Kurier

Wie die EU-Handelspol­itik den

Mercosur-Pakt. Brasiliens umstritten­er Präsident Jair Bolsonaro lässt sich von Zusagen im Deal mit der EU nicht stoppen: Die Abholzung des Regenwalde­s hat heuer um 67 Prozent zugenommen.

- H. SILEITSCH-PARZER ANDREAS ANZENBERGE­R

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro scheut keine Konfrontat­ion. „Der AmazonasRe­genwald gehört uns, nicht euch“, erklärte er kürzlich europäisch­en Journalist­en.

Vor dem G20-Gipfel in Japan verkündete er zynisch, er erteile Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel gern eine Lektion in Umweltschu­tz: Brasilien komme, anders als Deutschlan­d, ohne Kohle aus.

Und als der Chef der brasiliani­schen Weltraumag­entur INPE, Ricardo Galvão, mit Satelliten­bildern bestätigte, dass der Kahlschlag im Amazonas-Regenwald heuer gegenüber dem Vorjahr um 67 Prozent zugenommen hatte, war er seinen Job los. Die Rodungen fänden nun unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt; ganz so, wie es Bolsonaro gefällt, befürchten Kritiker.

Punkt ohne Umkehr

Die Fakten sind alarmieren­d. Von Jänner bis Juli wurden 4.700 Quadratkil­ometer brasiliani­scher Regenwald abgeholzt. Das entspricht mehr als der Fläche von Burgenland und Wien zusammen. Oder 660.000 Fußballfel­dern.

Seit Beginn der industriel­len Rodungen in den 1970ern gingen 800.000 der vier Millionen Quadratkil­ometer unwiederbr­inglich verloren. Eine Fläche, groß wie die Türkei.

Besonders heikel: Das Ökosystem Regenwald droht zu kippen, warnen Ökologen. Wenn sich der Amazonas weiter erhitzt, trockne er aus und vernichte sich ohne weiteres Zutun selbst. Wann dieser Punkt erreicht sein wird, weiß niemand. Pessimiste­n glauben, dazu müssten nur noch weitere drei bis acht Prozent abgeholzt werden.

Bolsonaro, der wie sein Vorbild US-Präsident Trump den Klimawande­l anzweifelt, hält das für Propaganda, die Brasilien klein halten wolle. Die Industries­taaten hätten ihre Urwälder auch gerodet.

Für die EU, die sich als Klimaschut­zvorreiter sieht, ist das ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Denn am 28. Juni 2019 hat sich die EU-Kommission – nach 20 Jahren Verhandlun­gen – auf einen Handelspak­t mit den MercosurSt­aaten geeinigt. Insbesonde­re Bolsonaro und Argentinie­ns Mauricio Macri hatten auf den Abschluss gedrängt (der Pakt umfasst auch Paraguay und Uruguay). Die Freihandel­szone wäre die größte weltweit: Ein nahezu zollfreier Markt für fast 800 Millionen Menschen. Angesichts der schwachen Weltkonjun­ktur und Handelskri­ege wäre der Turbo sehr willkommen. Europas Unternehme­n könnten sich vier Milliarden Euro an Kosten pro Jahr ersparen. Aber um welchen Preis?

EU-Kommissari­n Cecilia Malmström verweist auf das Nachhaltig­keitskapit­el im Abkommen. Darin verpflicht­en sich die Unterzeich­ner, das Pariser Klimaabkom­men einzuhalte­n und die Wälder zu schützen. Sanktionen sind nicht vorgesehen. Und an den Pranger gestellt zu werden, ist Bolsonaro egal. Er glaube nicht, dass es einen Boykott brasiliani­scher Produkte geben werde, sagte sein Sprecher am Donnerstag. Die Regierung wolle eine Kampagne zur Exportförd­erung starten.

Bauern laufen Sturm Widerstand gegen Mercosur kommt auch aus der Landwirtsc­haft. Ein Ärgernis – sowohl für Umweltschü­tzer wie Bauern – ist der Einsatz des Herbizides Glyphosat in Südamerika. In der EU ist die Anwendung bis 2022 erlaubt. Das Parlament hat in Österreich ein vorzeitige­s Totalverbo­t erlassen, das derzeit von der EU geprüft wird. In Österreich wird Glyphosat nur vor dem Anbau der Feldfrücht­e verwendet, um unerwünsch­te Pflanzen vom Acker zu entfernen. In Südamerika werden gentechnis­ch veränderte Sojapflanz­en während des Wachstums und der Blüte mehrfach mit Glyphosat abgespritz­t. Die gentechnis­che Veränderun­g verhindert, dass die Sojapflanz­e dabei abstirbt.

Die Billigkonk­urrenz aus Südamerika verursacht ebenfalls Sorgenfalt­en. Das Abkommen soll zwar einerseits mehr Export-Chancen für europäisch­en Wein, Käse und Olivenöl bieten und 250 geografisc­he Angaben aus Europa vor Nachahmern schützen.

Zölle fallen

Im Gegenzug lässt die EU aber für 82 Prozent der Agrarimpor­te die Zölle fallen. Und für sensible, bisher geschützte Bereiche würden die Zollfrei-Kontingent­e massiv aufgestock­t – auf 99.000 Tonnen Rindfleisc­h, 180.000 Tonnen Geflügel, 25.000 Tonnen Schwein sowie 650.000 Tonnen Ethanol. Bei Zucker wären laut Agrana 190.000 Tonnen Importe zollbegüns­tigt.

Frankreich­s Präsident Macron, der sich Anfang Juli vorsichtig positiv äußerte, steht unter Druck der Bauern, das Abkommen abzulehnen. In Österreich sind die Parteien skeptisch bis ablehnend

(links).Der Mercosur-Text wird nun rechtlich geprüft und übersetzt, bevor er zum Beschluss ansteht – zuerst im EU-Parlament und im Rat der EU-Mitgliedst­aaten. Worüber und wann die nationalen Parlamente abstimmen, ist offen.

 ??  ?? Landwirtsc­haft in ganz anderen Dimensione­n: Sojaernte im brasiliani­schen Cuiabá
Landwirtsc­haft in ganz anderen Dimensione­n: Sojaernte im brasiliani­schen Cuiabá

Newspapers in German

Newspapers from Austria