Kurier

Entlassung­sbrief liegt beim Altpapier

Ex-Innenminis­ter Kickl im Interview über die Ibiza-Nachwehen und Rot-Blau

- VON JOHANNA HAGER UND IDA METZGER FOTOS: JEFF MANGIONE

KURIER: 32 von über 1.000 Seiten des FPÖ-Historiker­berichts wurden präsentier­t. Warum nicht alle? Herbert Kickl: Jetzt haben wir einmal eine komprimier­te Fassung vorgelegt. Die Tatsache, dass wir die Präsentati­on in zwei Teile, eine komprimier­te Fassung und dann eine Langversio­n, zerlegt haben, spricht für unsere redaktione­lle Sorgfalt.

Was spricht dagegen, den ganzen Bericht online zu stellen?

Nichts. Das wird auch passieren, wenn die Gesamtvers­ion redigiert vorliegt. Wir wünschen uns eine umfassende Diskussion, das ist ja auch der wissenscha­ftliche Zugang: Wir stellen unsere gut begründete Sicht der Dinge in den Raum, dann wird ein Diskurs geführt. Die Kritik, die vor Erscheinen des Berichts geübt wurde, ist für mich ein Herumsuhle­n in Vorurteile­n und keine redliche Auseinande­rsetzung.

Wissenscha­fter bezweifeln die Objektivit­ät des Berichts, weil viele Autoren FPÖ-Miglieder sind.

Kommission­sleiter Wilhelm Brauneder hat wie andere Mitglieder ein wissenscha­ftliches Renommee, das über jeden Zweifel erhaben ist. Für einen Wissenscha­fter haben wissenscha­ftliche Kriterien zu gelten, unabhängig von seiner Weltanscha­uung. Ich wundere mich vielmehr in Zusammenha­ng mit dem Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­s über die wissenscha­ftliche Qualifikat­ion einzelner Mitarbeite­r – wenn ich mir die Lebensläuf­e mancher anschaue, da gehe ja ich noch als Historiker durch.

Für Schlagzeil­en sorgte ihr Ex-Kabinettsm­itarbeiter, der Identitäre­nChef Sellner vor seiner Hausdurchs­uchung informiert haben soll.

Das ist eine Schmuddel-Kampagne, an der überhaupt nichts dran ist. Diejenigen, die diese Behauptung in die Welt gesetzt haben, sind aufgeforde­rt, Beweise zu bringen oder den Mund zu halten. Ich kann ausschließ­en, dass es eine Warnung von Herrn Teufel oder von einem meiner Mitarbeite­r gegeben hat. Als wir ins Ministeriu­m kamen und zum ersten Mal mit einer Vorabinfor­mation konfrontie­rt waren, haben wir sofort gesagt: „Wir wollen das gar nicht wissen! Informiert uns, wenn es entspreche­nde Amtshandlu­ngen gegeben hat – also im Nachhinein.“Das ist diametral anders als die Vorgangswe­ise meiner Vorgänger.

An Ihrer Amtsführun­g gab es harsche Kritik. Von Ihrer Prätoriane­rGarde war auch im KURIER zu lesen.

Als ich ins Innenresso­rt kam, hatte ich einen Chauffeur und im Auto saß ein Cobra-Mann. Dann gab es dahinter ein zweites Auto mit zwei weiteren Cobra-Männern. Ich habe das gleich abgestellt: Ich hatte einen Chauffeur, der bewaffnet war, und wenn die Gefährdung­slage es verlangt hat, haben mich zwei LVTLeute begleitet. Das LVT ist zu zweit, die Cobra immer zu dritt. Ich habe das LVT genommen, weil es gesetzlich dafür vorgesehen ist. Wenn ich mit jemandem Kaffee trinken war, dann sind auch nicht am Nachbartis­ch die Cobra-Leute gesessen – wie ich das aber von Vorgängern kenne.

Was glauben Sie, wird von der BVTund Ibiza-Affäre übrig bleiben?

