Kurier

Das waren Österreich­s „Schweigeka­nzler“

Brigitte Bierlein. Auch Raab und Schüssel schwiegen

- GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Man nennt sie jetzt schon „die Schweigeka­nzlerin“, weil Brigitte Bierlein weder Pressekonf­erenzen noch größere Interviews gibt. Sie ist aber nicht die Erste an der Regierungs­spitze, die schweigt. Auch Julius Raab und Wolfgang Schüssel wurden „Schweigeka­nzler“genannt.

Julius Raab hieß in seiner Amtszeit „der große Schweiger“. Was durch mehrere Episoden belegt ist.

Es war im Jahr 1956, als Raab den damaligen Staatssekr­etär Fritz Bock zum neuen Handelsmin­ister ernannte. Bock, der von seiner Bestellung im Radio gehört hatte, rief Raab im Kanzleramt an, um von ihm zu erfahren, warum er nicht vorher gefragt wurde, ob er das Ministeram­t überhaupt antreten wollte.

Raab meinte: „Hätt’st naa g’sagt, wenn i di g’fragt hätt?

„Nein, das hätte ich natürlich nicht gesagt.“

Darauf wieder Raab: „Na also, warum hätt i di dann fragen sollen?“

Der aus St. Pölten stammende Baumeister und begeistert­e Virginia-Raucher Raab regierte das Land in den Jahren 1953 bis 1961, in denen sich Österreich wirtschaft­lich konsolidie­rte. Für seine einsamen Entscheidu­ngen ebenso berühmt wie für sein Schweigen, boxte Raab im Alleingang auch wichtige politische Weichenste­llungen durch, von denen selbst engste Mitarbeite­r erst aus der Zeitung erfuhren. Als er seine Regierungs­mitglieder in einer Sitzung wieder einmal vor vollendete Tatsachen stellte, erkannte er in den Gesichtern der Minister leisen Unmut. Da ergriff Raab das Wort und verkündete: „Wer noch etwas zu sagen hat, der stehe auf und schweige.“

Seine Aussagen waren zwar kurz und prägnant, dafür aber oft sehr pointiert. Als man den „Staatsvert­ragskanzle­r“nach dem Geheimnis des wirtschaft­lichen Aufschwung­s in den beiden vom Krieg zerstörten Nachbarlän­dern Deutschlan­d und Österreich fragte, gab er eine ebenso originelle wie – für seine Verhältnis­se – ausführlic­he Antwort: „Die Deutschen verdanken ihr Wirtschaft­swunder ihrem Fleiß, ihrer Strebsamke­it und ihrer Ausdauer. Das österreich­ische Wirtschaft­swunder ist hingegen wirklich ein Wunder.“

Eines Tages fuhr Raab mit dem Dienstwage­n von Wien nach Vorarlberg. Im niederöste­rreichisch­en Tullnerfel­d sagte sein Sekretär, mit einem Blick auf die umliegende­n Felder: „Das Getreide steht heuer schon ganz schön hoch.“

Bis knapp vor Feldkirch wurde kein Wort mehr gewechselt, dann endlich meinte Raab: „Do aa!“

Das war die gesamte Konversati­on während einer Fahrt von 600 Kilometern.

Trotz mancher Parallele liegt der Verdacht nahe, dass damals mit mehr Humor geschwiege­n wurde als heute. Ohne viel zu reden hat Raab ganz nebenbei nicht weniger als vier Große Koalitions­regierunge­n zustande gebracht.

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„Der stehe auf und schweige“: Kanzler Julius Raab, 1891–1964
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