Salvini für sofortige Neuwahl
Italien. Die Koalitionskrise macht dem Lega-Chef keine Sorgen, sein Wahlkampf hat begonnen
IRENE MAYER-KILANI
„Prima gli italiani“, „Italiener zuerst“– das riesige Plakat mit dem Leitspruch der ultrarechten Lega hängt über der Tribüne an der zentralen Piazza in Sabaudia. Die während des Faschismus erbaute Retortenstadt an der Küste südlich von Rom ist die erste Station auf Innenminister Matteo Salvinis Strandtour.
Mit tosendem Applaus und von einigen Fans auch mit faschistischem Gruß wird der „Capitano“, wie ihn seine Anhänger nennen, empfangen.
Salvini gibt sich diesmal seriös mit weißem Hemd und Krawatte. Ein Kontrastprogramm zu Badehose, nacktem Bierbauch und Cocktails, wie man ihn in den Tagen zuvor gesehen hat. Statt einer Rockversion der Nationalhymne, bei der Salvini kürzlich am Strand als DJ improvisierte, wird sein Erscheinen von Puccinis „Nessun dorma“begleitet.
Der Minister wirkt gestresst, als er an dem drückend schwülen Abend die Bühne neben dem MussoliniDenkmal betritt. Bis zuletzt war sein Auftritt unsicher. Denn spätestens seit der Senatsabstimmung am Mittwoch über die Hochgeschwindigkeitsstrecke TurinLyon herrscht Krisenstimmung. Die Lega unterstützt die seit Langem geplante Bahnstrecke, die Fünf Sterne hingegen lehnen diese ab. Daher fehlt die parlamentarische Mehrheit für die Umsetzung des von der EU geförderten Milliardenprojekts.
„Es waren anstrengende Tage, ich schlafe schlecht und wenig. Weil mir die Zukunft Italiens am Herzen liegt und ich mir keinen Fehler erlauben darf“, buhlt Salvini um Verständnis. An Sympathien mangelt es in der rechten Hochburg Sabaudia nicht. Die Lega brachte es hier bei der EUWahl im Mai auf 45 Prozent.
Neuwahlen im Oktober Am Donnerstag traf Premier Conte mit Staatspräsident Mattarella im Quirinal zusammen. Salvini dürfte Conte bis Montag ein Ultimatum gestellt haben, mit dem er einen radikalen Kurswechsel erzwingen will. Italienische Medien spekulierten bereits über Neuwahlen im Oktober.
Am Abend dann die Gewissheit: Salvini ist für möglichst rasche Neuwahlen. „Gehen wir sofort ins Parlament, um anzuerkennen, dass es keine Mehrheit mehr gibt“, hieß es in einer Erklärung Salvinis. „Geben wir das Wort schnell an die Wähler zurück“, heiß es da.
Kommt es dazu hält Salvini den Trumpf in der Hand. Laut Umfragen liegt die Lega mit 40 Prozent
vor den Fünf Sternen, die von 33 auf 15 Prozent gefallen sind.
Zurück in Sabaudia: „Es ist wie bei einer Ehe, wenn man mehr Zeit mit Streitereien als im Bett verbringt, ist es Zeit eine Entscheidung zu treffen.“Trotz guter Zusammenarbeit mit den Fünf Sternen sei in den letzten Wochen etwas zerbrochen, sagt Salvini. Und: „Ihr werdet aus meinem Mund kein schlechtes Wort über Luigi Di Maio oder Giuseppe Conte hören.“
Wenig später flirtet Salvini auch noch mit dem Faschismus, als er das Mussolini-Denkmal auf dieser Piazza in Sabaudia „entdeckt“und die Inschrift vorliest – und plötzlich stoppt: „Ich höre lieber auf zu lesen, sonst verhaften sie mich noch vor Ort. Lassen wir die Vergangenheit lieber Vergangenheit sein und blicken in die Zukunft.“Das Publikum quittiert die „Spontaneinlage“mit Lachen und Applaus.
Mangelnde Solidarität Kritiker werfen Salvini vor, die Krise provoziert zu haben. Eine Racheaktion nach der Affäre um angebliche Spendengelder aus Moskau? Er war enttäuscht über mangelnde Solidarität des Koalitionspartners. Salvini verweigerte bisher jede Aussage.
Bis Ferragosto will Salvini wieder täglich in die Badehose schlüpfen und sich von Latium bis Sizilien ins Strandleben stürzen. Bevorzugt in jenen Küstenstädten, in denen die Fünf Sterne bei den letzten Wahlen triumphierten.