt gesagt: Wenn auch die Putzfrau nach Mallorca fliegt, kann man sich mit einem Urlaub nicht mehr abheben“. Das heißt: Wer besonders sein will, bleibt daheim.

Dazu kommt, dass Nebenwirku­ngen des Reisens wie Overtouris­m („Übertouris­mus“) und Umweltschä­den (Stichwort Flugscham) aktuell kontrovers diskutiert­werden. Auch das fördert Urlaub zu Hause.

Hoteliers reagieren bereits darauf: mit Sonderange­boten für die neue Zielgruppe der Daheimblei­ber. Denn Staycation muss nicht nur Baden mit dem Aufblas-Flamingo und Pommes vom Selbstbedi­enungsbuff­et heißen. Das FünfStern-Hotel Palais Hansen Kempinski am Schottenri­ng etwa bietet im heurigen Sommer erstmals ein „Wien für Wiener“-Paket an. Mit Wiener Hauptwohns­itz nächtigt man für 140 Euro (inklusive Dinner und Frühstück).

Marketing-Gag „Staycation ist ein Trend, der immer mehr in Wien ankommt“, sagt Kempinski-Manager FlorianWil­le. Wie viele Gäste das Paket gebucht haben, verrät er nicht. Karl Wöber, Professor für Tourismusw­irtschaft an der Modul University, sieht solche Aktionen als Marketingi­nstrument: „Hier steht im Vordergrun­d, Aufmerksam­keit zu erregen.“

Und welchen Hintergeda­nken verfolgt die Stadt damit, den Urlaub zu Hause anpreisen? „Früher haben Städte wie Wien nur in den Quellmärkt­en geworben“, sagt Aubke. „Diese Strategie hat ausgedient.“Damit Tourismus akzeptiert werde, müsse man auch die Einheimisc­hen ansprechen und einbeziehe­n.

Davon abgesehen bringt Urlaub amWohnort der Stadt konkreten Nutzen: Er fördert die lokale Wirtschaft. Und schont die Umwelt. Der große Nachteil: Die Fremde kennenzule­rnen – was Reisen so reizvoll macht – fälltweg.

Tourismusf­orscher Wöber glaubt, dass wir uns daran vielleicht ohnehin gewöhnen müssen. Etwa, wenn die Rufe nach einer höheren Besteuerun­g von Flügen gehört werden. Dann wären Menschen gezwungen, „Erholung im Nahbereich zu suchen“– wie es die Böhms schon tun.

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 ??  ?? Wie im Urlaub fühlt man sich im Krapfenwal­dlbad (o.) und am Donaukanal (re.). Emil, Christian, und Susanne Böhm bevorzugen mit Opa Hans (li.) das Gänsehäufe­l
Wie im Urlaub fühlt man sich im Krapfenwal­dlbad (o.) und am Donaukanal (re.). Emil, Christian, und Susanne Böhm bevorzugen mit Opa Hans (li.) das Gänsehäufe­l
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