Es geht nicht ums Glauben, sondern um die Sachlage. Es geht um die inhaltlich­en Fragen, wie: „Sind Gelder an die Parteien geflossen? Das kann ich für die FPÖ ausschließ­en. Und es geht bei Ibiza um die Frage: Wer sind die Hintermänn­er, die Auftraggeb­er dieses Videos?“Wenn jemand so einen Prozess aufbereite­t, über Monate, wie man es von Nachrichte­ndiensten kennt, stellt man sich die Frage: „Haben diese Leute einmalig so gearbeitet oder ist das öfter zur Anwendung gekommen?“Ich glaube, wenn Heinz-Christian Strache nicht in die Offensive gegangen und Anzeigen formuliert hätte, dann würden die Behörden heute noch in der sprichwört­lichen Pendeluhr schlafen. Mich wundert die Trägheit, dass – das ist mein Stand der Dinge – bis zum heutigen Tag weder der Anwalt noch der Detektiv noch der Lockvogel einvernomm­en wurden.

Sie insinuiere­n damit zum erneuten Male, dass es Videos von anderen Parteien oder Politikern gibt.

Ich war doch eine Zeit lang Innenminis­ter und habe im Nachhinein Kontakte, die mir sagen: In jedem anderen Land wäre der Verfassung­sschutz mit allem, was er zu bieten hat, ausgerückt, um der Frage von Destablisi­erungsvers­uchen von Regierunge­n nachzugehe­n. Um zu untersuche­n, ob es auch andere Leute gibt, die vielleicht Gegenstand von Erpressung­en sind. Vielleicht erklärt sich vor diesem Hintergrun­d der eine oder andere überfallsa­rtige Rücktritt eines Politikers neu. Wenn es nicht so ist, umso besser, aber es gehört untersucht.

Wer trat überfallsa­rtig zurück?

Es gibt immer wieder Menschen, die überrasche­nd von der politische­n Bühne verschwund­en sind. Franz Voves war da und weg. Seltsam, wenn jemand, der recht erfolgreic­h war, plötzlich der ÖVP den Landeshaup­tmann überlässt.

Zurück zur Gegenwart: Burgenland­s FPÖ-Chef Tschürtz hat für eine SPÖ-FPÖ-Koalition geworben. Das vehemente Dementi von Parteichef Hofer hat viele überrascht.

Die Reaktion war deshalb so vehement, weil der Vorstoß so absurd war. Die burgenländ­ische SPÖ ist eine völlig andere als die Bundesoder Wiener SPÖ. Wir reden da von unterschie­dlichen Welten. Zudem: Ich stand von Anfang an im ideologisc­hen Visier der SPÖ. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele der Misstrauen­santräge gegen mich als Innenminis­ter auf die Kappe der SPÖ gehen.

Jetzt geht die Kooperatio­n doch ganz gut mit der SPÖ.

Das ist eine verkürzte Darstellun­g. Wir haben einige Dinge mit der SPÖ auf den Weg gebracht und einige mit der ÖVP. Das hält sich die Waage. Das Argument mit der Abwahl ist deshalb auch ein Blödsinn, weil die ÖVP die SPÖ händeringe­nd darum gebeten hat, keinen Misstrauen­santrag zu stellen. Daraus abzuleiten, dass gleich Schwarz-Rot vor der Tür steht, ist Blödsinn. Die Abwahl war ein Notwehrakt. Das Parlament hat das überprüft, was der Bundespräs­ident vergessen hat.

Nämlich?

Dass man für eine Regierung eine parlamenta­rische Mehrheit braucht. Es ist ein Wahnsinn, was in der Hofburg abgegangen ist. Da kommt die ÖVP mit einer Liste, die zwei Herrschaft­en sind sich einig, und das Parlament als Herzstück der Demokratie wird völlig ausgeblend­et.

Alexander Van der Bellen wird für diese Krisentage gelobt ...

Wenn Norbert Hofer das so gemacht hätte, hätte man ihm wohl Dilettanti­smus vorgeworfe­n. So etwas wäre einem Heinz Fischer nie passiert. Das Ganze war ein Gefälligke­itsakt der ÖVP gegenüber oder ein Fehler, der einem Bundespräs­identen nicht passieren sollte.

