Entlassungsbrief liegt beim Altpapier
Ex-Innenminister Kickl im Interview über die Ibiza-Nachwehen und Rot-Blau
KURIER: 32 von über 1.000 Seiten des FPÖ-Historikerberichts wurden präsentiert. Warum nicht alle? Herbert Kickl: Jetzt haben wir einmal eine komprimierte Fassung vorgelegt. Die Tatsache, dass wir die Präsentation in zwei Teile, eine komprimierte Fassung und dann eine Langversion, zerlegt haben, spricht für unsere redaktionelle Sorgfalt.
Was spricht dagegen, den ganzen Bericht online zu stellen?
Nichts. Das wird auch passieren, wenn die Gesamtversion redigiert vorliegt. Wir wünschen uns eine umfassende Diskussion, das ist ja auch der wissenschaftliche Zugang: Wir stellen unsere gut begründete Sicht der Dinge in den Raum, dann wird ein Diskurs geführt. Die Kritik, die vor Erscheinen des Berichts geübt wurde, ist für mich ein Herumsuhlen in Vorurteilen und keine redliche Auseinandersetzung.
Wissenschafter bezweifeln die Objektivität des Berichts, weil viele Autoren FPÖ-Miglieder sind.
Kommissionsleiter Wilhelm Brauneder hat wie andere Mitglieder ein wissenschaftliches Renommee, das über jeden Zweifel erhaben ist. Für einen Wissenschafter haben wissenschaftliche Kriterien zu gelten, unabhängig von seiner Weltanschauung. Ich wundere mich vielmehr in Zusammenhang mit dem Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands über die wissenschaftliche Qualifikation einzelner Mitarbeiter – wenn ich mir die Lebensläufe mancher anschaue, da gehe ja ich noch als Historiker durch.
Für Schlagzeilen sorgte ihr Ex-Kabinettsmitarbeiter, der IdentitärenChef Sellner vor seiner Hausdurchsuchung informiert haben soll.
Das ist eine Schmuddel-Kampagne, an der überhaupt nichts dran ist. Diejenigen, die diese Behauptung in die Welt gesetzt haben, sind aufgefordert, Beweise zu bringen oder den Mund zu halten. Ich kann ausschließen, dass es eine Warnung von Herrn Teufel oder von einem meiner Mitarbeiter gegeben hat. Als wir ins Ministerium kamen und zum ersten Mal mit einer Vorabinformation konfrontiert waren, haben wir sofort gesagt: „Wir wollen das gar nicht wissen! Informiert uns, wenn es entsprechende Amtshandlungen gegeben hat – also im Nachhinein.“Das ist diametral anders als die Vorgangsweise meiner Vorgänger.
An Ihrer Amtsführung gab es harsche Kritik. Von Ihrer PrätorianerGarde war auch im KURIER zu lesen.
Als ich ins Innenressort kam, hatte ich einen Chauffeur und im Auto saß ein Cobra-Mann. Dann gab es dahinter ein zweites Auto mit zwei weiteren Cobra-Männern. Ich habe das gleich abgestellt: Ich hatte einen Chauffeur, der bewaffnet war, und wenn die Gefährdungslage es verlangt hat, haben mich zwei LVTLeute begleitet. Das LVT ist zu zweit, die Cobra immer zu dritt. Ich habe das LVT genommen, weil es gesetzlich dafür vorgesehen ist. Wenn ich mit jemandem Kaffee trinken war, dann sind auch nicht am Nachbartisch die Cobra-Leute gesessen – wie ich das aber von Vorgängern kenne.
Was glauben Sie, wird von der BVTund Ibiza-Affäre übrig bleiben?
Es geht nicht ums Glauben, sondern um die Sachlage. Es geht um die inhaltlichen Fragen, wie: „Sind Gelder an die Parteien geflossen? Das kann ich für die FPÖ ausschließen. Und es geht bei Ibiza um die Frage: Wer sind die Hintermänner, die Auftraggeber dieses Videos?“Wenn jemand so einen Prozess aufbereitet, über Monate, wie man es von Nachrichtendiensten kennt, stellt man sich die Frage: „Haben diese Leute einmalig so gearbeitet oder ist das öfter zur Anwendung gekommen?“Ich glaube, wenn Heinz-Christian Strache nicht in die Offensive gegangen und Anzeigen formuliert hätte, dann würden die Behörden heute noch in der sprichwörtlichen Pendeluhr schlafen. Mich wundert die Trägheit, dass – das ist mein Stand der Dinge – bis zum heutigen Tag weder der Anwalt noch der Detektiv noch der Lockvogel einvernommen wurden.
Sie insinuieren damit zum erneuten Male, dass es Videos von anderen Parteien oder Politikern gibt.
Ich war doch eine Zeit lang Innenminister und habe im Nachhinein Kontakte, die mir sagen: In jedem anderen Land wäre der Verfassungsschutz mit allem, was er zu bieten hat, ausgerückt, um der Frage von Destablisierungsversuchen von Regierungen nachzugehen. Um zu untersuchen, ob es auch andere Leute gibt, die vielleicht Gegenstand von Erpressungen sind. Vielleicht erklärt sich vor diesem Hintergrund der eine oder andere überfallsartige Rücktritt eines Politikers neu. Wenn es nicht so ist, umso besser, aber es gehört untersucht.
