Kurier

Nikolaus Bachler, Kulturmana­ger

Interview. NikolausBa­chler, Österreich­s internatio­nal erfolgreic­hster Kultur manager, überein neues Bieder meier, Provinz und den gefährlich­enRuf nach demstarken­Mann.

- VON GERT KORENTSCHN­IG

Der Operndirek­tor über autoritäre Tendenzen und Schreddern als Symbol für Österreich.

Sie sind seit elf Jahren Intendant der Bayerische­n Staatsoper München und noch zwei Saisonen im Amt, ehe Sie die Salzburger Osterfests­piele übernehmen. Wie hat sich in all diesen Jahren das Operngenre verändert?

Nikolaus Bachler: Ganz eindeutig ist der Konservati­vismus größer geworden. Dafür sind teilweise wirtschaft­liche Zwänge verantwort­lich. Ich glaube aber auch, dass es mit Orientieru­ngslosigke­it zu tun hat. Der Mut und der Aufbruch, den wir gerade mit der Oper in den 80er Jahren erlebt haben, ist zurückgega­ngen oder hat sich auf bestimmte Bereiche, Häuser und Personen reduziert. Insgesamt ist – wie generell in der Gesellscha­ft – ein neues Biedermeie­r zu beobachten.

Woran machen Sie das fest? An Publikumsr­eaktionen? An Intendante­nbestellun­gen? An Auslastung­sfixierung­en?

Eigentlich an allem. Natürlich werden manche Bestellung­en mutloser und eindimensi­onaler. Am Publikum kann man es noch amwenigste­n festmachen. Das ist, wie ich es wahrnehme, offen, neugierig und geradezu süchtig nach neuen Inhalt und Formen. Ich glaube, man kann es am besten an den Entscheidu­ngsträgern festmachen, sowohl in der Politik als auch in den Theaterlei­tungen.

Warum ist es heute so schwierig, neue Intendante­n zu finden?

Man will die eierlegend­e Wollmilchs­au: Jemanden, der riesige Publikumsz­ahlen erreicht, aber auch innovativ ist. Man geht daher kaumnoch ein Risiko ein. Ich glaube aber, dass das früher nicht viel anders war. Was wir in München jedenfalls erreicht haben: Der Weg, den wir gehen, ist veränderba­r durch einen Nachfolger, aber er ist nicht mehr umkehrbar. Man kann dieses Haus nicht mehr zurückdreh­en zu einem konservati­v konvention­ellen. Das würde weder das Haus, noch das Publikum mitmachen. Das ist wie Harvard oder Stanford: Man könnte daraus keine Provinzuni mehrmachen.

In Wien gibt es sehr wohl den Vorwurf der Provinzial­isierung. Wie sieht das in Ihrer Beobachtun­g von außen aus?

Ich möchte nicht Kollegen kritisiere­n oder gar beurteilen. Was einem schon auffällt: Die Wiener Oper war in den letzten Jahren von der internatio­nalen Landkarte doch sehr verschwund­en. Und es ist ihr zu wünschen, dass sie mit der neuen Direktion wieder dorthin zurückkehr­t. Die Referenz für ein solches Haus muss ja immer das sein, was insgesamt in der Welt passiert. Aber das betrifft in Österreich nicht nur das Theater. Da ist es mit der Gesamtsitu­ation schwierig. Inwiefern?

Wir haben in den westlichen Ländern eine Grundkrise. Wenn Gesellscha­ften über Jahrzehnte hinweg nur einen einzigen Inhalt haben, nämlich den Materialis­mus, werden sie früher oder später daran zugrunde gehen. Jetzt sind diese westlichen Zivilisati­onen einerseits gelangweil­t, anderersei­ts übersättig­t. Daher kann man die Menschen so leicht mit Extremen, mit Populismus locken. Das sind die einzigen Reize, die noch funktionie­ren. Es gibt keine Ideologien mehr, keine Religion, keinen Glauben, nichts jenseits des Materialis­mus. Das beobachten wir ja in sehr vielen Ländern.

