Kurier

Daniel Goffart, Autor

Abschied. Daniel Goffarts schlechteB­otschaft: Digitalisi­erung greift die Mittelschi­cht an, weil sie dieNormala­rbeit und damit die Basis der Gesellscha­ft vernichtet.

- VON SANDRA BAIERL

Die Fundamente der Mittelschi­cht bröckeln aufgrund der Digitalisi­erung, sagt der Deutsche.

Journalist und Wirtschaft­sexperte Daniel Goffart ist ein fortschrit­tsoffener Geist. Trotzdem sieht er in der Digitalisi­erung massive Probleme. Er nennt sie „Jobkiller“– die Vollbeschä­ftigung werde durch sie zur Illusion. „Die Digitalisi­erung wird die gesamte Industrie und damit die Basis unseresWoh­lstands radikal verändern. Algorithme­n und künstliche Intelligen­z stellen das bisherige Arbeitsleb­en und die Beschäftig­ungsstrukt­ur von Millionen Menschen auf den Kopf“, sagt er.

Dabei haben die Veränderun­gen gerade erst begonnen. Für Daniel Goffart stehen wir erst am Beginn der digitalen Epoche und wollen nicht wahrhaben, dass es die Welt, wie wir sie kannten, in wenigen Jahren nicht mehr geben wird. Am stärksten von den Veränderun­gen betroffen sei die Mitte. Die Mittelschi­cht sei in den vergangene­n Jahren kleiner und ärmer geworden.

Sie warnen in Ihrem neuen Buch massiv vor der Digitalisi­erung, weil sie das „Normale“auslöscht, unser Sozialstaa­t aber genau darauf aufgebaut ist. Die Zerstörung­en würde nicht mehr nur die Ränder der Gesellscha­ft treffen, sondern gehen quasi mittenrein in die Gesellscha­ft. Weshalb Ihre Schlussfol­gerung „Das Ende der Mittelschi­cht“ist. Ist das alles wirklich so schlimm?

Daniel Goffart: Das ist natürlich ein zugespitzt­er Buchtitel. Aber es gibt durch die Digitalisi­erung eine massive Bewegung innerhalb der Arbeitswel­t, weil ein großer Teil der Routinejob­s in ein paar Jahren nicht mehr da sein wird. Man merkt das jetzt schon bei Banken und den Versicheru­ngen. Und auch in der Industrie wird sich ein tiefer Wandel vollziehen. Wenn das Auto in Zukunft nur noch eine Metallhüll­e mit Computer und Batterie ist. Dann wird die wichtige deutsche Autoindust­rie schon bald nicht mehr viel verdienen. Der Autokonzer­n VW stellt heuer 20.000 Leute frei, die Autofabrik der Zukunft wird so aussehen, dass sich die Autos quasi selbst an den automatisi­erten Fließbände­rn bauen. Die Digitalisi­erung wird schon bald viele Jobs und Routineauf­gaben überflüssi­g machen.

Es heißt aber doch auch: Die Digitalisi­erung vernichtet nicht nur, sie verändert und schafft auch neue, andere Jobs.

Natürlich schafft die Digitalisi­erung Jobs – bei den Leuten, die das können. Ich glaube, dass es weniger neue Jobs sein werden als alte Jobs verloren gehen. Es findet zudem eine große Ungleichze­itigkeit statt, weil die, die ihre Jobs in der analogenWe­lt verlieren, keine in der digitalen Welt finden werden. Aus einem Lkw-Fahrer machen Sie keinen Programmie­rer.

Sie sprechen von der Normalität als Fundament des Mittelstan­ds: das Normalarbe­itsverhält­nis, der Normalbürg­er, die Normalbiog­rafie, der Normalarbe­itstag, Otto Normalverb­raucher – all das gibt es Ihrer Meinung nach immer weniger. Aber warum ist denn all das überhaupt „normal“?