Wer trat überfallsartig zurück?
Es gibt immer wieder Menschen, die überraschend von der politischen Bühne verschwunden sind. Franz Voves war da und weg. Seltsam, wenn jemand, der recht erfolgreich war, plötzlich der ÖVP den Landeshauptmann überlässt.
Zurück zur Gegenwart: Burgenlands FPÖ-Chef Tschürtz hat für eine SPÖ-FPÖ-Koalition geworben. Das vehemente Dementi von Parteichef Hofer hat viele überrascht.
Die Reaktion war deshalb so vehement, weil der Vorstoß so absurd war. Die burgenländische SPÖ ist eine völlig andere als die Bundesoder Wiener SPÖ. Wir reden da von unterschiedlichen Welten. Zudem: Ich stand von Anfang an im ideologischen Visier der SPÖ. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele der Misstrauensanträge gegen mich als Innenminister auf die Kappe der SPÖ gehen.
Jetzt geht die Kooperation doch ganz gut mit der SPÖ.
Das ist eine verkürzte Darstellung. Wir haben einige Dinge mit der SPÖ auf den Weg gebracht und einige mit der ÖVP. Das hält sich die Waage. Das Argument mit der Abwahl ist deshalb auch ein Blödsinn, weil die ÖVP die SPÖ händeringend darum gebeten hat, keinen Misstrauensantrag zu stellen. Daraus abzuleiten, dass gleich Schwarz-Rot vor der Tür steht, ist Blödsinn. Die Abwahl war ein Notwehrakt. Das Parlament hat das überprüft, was der Bundespräsident vergessen hat.
Nämlich?
Dass man für eine Regierung eine parlamentarische Mehrheit braucht. Es ist ein Wahnsinn, was in der Hofburg abgegangen ist. Da kommt die ÖVP mit einer Liste, die zwei Herrschaften sind sich einig, und das Parlament als Herzstück der Demokratie wird völlig ausgeblendet.
Alexander Van der Bellen wird für diese Krisentage gelobt ...
Wenn Norbert Hofer das so gemacht hätte, hätte man ihm wohl Dilettantismus vorgeworfen. So etwas wäre einem Heinz Fischer nie passiert. Das Ganze war ein Gefälligkeitsakt der ÖVP gegenüber oder ein Fehler, der einem Bundespräsidenten nicht passieren sollte.
Haben Sie eine Gesprächsbasis mit dem Bundespräsidenten?
Aktuell nicht mehr. Strache und ich hatten uns aber eine gute Gesprächsbasis mit ihm erarbeitet. Zugegebener Maßen waren der Bundespräsident und ich in vielen Dingen nicht einer Meinung, wobei: Ich hatte immer die gleiche Position und seine hat im Laufe seiner Vita schon einige Male gewechselt. Ich habe ihn als Innenminister aber permanent informiert.
Worüber?
Zum Beispiel über die Frage, wo es im BVT wirklich hapert. Ich habe auch Klaus-Dieter Fritsche in die Hofburg gebracht, damit der Bundespräsident erfährt, was die wirklichen Probleme des BVT sind.
Wo haben Sie Ihren Entlassungsbrief als Minister, den sie auf Instagram gepostet haben?
Der liegt bei mir Zuhause auf einem Altpapierstapel. Es ist schon bemerkenswert, dass Van der Bellen nach der Ibiza-Affäre nur die KurzVariante, nicht aber meine Sicht der Dinge hören wollte. Das Entlassungsgesuch hat ihm, glaube ich, gut ins ideologische Konzept gepasst. Die alte ÖVP wollte mich loswerden aus parteipolitischem Machtkalkül und wegen der konsequenten Asyllinie, bei der es von dort nur Widerstände gab. Und ich habe halt die Extrawürste des Herrn Bundespräsidenten in Form von Interventionen zur Verhinderung von Abschiebungen nicht gebraten. Wer rechtskräftig negativ ist, hat zu gehen! Mit Van der Bellen habe ich auch über den viel diskutierten Satz von Recht und Politik gesprochen. Der hat ihn nicht gestört. Gestört hat ihn meine Metapher im Zusammenhang mit der Frage der Überarbeitung von Teilen der Flüchtlingskonvention: „Da brennt das Haus, dort liegt der Schlauch und uns sind die Hände gebunden.“Er war auch der Meinung, ich müsse mit weniger Nachdruck kommunizieren. Meine Antwort war „Ich bin Politiker und kein Schauspieler“. Und anlässlich der Installierung eines Staatssekretariats habe ich ihm gesagt: „Ich glaube nicht, dass es einen schwarzen Aufpasser für einen blauen Minister braucht, sondern einen blauen für ein schwarzes Ministerium.“Die beiden Anklagen gegen VP-Sektionschefs bestätigen das.
