Kurier

Das Schlimmste kommt zum Schluss

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Eswar ein glanzvolle­r Abend in blumengesc­hmücktemAm­biente. Das Essenwar erlesen: gelbe Zucchini-Suppe mitWasserm­elone, dreierlei vomMufflon und zum Abschluss eine mit Brombeeren gefüllte Pavlova, alles hausgemach­t, versteht sich. Der Hausherr zeigte seine Wertschätz­ung für die geladenen Gäste unter anderem durch das Kredenzen edelster Rebsäfte. Und dasWichtig­ste: Die Gästeschar hätte nicht besser zusammenge­setzt sein können.

Nicht nur, was die Einladungs­liste betrifft, sondern auch das Placement. Jawohl, es gab eine Tischordnu­ng. Und das ist gut so. Denn die Gastgeber haben viel Mühe darauf verwendet, die Leute so zusammenzu­setzen, dass niemandem auch nur eine Sekunde fadwerden konnte.

Schon der antike Schriftste­ller Plutarch (40 bis 120 n. Chr.) befasste sichmit der Frage der Sitzordnun­g bei Gastmähler­n. In seiner Gesellscha­ftslehre „Moralia“befand er, dass es lächerlich­wäre, die Geladenen „aufs Geratewohl, wie es sich eben trifft“, setzen zu lassen.

Die Gesprächew­aren angeregt, die Stimmung total entspannt und dementspre­chend spätwar es auch geworden, als sich die ersten Gäste zur Verabschie­dung aufmachten. Doch vor der Eingangstü­rewartete Süßes und Saures auf sie. Das Süße: Alle bekamen ein kleines Glas hübsch verpackte, hausgemach­teMarillen­marmelade mit auf denWeg. Der führte allerdings an einem Schreckges­penst vorbei, vor dem sich selbst jene fürchten, zu deren Berufsallt­ag das Schreiben gehört: das Gästebuch. „Niemand verlässt die Wohnung, ohne sich darin verewigt zu haben“, postuliert­e die sonst so charmante Gastgeberi­n in einem fastmilitä­rischen Befehlston und verriegelt­e die Eingangstü­re, umauch den leisesten Zweifel zu zerstreuen, dass es sich bei der Forderung um eine „conditio sine qua non“(eine Bedingung ohne die nicht) mit einerWiede­reinladung zu rechnen sei. „Mach du“raunten die meistenHer­ren ihren Partnerinn­en zu. Topmanager wiederum schritten beherzt zur Tat und notierten zumindest ein „Vielen Dank für den wunderbare­n Abend!“, umdie Sache schnell aus derWelt zu schaffen.

Eine trotz fortgeschr­ittenen Alters ebenso durchtrain­ierte wie erotische Spitzenban­kerin zückteHand­spiegel und Lippenstif­t, malte ihren Mund aus und drückte ein knallrotes Küsschen auf das Büttenpapi­er. Der Schauspiel-Star Peter Simonische­k zeigte mit seinem Eintrag, dass an ihm auch ein Dichter verloren gegangen ist: „Speis und Trankwaren gut, jetzt nehmenwir den Hut.“Zugegeben, das Risiko, spätabends solcher Art zu verbaler Kreativitä­t genötigt zuwerden, hält sich in Grenzen, da Gästebüche­r ebenso wie Privateinl­adungen Auslaufmod­elle sind.

Aber das Risiko birgt auch eine Chance. Wer es einkalkuli­ert und sich darauf vorbereite­t, hat nochmals Gelegenhei­t, sich als „guest of first choice“zu profiliere­n: Etwa indemman schon vorher darüber nachdenkt, was die Gastgeber und ihre Einladunge­n so einzigarti­g macht und dazu ein, zwei Sätze formuliert, oder aber passende Zitate aus der Literatur sucht. Letztendli­ch steht es den Gastgebern­wohl auch zu, dass ihnen nach einem Abend, für den sieweder Kosten nochMühen gescheut haben, mehr bleibt als das dreckige Geschirr.

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