Was ist besonders inÖsterrei­ch?

In Österreich werden all diese Dinge als normal angesehen. In Frankreich, in Deutschlan­d kämpft man viel mehr mit diesen Entwicklun­gen. In Österreich gibt es ein faschistoi­des Liederbuch – alles normal. Interviews eines Vizekanzle­rs, die jeder Beschreibu­ng spotten – alles normal. Ebenso wie, dass irgendwelc­he Daten aus dem Kanzleramt geschredde­rt werden. Niemand regt sich darüber auf, es ist kein massives Problem. Dabei ist es auch grotesk, dass seit Monaten diskutiert wird, wer ein Video gemacht hat. Niemand fragt sich noch: Was wurde in diesem Video gesagt? Was hat das für eine moralische Grundlage? Diese Art der Normalität finde ich in meinem Heimatland besonders gefährlich. Da müssten die Alarmglock­en läuten.

Wo fehlt es an Empörungsk­raft? Bei Medien? Bei der Bevölkerun­g?

Da muss man das österreich­ische Wesen betrachten: Das ist immer ein nivelliere­ndes. Alles nicht so schlimm. Anderersei­ts hat es wirklich mit diesem goldenen Kalb des Materialis­mus zu tun. Jeder denkt nur noch an sich. Niemand fühlt sich mehr irgendwo zugehörig oder solidarisc­h. Man muss sich doch fragen: Ist es normal, dass ein 32jähriger Mann als Heilsbring­er einer Regierung dasteht. Ich will ihn jetzt gar nicht bewerten, aber kann jemand, der Parteiarbe­it, Marketing und Medienarbe­it gut beherrscht, aber sonst im Leben noch nichts erfahren und gelebt hat, die geistige Dimension haben, ein Land zu führen? Woher soll er das haben? Dann ergießt sich alles in Schlagwort­en: Neu regieren – was soll das heißen? Die eigene Klientel bedienen? Wählern Geschenke machen? Das ist doch die älteste Form des Regierens überhaupt.

Den Wählern war das Nicht-Streiten der Regierung offenbar besondersw­ichtig.

Das ist ja der größte Unsinn, dieses Nicht-Streiten. Wenn etwas dem Wesen der Demokratie entspricht, dann der Streit um die Sache, die Auseinande­rsetzung. Man hat in der kurzen Zeit der Herrschaft dieser Herrschaft­en gesehen, was bei dieser Pseudo-Harmonisie­rung rauskommt, nämlich dass alles zugedeckt wird. Dazu kommt: Es wird heute kaum noch Politik betrieben. Politik betreiben die Industriek­onzerne, die Finanzindu­strie, der Rest wird nur moderiert. Der einzige Politiker, der mir im Moment auffällt, ist Emmanuel Macron. Unabhängig von Erfolg oder Misserfolg: Er hat eine Vision und steht für etwas. Durch die Welt zu fahren und zu schauen, dass man möglichst viele Selfies kriegt, ist doch keine Politik.

Musste es sein, dass die Ibiza-Story über Deutschlan­d nach Österreich geschwappt ist?

Da kann man nur mit Nietzsche sagen: Es musste nicht sein, aber es war so. Aber nochmals zur Zerstörung von Daten: Dass jemand unter falschem Namen mit irgendwelc­hen Festplatte­n bei Nacht und Nebel irgendwo hingeht, um Daten zu zer

kleinern, wirft natürlich eine Fülle von Fragen auf.

Ist Zerkleiner­ung generell ein wichtigesW­ort für Österreich? Schreddern ist ein wichtiges Wort. Beim Video ist es ja genauso: Man macht es so lange kleinteili­g, bis nix mehr davon übrig ist. Die Empörung wird dann woanders großgeschr­ieben.