Für Kurz ist es sakrosankt, dass das Innenministerium zur ÖVP kommt.
Damit macht er sich verdächtig, denn man fragt sich: Was hat die ÖVP zu verbergen? Die strikte und restriktive Migrations- und Asylpolitik war ja mitausschlaggebend für den Erfolg der Regierung. Aber bei jeder einzelnen Maßnahme – 1,50 Euro für gemeinnützige Arbeit von Asylwerbern in der Grundversorgung, Lehrlingsabschiebungen bis hin zur Frage, ob wir Flüchtlinge
nach Österreich umsiedeln sollten –, da gab es Widerstand der alten ÖVP gegen die FPÖ-Position. Kurz hat mir immer gesagt: Du hast eh recht, aber meine Partei….“Und jetzt soll die alte ÖVP wieder das Innenministerium übernehmen? Das ist keine Fortsetzung unseres Kurses.
Was ist Ihre wesentliche Koalitionsbedingung?
Das zu tun, was der Erwartungshaltung der Bevölkerung entspricht, die nicht versteht, warum die Regierung ohne Not gesprengt wurde. Kurz kann nicht gleichzeitig alte und neue ÖVP sein. Die alte ÖVP treibt ihn und sagt, mit den Freiheitlichen geht das nicht mehr.
Früher waren Sie Wahlkampf-Manager im Hintergrund – jetzt sind Sie als zweiter Spitzenkandidat in der ersten Reihe und werden im TV auch gegen Pamela Rendi-Wagner auftreten. Wie gedenken Sie Ihre Rolle anzulegen?
Ich bin ganz froh, nicht mehr Wahlkampf-Leiter zu sein und dass wir rechtzeitig dafür gesorgt haben, dass es eine Nachfolge gibt. Dieses Team hat bereits den EU-Wahlkampf – unter sehr schwierigen Bedingungen – erfolgreich geleitet. Die Rolle in der ersten Reihe hatte ich schon als Innenminister. Auch dort habe ich versucht, den persönlichen Kontakt zur Basis zu halten, zu den „einfachen„ Mitarbeitern des Ministeriums. Dafür habe ich die VIP-Veranstaltungen ausgelassen, und es hat mir nichts gefehlt.
Sie sind für viele ein Feindbild. Profil nannte Sie am Cover Hassprediger. Prallt das alles an Ihnen ab?
Ich war auch in meiner Zeit als Generalsekretär nicht das Liebkind von Mitbewerbern und so mancher Medien, ich habe mich halt nicht verhabert. Ich hatte aber auch das Glück, bei Jörg Haider gelernt zu haben, der mir gezeigt hat, dass man Anfeindungen durchaus aushalten kann, wenn man überzeugt ist, politisch das Richtige zu tun, wenn man Idealist ist. Ich sage immer, wenn es leicht geht, kann es jeder Trottel.
Niemand attestiert Ihnen, ein Trottel zu sein. Es mag Sie nur kaum jemand, folgt man der öffentlichen Meinung.
Wenn ich nur halb so schlimm wäre, wie das immer dargestellt wird, wäre ich schon ein paar Mal geschieden. Meine Familie ist mein wichtigster Rückhalt. Ich war in den letzten Wochen zwar nicht in Silicon Valley, aber zum Beispiel im Salzatal unterwegs. Da erlebe ich sehr viel Zuspruch von den Menschen und höre oft das Versprechen, mich mit einer Vorzugsstimme auszustatten. Das wird noch eine interessante Sache. Ich glaube nicht, dass die Leute das tun, weil sie mich so hassen. Wenn ich durchs AuhofCenter oder in Purkersdorf einkaufen gehe, dann höre ich am aller öftesten den Satz: „Lassen Sie sich ja nicht unterkriegen, machen sie weiter so.“
Stand Mitte August 2019 – welches Ergebnis wird die FPÖ bei der Nationalratswahl am 29. September haben?
Ich denke, unser Ergebnis wird deutlich besser sein, als sich das manche unserer politischen Gegner wünschen. Ich gehe davon aus, dass wir die 20 Prozent überspringen – und zwar deutlich – und dass die Bäume für die ÖVP nicht in den Himmel wachsen.
Der Innenminister muss wieder Herbert Kickl heißen?
Wir gehen mit einem klaren Angebot in die Wahl: die erfolgreiche Koalition mit allem, was dazugehört, fortzusetzen. Bei der ÖVP ist es anders: Ein Teil der ÖVP möchte den Kurs zwar weiterführen, aber vieles ändern, ein anderer will mit den Grünen koalieren, ein paar Landeshauptleute mit den Roten. Wir werden nach der Wahl mit klaren Position in allfällige Verhandlungen gehen.
Ehe Sie in die Opposition gehen, ist es denkmöglich, dass die ÖVP das Innenministerium bekommt und die FPÖ das Finanzministerium?
Jetzt antworte ich diplomatisch: Auch im Innenressort war ich in der Opposition – zur alten ÖVP. Ich will mit Ihnen jetzt nicht über die Frage, was heißt Möglichkeit und was heißt Wirklichkeit philosophieren.