Hongkongs Hochrisiko-Spiel
Aufstand. Regierungskritiker gehen auf volle Konfrontation, Peking hält sich – noch – zurück
ULRIKE BOTZENHART In Hongkong stehen die Zeichen auf Sturm. Während Regierungskritiker nach Massenprotesten mit dem größten Streik seit Jahrzehnten zu Wochenbeginn weite Teile der Finanzmetropole lahm legten, drohte die Regierungschefin den Aktivisten. Mit versteinerter Miene und flankiert von sechs Ministern warnte Carrie Lam, die Proteste hätten Hongkong „an den Rand einer sehr gefährlichen Lage gebracht“. Wohlstand und Stabilität seien in Gefahr. Ihre Regierung werde daher entschlossen vorgehen, um Recht und Ordnung zu wahren und das Vertrauen wiederherzustellen. Lam steht auch unter Druck aus Peking.
Die Demonstranten blieben davon unbeeindruckt. Durch Streiks mussten mehr als 200 Flüge gestrichen werden, Straßen wurden blockiert, Teile des U-Bahn-Systems aus Sicherheitsgründen gesperrt. Vermummte Aktivisten lieferten sich den ganzen Tag über ein Katz-undMaus-Spiel mit der Polizei, die Tränengas einsetzte und Dutzende Menschen festnahm. Am Abend griffen dann, wie schon vor einigen Wochen, zivile Schlägertrupps ein. Sie droschen mit langen Stangen auf Demonstranten ein.
Wie lange wird Peking noch zuschauen? „Das ist die Frage. Pekings Optionen sind Regierungschefin Carrie Lam gibt sich entschlossen, „Recht zu wahren“ begrenzt“, sagt Mareike Ohlberg, Expertin vom Mercator Institute for China Studies in Berlin. Wenn Chinas Führung die Volksarmee oder die Bewaffnete Volkspolizei in Hongkong aufmarschieren ließe, „wäre dies das Ende des geltenden Prinzips ’Ein Land, zwei Systeme’. Das wäre die allerletzte Option, weil China die Finanzmetropole Hongkong braucht“, erklärt Ohlberg im Gespräch mit dem KURIER.
„Ein Land, zwei Systeme“, eben dafür demonstrieren auch die Hongkonger. Denn der Grundsatz besagt, dass die einstige britische Kronkolonie autonom regiert wird und Hongkonger das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsrecht genießen. Die Regierungskritiker monieren, dass in den vergangenen Jahren scheibchenweise ihre Rechte beschnitten wurden. Das Fass zum Überlaufen brachte aber Carrie Lams Gesetz zur Auslieferung mutmaßlicher Krimineller an China. Lam erklärte es als „tot“, nachdem zwei der acht Millionen Hongkonger dagegen auf die Straße gingen, aber sie zog es nicht zurück.
„Das ist nicht nachvollziehbar, hat aber zum kompletten Zusammenbruch des Vertrauens der Bevölkerung gegenüber ihrer Regierung geführt“, sagt Ohlberg. Sogar Zehntausende Regierungsbeamte legten am Freitag Protest ein.
Die Hongkong-Expertin nennt den Aufstand der Kritiker „riskant“. Die Frage ist auch: Was können die Hongkonger à la longue gegen das mächtige China ausrichten? Der Sonderstatus läuft 2047 aus, dann droht Hongkong das komplett gleiche System wie den Festlandchinesen. Ohlberg: „Die Aktivisten versuchen das zu verhindern. Sie hoffen, bis dahin in Hongkong ein System etablieren zu können, das man nicht so leicht kann.“
Das ist der Führung in Peking durchaus bewusst. Sie nimmt die Lage in der Finanzmetropole ernst. Wie ernst, das zeigt auch die Einladung der offiziellen Vertretung Pekings in Hongkong an Journalisten diesen Dienstag – es ist erst die zweite seit der Übergabe der britischen Kronkolonie an China 1997. Peking wolle „etwas Neues“ankündigen, schrieb die Zeitung South China Morning Post. Mehr habe die namentlich nicht genannte Quelle nicht sagen wollen.
Ein Kommentator der Zeitung drängt Hongkongs Führung, die Sorgen und Bedürfnisse ihrer Bürger ernst zu nehmen – und ruft die Aktivisten zur Raison: Sie müssten klar sagen, was wie wollten. Andernfalls drohe Hongkong wie der Demokratiebewegung von Tiananmen vor 30 Jahren in Peking die blutige Niederschlagung. wieder zurückbauen