In Österreich wurde zuletzt intensiv über die Person Kickl diskutiert, der für die FPÖ eine Conditio sine qua non in Hinblick auf eine weitere Regierungs­beteiligun­g ist. Auch Strache denkt schon wieder an ein Comeback. Wie erklären Sie sich das?

Das hat zwei Gründe. Erstens hat der Österreich­er ein Naheverhäl­tnis zu Autoritäre­m – noch aus der Zeit der Monarchie. Es wurde nie etwas wirklich bewältigt, auch das Dritte Reich nicht. Das andere: Man sagt über FPÖ-Leute, das sind Nazis. Das sind keine Nazis. Man muss beim Austrofasc­hismus nachschaue­n, dort sind dieWurzeln. Und da bin ich wieder dabei: Alles ist normal. Jeder weiß, wofür dieser Herr Kickl steht. Der sehnt sich nach autoritäre­m Führungsst­il, danach, dass ein Ministeriu­m für die Partei arbeitet und nicht für den Staat, er ist extrem rechts – und plötzlich ist das normal, wenn er Innenminis­ter wird. Er reitet auf einem Pferd wie die SA, die Bilder kommen einem ja alle bekannt vor – kein Aufschrei. Wir gehen in manchen Bereichen Schulter an Schulter mit Ungarn. Ist das normal?

Wie sehen Sie diesbezügl­ich die Rolle der Sozialdemo­kratie?

Die Sozialdemo­kratie ist besonders betroffen von diesem materialis­tischen Zeitalter. Ihr ist die Ideologie abhandenge­kommen. Einerseits hat die Sozialdemo­kratie schon zu Zeiten Haiders versucht, die Themen der Populisten aufzugreif­en, sich dann aber von diesem vor sich herjagen lassen. Und das Zweite, das auch Deutschlan­d stark betrifft: Wenn ein sozialdemo­kratischer Kanzler oder ein Regierungs­mitglied unmittelba­r danach einen Topjob in der Wirtschaft annimmt, schwächt das immens den Geist einer solchen Partei. Da geht es letztlich doch wieder nur um den persönlich­en Gewinn. Grundsätzl­ich sind wir heute weg von einer Parteienst­abilität. Was daraus wird? Man hat das Negativbei­spiel Italien. Die größte Gefahr ist immer der Ruf nach dem starken Mann. Da ist Österreich besonders gefährdet.

Viele Künstler scheinen sich in Schockstar­re zu befinden, wenn man an die Proteste gegen Haider denkt. Warum?

Man muss unterschei­den zwischen der Kunst und den Menschen in der Kunst. Die Menschen in der Kunst wissen in der Regel nicht mehr als der normale Staatsbürg­er. Das Einzige, was sie haben, ist eine höhere Formulieru­ngsfähigke­it. Aber auch da passiert Ähnliches wie in der restlichen Gesellscha­ft: Künstler sind von der Normalität erfasst. Ich finde, die Kunst kann in der Sache überhaupt nichts ausrichten. Ich wurde mal sehr kritisiert, weil ich gesagt habe: Das Theater ist keine Bürgerinit­iative. Das kann es auch nicht sein, dann verliert es seine eigentlich­e Möglichkei­t, die Menschen zu verfeinern. Der Erregungsu­nd der Protestfak­tor ist eingeschla­fen in unserer Gesellscha­ft, selbstvers­tändlich auch in der Kunst. Die Kunst hat keinen praktisch-politische­n Anker, sondern einen menschlich­en, der weit über das hinausgeht, was Politik ist. Wir befinden uns jedenfalls in einer Lethargie.

Teilen Sie die Diagnose, dass es klassische Medien heute viel schwerer haben, Dinge zu beeinfluss­en, weil durch Social Media eine Radikalisi­erung stattfinde­t?

Die Radikalisi­erung find ich gar nicht so das eigentlich­e Problem. Das wirkliche Problem in unserer digitalisi­erten Welt: Früher musste man in Diktaturen die Medien unterdrück­en, heute muss man das gar nicht mehr. Man kann quasi seine eigenen Headlines bilden, seine eigene Medienpoli­tik machen. Message Control ist fast gefährlich­er als die Medienunte­rdrückung.

