Schreiben für die Verwundbarsten
Nachruf. Die erste Afroamerikanerin, die den Literaturnobelpreis bekam: Autorin Toni Morrison ist tot
Eine schwarze Frau in Amerika zu sein, das heißt auch heute noch: gegen doppelte Diskriminierung ankämpfen zu müssen. Toni Morrison schrieb dagegen an, in ihren Büchern, die ihr 1993 als erster Afroamerikanerin den Literaturnobelpreis gebracht haben. Sie wurde damit zu einer gewichtigen Stimme in den Staaten, und zu einer Vermittlerin der dortigen Verhältnisse für die, die anderswo leben. Und sie erreichte etwas, das nicht erst in der heutigen Literaturwelt durchaus eine Seltenheit ist: Ihre Werke, wie „Sehr blaue Augen“, „Solomons Lied“oder „Menschenkind“, wurden von den Kritikern gelobt – und vom Publikum geliebt.
„Das Gewissen Amerikas“: Diesen Beinamen trug Morrison, und man möchte ergänzen: das schlechte. Denn Morrison zeigte nicht nur in ihren Büchern Mechanismen in den Staaten auf, die viele nicht überwinden konnten. Die Geburt ihres Schreibens lag, so sagte sie, darin, das zu beschreiben, was der Rassismus bei den Verwundbarsten anrichtet, bei Kindern und bei schwarzen Frauen.
Als sie in den 1950ern begann, an einer damals Afroamerikanern zugewiesenen Universität Englisch zu studieren, wurden die Studenten in Gruppen aufgeteilt – nach dem Helligkeitsgrad ihrer Hautfarbe. In ihrer ersten Kurzgeschichte betet ein schwarzes Kind dafür, doch blaue Augen zu bekommen. 1970 dann kam der Text als „Sehr blaue Augen“heraus.
„Sprache befreien“
Die Aufmerksamkeit auch der Literaturkritik erlangte sie dann mit „Solomons Lied“, und „Menschenkind“wurde mit Oprah Winfrey und Danny Glover verfilmt. Winfrey, in Amerika mit ihrem Buchklub immens wichtig für Literaturerfolg, nannte Morrison „unsere Seherin, unsere Wahrsagerin“. Morrison wolle, so beschrieb es die Schwedische Akademie, die Sprache selbst vom Rassismus befreien. Die lebendige Sprache, in der sie ihre Bücher niederschrieb, steht in einer mündlichen, lyrisch geprägten afroamerikanischen Tradition, die die Übersetzer durchaus vor Herausforderungen stellt.
Morrison wurde auch zur gefragten Beobachterin der amerikanischen Politik, ihre Essays nahmen Beobachtungen vorweg, die erst jetzt in der Mitte der Diskussion angekommen sind. Sie begleitete die schwierige Auseinandersetzung der USA mit ihren Minderheiten.
„Was mich zum Schreiben brachte, war das Schweigen – so viele Geschichten, die nicht erzählt, nicht untersucht worden sind“, sagte sie einmal. „Ich fühlte, dass ich eine ganze Welt repräsentiere: von Frauen, die entweder zum Schweigen gebracht wurden oder nie den Segen der Literaturwelt bekamen.“
Und: „Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht sicherzustellen, dass der weiße Blick in meinen Büchern nicht der dominante ist“. Nun starb Morrison 88-jährig.