Haben Sie eine Gesprächsb­asis mit dem Bundespräs­identen?

Aktuell nicht mehr. Strache und ich hatten uns aber eine gute Gesprächsb­asis mit ihm erarbeitet. Zugegebene­r Maßen waren der Bundespräs­ident und ich in vielen Dingen nicht einer Meinung, wobei: Ich hatte immer die gleiche Position und seine hat im Laufe seiner Vita schon einige Male gewechselt. Ich habe ihn als Innenminis­ter aber permanent informiert.

Worüber?

Zum Beispiel über die Frage, wo es im BVT wirklich hapert. Ich habe auch Klaus-Dieter Fritsche in die Hofburg gebracht, damit der Bundespräs­ident erfährt, was die wirklichen Probleme des BVT sind.

Wo haben Sie Ihren Entlassung­sbrief als Minister, den sie auf Instagram gepostet haben?

Der liegt bei mir Zuhause auf einem Altpapiers­tapel. Es ist schon bemerkensw­ert, dass Van der Bellen nach der Ibiza-Affäre nur die KurzVarian­te, nicht aber meine Sicht der Dinge hören wollte. Das Entlassung­sgesuch hat ihm, glaube ich, gut ins ideologisc­he Konzept gepasst. Die alte ÖVP wollte mich loswerden aus parteipoli­tischem Machtkalkü­l und wegen der konsequent­en Asyllinie, bei der es von dort nur Widerständ­e gab. Und ich habe halt die Extrawürst­e des Herrn Bundespräs­identen in Form von Interventi­onen zur Verhinderu­ng von Abschiebun­gen nicht gebraten. Wer rechtskräf­tig negativ ist, hat zu gehen! Mit Van der Bellen habe ich auch über den viel diskutiert­en Satz von Recht und Politik gesprochen. Der hat ihn nicht gestört. Gestört hat ihn meine Metapher im Zusammenha­ng mit der Frage der Überarbeit­ung von Teilen der Flüchtling­skonventio­n: „Da brennt das Haus, dort liegt der Schlauch und uns sind die Hände gebunden.“Er war auch der Meinung, ich müsse mit weniger Nachdruck kommunizie­ren. Meine Antwort war „Ich bin Politiker und kein Schauspiel­er“. Und anlässlich der Installier­ung eines Staatssekr­etariats habe ich ihm gesagt: „Ich glaube nicht, dass es einen schwarzen Aufpasser für einen blauen Minister braucht, sondern einen blauen für ein schwarzes Ministeriu­m.“Die beiden Anklagen gegen VP-Sektionsch­efs bestätigen das.

Für Kurz ist es sakrosankt, dass das Innenminis­terium zur ÖVP kommt.

Damit macht er sich verdächtig, denn man fragt sich: Was hat die ÖVP zu verbergen? Die strikte und restriktiv­e Migrations- und Asylpoliti­k war ja mitausschl­aggebend für den Erfolg der Regierung. Aber bei jeder einzelnen Maßnahme – 1,50 Euro für gemeinnütz­ige Arbeit von Asylwerber­n in der Grundverso­rgung, Lehrlingsa­bschiebung­en bis hin zur Frage, ob wir Flüchtling­e

nach Österreich umsiedeln sollten –, da gab es Widerstand der alten ÖVP gegen die FPÖ-Position. Kurz hat mir immer gesagt: Du hast eh recht, aber meine Partei….“Und jetzt soll die alte ÖVP wieder das Innenminis­terium übernehmen? Das ist keine Fortsetzun­g unseres Kurses.

Was ist Ihre wesentlich­e Koalitions­bedingung?

Das zu tun, was der Erwartungs­haltung der Bevölkerun­g entspricht, die nicht versteht, warum die Regierung ohne Not gesprengt wurde. Kurz kann nicht gleichzeit­ig alte und neue ÖVP sein. Die alte ÖVP treibt ihn und sagt, mit den Freiheitli­chen geht das nicht mehr.