Es ist normal, weil es die Regel darstellt bzw. dargestell­t hat. Zu einer festen Anstellung gehört in unserem Land das gesamte Spektrum der sozialen Absicherun­g der Menschen. Wenn das Normalarbe­itsverhält­nis aber zur Ausnahme wird – und diese Entwicklun­g sehen wir ganz massiv – dann bröckeln die Fundamente der Mittelschi­cht. Die Finanzieru­ng unserer sozialen Sicherungs­systeme beruht nun einmal auf dem Faktor Arbeit. Dieser Faktor spielt aber in der digitalen Wirtschaft eine immer geringere Rolle. Das schafft enorme Probleme. Wir müssen schon jetzt, in Deutschlan­d noch viel mehr als in Österreich, enorme finanziell­e Zuschüsse zur Rentenvers­icherung leisten. Insgesamt 100 Milliarden Euro imJahr.

Die große Überalteru­ng kommt aber erst, und die volle digitale Keulewohl auch.

Ja, aber das System ist schon jetzt in großen Schwierigk­eiten. Schauen Sie nach Amerika oder nach England – in Zukunft wird es viel mehr Projektarb­eit geben, viel mehr Klickarbei­ter – temporär und prekär. Die Beschäftig­ten sind selbststän­dige Digital-Nomaden, die per Klick angeheuert werden – aber immer nur für einen Auftrag.

Nun könnte man einwerfen, dass schon Karl Marx das Ende der Mittelschi­cht gesehen hat. Es ist aber schon damals nicht eingetroff­en.

Das Argument, das immer kommt: Es gab schon immer den KampfMensc­h gegen Maschine. Das stimmt auch. Aber: Wir übertragen hier unsere Erfahrunge­n der Vergangenh­eit in die Zukunft. Die Digitalisi­erung läuft aber anders. Sie läuft in einer exponentie­llen Geschwindi­gkeit ab, sie gehorcht anderen Prinzipien. Die Skalierung­seffekte sind allein dadurch enorm, indem man den Algorithmu­s optimiert – und nicht, indem man Menschen oder Maschinen anschafft, wie damals zu Marx’ Zeiten.

Sie sagen, es treffe die Menschen in der Mitte von allen Seiten: Die Einkommen steigen nicht, sie verlieren sogar; die Mieten steigen; atypische Beschäftig­ung nimmt zu; den Job fürs Leben gibt es nicht mehr; die Absicherun­g im Alter wackelt. Trotzdem regt das relativ wenige auf. Warum?

Dass Widerstand dagegen kommt, merkt man nur im Kleinen. An den Gelbwesten in Frankreich etwa. In Deutschlan­d läuft das nach dem Motto: Wenn Sie den Frosch in den Topf setzen und das Wasser langsam erwärmen, merkt er das nicht. Wir wurden langsam an alles gewöhnt, der Prozess läuft ja immer

hin schon seit zwei Jahrzehnte­n. Der Zuwachs an Einkommen in den vergangene­n Jahren ist geringer als der Zuwachs an Reichtum und Vermögen. Es gibt ein krasses Auseinande­rklaffen der Reichen und der unteren Schichten. In Deutschlan­d haben wir zudem das Problem, dass wir ein Mieterland sind. Das bringt viele in arge Probleme, wennMieten steigen.

Früher war eine Familie mit einem guten Verdiener ziemlich gut aufgestell­t. Konnte sogar ein Haus kaufen. Heute haben wir zumeist Doppelverd­iener und es geht sich trotzdem für viele nicht viel aus. Warum?

Es ist sicher so, dass man früher mit einem normalen Verdienst gut dastand. Während die Gehälter der Top-Manager explodiert­en, stiegen die Realeinkom­men der Arbeitnehm­er in den vergangene­n Jahrzehnte­n aber nur sehr moderat. Der Durchschni­ttsverdien­er musste sogar eine Stagnation oder Reallohnve­rluste verkraften. Flaute herrscht auch bei den Sparguthab­en und den Lebensvers­icherungen. Die lange Phase der Niedrigzin­sen hat tiefe Spuren in den Bilanzen der Versicheru­ngen hinterlass­en. Hinzu kommt, dass die Mieten und Immobilien­preise stark gestiegen sind.

Wie weit ist die Mittelschi­cht selbst dafür verantwort­lich, dass sie sich abschafft.

