„Das Leben lehrt uns eine neue Form von Demut“
Juliette Binoche. „Humor hilft“
Claire nimmt die Identität einer anderen Frau an. Im Grunde agiert sie wie eine Schauspielerin, oder?
Das stimmt, als Schauspielerin schlüpftman in andere Identitäten. Aber ich selbst versuche immer, eine Erfahrung, die ich selbst gemacht habe, mit einer Rolle zu verbinden. Denn die Erfahrung des Lebens vermittelt sich über den Körper. Das ist ja auch das Problem, das Claire mit dem jungen Lover auf Facebook hat: Sie fühlen zwar ihre Zuneigung, aber sie erleben sie nicht körperlich.
In einer Szene geht der junge Mann direkt an Claire vorbei, übersieht sie aber, weil er nach einer Jüngeren Ausschau hält. Man sagt ja, dass Frauen ab einem „gewissen Alter“für Männer unsichtbar werden. Ist die Begegnung ein Kommentar dazu?
Ja, auf jeden Fall. So funktioniert eben unsere Gesellschaft. Ich habe das Gefühl, das Leben lehrt uns ab einem gewissen Punkt eine neue Form von Demut: Man muss eine große Menge des eigenen Egos abbauen. So läuft es eben (lacht ein wenig beklommen). Wenn man 50 wird, ist das ein Schritt in diese Richtung. Dann kommt 60, dann 70... Die Ego-Schalen werden immer weniger, wie bei einer Zwiebel. Das ist notwendig, um am Ende friedlich aus dem Leben scheiden zu können. Es ist ein schmerzvoller Prozess, weil wir uns von vielen Dingen einfach nicht verabschieden wollen. Als junger Mensch fühlt man sich stark, voller Lebenslust und eigener Wichtigkeit, doch mit zunehmendem Alter nimmt das ab. Das ist unfair, aber man muss es akzeptieren. Humor hilft dabei.
Gibt es etwas, das man mit dem Älterwerden gewinnt?
Tja. Man bekommt mehr Humor. Und man erlangt eine bestimmte Freiheit, weil sich das Wertesystem ändert. Man nimmt die Dinge weniger in ihren Oberflächen wahr, sondern mehr von innen. Man wird toleranter. Es ist einfach eine Reise, die man mit dem Älterwerden antritt. Das wissen wir alle.
Können Sie sich an Rollen erinnern, die Sie auch nach dem Dreh beschäftigen und beeinflussen?
Manchmal, wenn ich eine neue Rolle einstudiere, die mich an frühere erinnert, dann vergleiche ich bei der Vorbereitung die beiden Figuren bewusst miteinander. Ich arbeite dann für mich die Unterschiede heraus. Denn ich hasse es, mich zu wiederholen. Das ist etwas, das ich wirklich nicht ausstehen kann. Viele Leute fragen mich beispielsweise oft danach, wie es für michwar, die Rolle der trauernden Witwe und Mutter in „Drei Farben: Blau“(von Krzysztof Kieslowski, 1993, Anm.) zu spielen. Wenn ich daran zurückdenke, dann kann ich mich an den Gefühlszustand erinnern, in dem ich mich damals befand. Aber das ist auch schon alles. Ich möchte nicht an Dingen festhalten, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Ich lebe sehr in der Gegenwart. Und ich veränderemich. Binoche in ihrem neuen Film „So wie du mich willst“