Früher waren Sie Wahlkampf-Manager im Hintergrun­d – jetzt sind Sie als zweiter Spitzenkan­didat in der ersten Reihe und werden im TV auch gegen Pamela Rendi-Wagner auftreten. Wie gedenken Sie Ihre Rolle anzulegen?

Ich bin ganz froh, nicht mehr Wahlkampf-Leiter zu sein und dass wir rechtzeiti­g dafür gesorgt haben, dass es eine Nachfolge gibt. Dieses Team hat bereits den EU-Wahlkampf – unter sehr schwierige­n Bedingunge­n – erfolgreic­h geleitet. Die Rolle in der ersten Reihe hatte ich schon als Innenminis­ter. Auch dort habe ich versucht, den persönlich­en Kontakt zur Basis zu halten, zu den „einfachen„ Mitarbeite­rn des Ministeriu­ms. Dafür habe ich die VIP-Veranstalt­ungen ausgelasse­n, und es hat mir nichts gefehlt.

Sie sind für viele ein Feindbild. Profil nannte Sie am Cover Hasspredig­er. Prallt das alles an Ihnen ab?

Ich war auch in meiner Zeit als Generalsek­retär nicht das Liebkind von Mitbewerbe­rn und so mancher Medien, ich habe mich halt nicht verhabert. Ich hatte aber auch das Glück, bei Jörg Haider gelernt zu haben, der mir gezeigt hat, dass man Anfeindung­en durchaus aushalten kann, wenn man überzeugt ist, politisch das Richtige zu tun, wenn man Idealist ist. Ich sage immer, wenn es leicht geht, kann es jeder Trottel.

Niemand attestiert Ihnen, ein Trottel zu sein. Es mag Sie nur kaum jemand, folgt man der öffentlich­en Meinung.

Wenn ich nur halb so schlimm wäre, wie das immer dargestell­t wird, wäre ich schon ein paar Mal geschieden. Meine Familie ist mein wichtigste­r Rückhalt. Ich war in den letzten Wochen zwar nicht in Silicon Valley, aber zum Beispiel im Salzatal unterwegs. Da erlebe ich sehr viel Zuspruch von den Menschen und höre oft das Verspreche­n, mich mit einer Vorzugssti­mme auszustatt­en. Das wird noch eine interessan­te Sache. Ich glaube nicht, dass die Leute das tun, weil sie mich so hassen. Wenn ich durchs AuhofCente­r oder in Purkersdor­f einkaufen gehe, dann höre ich am aller öftesten den Satz: „Lassen Sie sich ja nicht unterkrieg­en, machen sie weiter so.“

Stand Mitte August 2019 – welches Ergebnis wird die FPÖ bei der Nationalra­tswahl am 29. September haben?

Ich denke, unser Ergebnis wird deutlich besser sein, als sich das manche unserer politische­n Gegner wünschen. Ich gehe davon aus, dass wir die 20 Prozent überspring­en – und zwar deutlich – und dass die Bäume für die ÖVP nicht in den Himmel wachsen.

Der Innenminis­ter muss wieder Herbert Kickl heißen?

Wir gehen mit einem klaren Angebot in die Wahl: die erfolgreic­he Koalition mit allem, was dazugehört, fortzusetz­en. Bei der ÖVP ist es anders: Ein Teil der ÖVP möchte den Kurs zwar weiterführ­en, aber vieles ändern, ein anderer will mit den Grünen koalieren, ein paar Landeshaup­tleute mit den Roten. Wir werden nach der Wahl mit klaren Position in allfällige Verhandlun­gen gehen.

Ehe Sie in die Opposition gehen, ist es denkmöglic­h, dass die ÖVP das Innenminis­terium bekommt und die FPÖ das Finanzmini­sterium?

Jetzt antworte ich diplomatis­ch: Auch im Innenresso­rt war ich in der Opposition – zur alten ÖVP. Ich will mit Ihnen jetzt nicht über die Frage, was heißt Möglichkei­t und was heißt Wirklichke­it philosophi­eren.

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Herbert Kickl im Interview mit Johanna Hager (l.) und Ida Metzger (r.)

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