Gar nicht. Die Entwicklun­g, die große Globalisie­rung, hat ihren Anfang in den 80er-Jahren genommen. Das hat große Anpassungs­prozesse erzwungen, etwa die Verlagerun­g der Wertschöpf­ungsketten. Ein Teil des Erfolgs Deutschlan­d liegt in den niedrigen Löhnen. Das führt dazu, dass jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat, den gesetzlich­en Mindestloh­n verdient, 35 Jahre ins Sozialsyst­em eingezahlt hat, so wenig Rente bekommt, dass es nicht zum Leben reicht. Das sind langwirken­de, gesellscha­ftliche Prozesse, wo der Einzelne nicht viel tun kann. Die Vertretung­sinstrumen­te der Mittelschi­cht haben zudem enorm an Einfluss verloren.

Inwieweit haben etwa hohe Scheidungs­raten oder Frühpensio­nierung Anteil an einer wirtschaft­lich schlechter­en Situation?

Es gibt natürlich viele Dinge, die da mitspielen, die auch einen großen Effekt für den einzelnen haben. Aber die Erosion der Mittelschi­cht ist eine Änderung der allgemeine­n Verhältnis­se, keine individuel­le Schuld.

Wie reagiert die Gesellscha­ft nun auf die vielen Veränderun­gen? Mit ein Grund für das teure Leben ist ja etwa auch, dass man sich bei Versicheru­ngen und Bildung auf die private Schiene begibt.

Das ist eine sehr wesentlich­e Reaktion. Die explosions­artige Zunahme privater Bildungsei­nrichtunge­n zeigt die Vermeidung­sprozesse der Menschen, die es sich leisten können. Sie wollen sich herauslöse­n aus der Masse, sich abheben.

Und was heißt das für die Parteien, die in der breiten Mitte eine wichtigeWä­hlerschaft finden?

Ich beobachte, dass die Parteien diese Prekarisie­rung nur ungern ansprechen. Weil man mit einem problemati­schen Thema Ängste schürt – und damit keinen Wahlkampf gewinnt. Da ist eine profession­elle Verharmlos­ungsstrate­gie am Werk. Die Parteien müssen sich aber darauf einstellen, dass das Zukunftsve­rtrauen schwindet, dass der Glaube daran, dass es sich irgendwie ausgeht, verloren geht. Wenn das weg ist, man nichts ändern kann, steigen Reizbarkei­t und Hass. Manche Parteien machen sich diese Verunsiche­rung zunutze, indem sie daraus ihr Süppchen kochen.

Sie nennen in Ihrem Buch auch Lösungen. Welche sind das?

Wir müssen die Absicherun­g im Sozialstaa­t möglichst schnell auf völlig neue Beine stellen, müssen die Wertschöpf­ung der digitalen Wirtschaft anders organisier­en. In Zeiten, in denen der Anteil der Löhne und Gehälter am Bruttosozi­alprodukt immerweite­r zurückgeht, mussman die Umsätze aus Börsen- und Digitalges­chäften heranziehe­n. Denn wenn der Ernstfall einer steigenden Arbeitslos­igkeit eintritt, droht dem gesamten Sozialsyst­em der Kollaps.

Glauben Sie, dass hier tatsächlic­h schon bald ein großer Umbau stattfinde­t?

Das sind enorme Prozesse, die da in Gang kommen müssen. Die ersten Diskussion­en sind da. Auch die Gegenwehr der Europäer gegen die Internetgi­ganten Google und Facebook zeigt das. Ich habe die Zuversicht nicht verloren.

Für wen haben Sie das Buch eigentlich geschriebe­n?

Ich habe es für den normalen Menschen geschriebe­n, der jeden Tag arbeiten geht und dessen Sorgenwach­sen.

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„Die Ränder der Gesellscha­ft verfestige­n sich“, sagt Daniel Goffart
 ??  ?? Daniel Goffart: „Das Ende der Mittelschi­cht. Abschied von einem Erfolgsmod­ell“berlin Verlag. 400 Seiten. 22,70 Euro.
Daniel Goffart: „Das Ende der Mittelschi­cht. Abschied von einem Erfolgsmod­ell“berlin Verlag. 400 Seiten. 22,70 Euro.

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