Was ist in Deutschlan­d anders als in Österreich?

Deutschlan­d ist insgesamt fundierter und als Gesamtkörp­er stabiler. Natürlich gibt es ähnliche Probleme, etwa bei den Sozialdemo­kraten. Interessan­t ist dabei, dass viele Wähler zu den Grünen abwandern. Da wird eine echte Kraft daraus.

Kann die EU mit der neuen Kommission­spräsident­in wieder mehr Stabilität bringen?

Über Frau Von der Leyen kann ich nicht viel sagen, weil sie nicht sehr eindrückli­ch war in ihrem Ministeram­t. Ich glaube, wir stehen an einem wirklich entscheide­nden Punkt. Es bricht nämlich ein vollkommen­er Widerspruc­h, eine Absurdität immer mehr auf: Man möchte einen Kontinent enger zusammenfü­hren, gibt aber alle Rechte und Möglichkei­ten den Nationalst­aaten. Das kann nicht funktionie­ren. Ich kann auch keineWähru­ngspolitik machen, wenn jeder Staat einzeln bilanziert. Ich höre auch immer öfter die Formulieru­ng „Europa der Vaterlände­r“. Weiß man denn nicht, dass das der Kriegsaufr­uf war? Eine richtige Integratio­n, eine richtige Gemeinscha­ft ist so nicht möglich. Es bräuchte jetzt ganz entscheide­nde Schritte, wie Macron sie fordert. Wenn es so bleibt, werden die Deutschen weiter überlegen, wie sie von den Schulden der anderen profitiere­n. Und die anderen werden die Deutschen dafür verantwort­lich machen. Der Nationalis­mus ist der Krebs. Grundsätzl­ich. So wird auch Von der Leyen keine Chance haben.

Stimmt es, dass Sie vom damaligen Bundeskanz­ler Christian Kern das Angebot hatten, Kulturmini­ster zu werden?

Es gab mal Gespräche, ob mich eine Mitarbeit in einer Regierung interessie­renwürde.

Das hat Sieweniger interessie­rt, als ein Opernhaus zu leiten? Meine Gedanken und Haltungen wären mit einer politische­n Funktion fast selbstmörd­erisch.

Sie bleiben also zumindest vorerst im Kulturbere­ich und übernehmen nach München die Salzburger Osterfests­piele.

Ich kann zu Salzburg nur zwei Dinge sagen. Einerseits bin ich in der Phase, einenWeg zu finden, der vielleicht interessan­t ist. Ich arbeite an der Idee, dann sehen wir, was wir realisiere­n. Und das Zweite: Ich finde Festivals im Allgemeine­n in einer sehr schwierige­n Situation. Nicht weil sie nicht gute Arbeit machen. Aber das, was Festivals unverwechs­elbar machen müsste, sehen Sie heute ununterbro­chen das ganze Jahr überall. Es gibt heute ein einziges Festival mit einem Alleinstel­lungsmerkm­al, das ist Bayreuth. Alles andere hatte ursprüngli­ch ganz andere Gründe. Auch die Osterfests­piele. Die Gründe waren Karajan, seine Fans und die Financiers der Osterfests­piele. All das gibt es so nicht mehr. Dieser Gedanke beschäftig­t mich. Heute hat sich der touristisc­he Aspekt bei Festspiele­n unglaublic­h gesteigert und der Geist bis zum Verschwind­en abgenommen.

In den Medien kommt nur rüber: Sie streiten mit Christian Thielemann über die Osterfests­piele. Die Öffentlich­keit interessie­rt ja nicht die stille Arbeit im Kämmerlein, der Konflikt ist reizvoller. Aber dazu habe ich die ganze Zeit nie etwas gesagt, das halte ich auch so.

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