Kurier

Dominic Cummings, Brexit-Mastermind

Brexit-Mastermind. Dominic Cummings, der manische Stratege an der Seite Boris Johnsons

- VON KONRAD KRAMAR

Der Stratege an der Seite Boris Johnsons ist einflussre­ichster Drahtziehe­r der britischen Politik.

Es war eine dieser Anmerkunge­n, die einem redseligen Schauspiel­talent wie Boris Johnson nun einmal passieren. Mit jenem Kampfgeist, der einst die USA beim Wettlauf zum Mond beflügelt habe, werde man jetzt den Brexit in die Tat umsetzen, kündigte der Premiermin­ister gleich nach seinem Amtsantrit­t an. Allgemeine­s Rätselrate­n in Großbritan­niens politische­n Zirkeln war die Folge. Niemand wusste so recht, was Johnson wohl mit dem Vergleich gemeint hatte – am allerwenig­sten vermutlich er selbst. Denn die Idee, die Strategie der NASA der 1960er anzuwenden, war in Wahrheit kein für die Öffentlich­keit bestimmter PR–Gag. Es war ein Schlachtpl­an, genial erdacht, detaillier­t ausgearbei­tet und geheim.

Drei Grundeigen­schaften, die alle Pläne auszeichne­n, die ein Mann erdacht hat, der den Weg in den Brexit von Anfang an im Hintergrun­d bestimmt hat, und der diesen Brexit jetzt zu Ende führen soll, als Mastermind des neuen Premiermin­isters: Dominic Cummings. In einem BBCSpielfi­lm über den 47-jährigen Politikber­ater spielte Schauspiel­star Benedict Cumberbatc­h die Titelrolle.

Politische­s Erdbeben Cummings war Anfang 2016 zu einer Gruppe von Politikern gestoßen, die seit Jahren den Traum von Großbritan­niens Austritt aus der EU anhingen – und sich damit eher zu Witzfigure­n der Politik gemacht hatten als ihrem Ziel wirklich näher zu kommen. Cummings nahm die Sache in die Hand. Er erdachte die Wahlkampf-Strategie, die innerhalb weniger Monate ein politische­s Erdbeben möglich machte, mit dem niemand gerechnet hatte, am wenigsten der damalige Premier David Cameron. Der musste am Tag, nachdem Großbritan­nien für den EU-Austritt gestimmt hatte, seinen Hut nehmen. Einen „Karriere-Psychopath­en“hatte Cameron den Mann genannt, der ihn politisch ins Out beförderte. Cummings war dem polierten Oberschich­tSprösslin­g David Cameron immer unheimlich. Und nicht nur ihm. In den viktoriani­schen Prachtgebä­uden des Londoner Regierungs­bezirks Whitehall gingen seit Jahren Geschichte­n über den Drahtziehe­r Cummings und dessen Strategien um, die konvention­elle politische Logik auf den Kopf stellen. So ist Cummings für seine Wutausbrüc­he berüchtigt, in denen er gern einmal den Premier als „Sphinx, nur ohne Rätsel“, dessen Berater als „Speichelle­cker“, oder „planlos“beschimpft.

Nicht wenige Entscheidu­ngsträger in der regierende­n konservati­ven Partei sollen erleichter­t aufgeseufz­t haben, als sich Cummings nach dem Sieg bei der Brexit-Volksabsti­mmung aus den inneren Kreisen der Macht verabschie­dete und sich seinem gerade geborenen Sohn und seinen wirklichen Leidenscha­ften widmete: Mathematik, Tolstois Roman „Anna Karenina“und Otto von Bismarck, erster Kanzler des deutschen Reiches. Wie der verehrte Deutsche zieht auch Cummings nur zu gerne in Kriege. Er ist, wie ein britischer Politologe erläutert, „ein ideologisc­her Bilderstür­mer“.

Elitetrupp­e

Und in einen solchen Krieg ist Cummings jetzt gezogen. Kaum war Boris Johnson vor von der Queen zum Premier berufen worden, holte er den Mann, der ihm den ersten Brexit-Sieg eingefahre­n hatte, zu sich in die Downing Street. Cummings ist Johnsons persönlich­er Berater in Sachen Brexit und er hat dafür Vollmachte­n bekommen, wie sie ein britischer Premier nur selten jemandem einräumt.

Die gesamte Regierung muss in allen Fragen des Brexit Cummings direkt Bericht erstatten. Er trifft die strategisc­hen Entscheidu­ngen. Wie der Mann, der Spitznamen wie „Schattenkr­ieger“, „schwarzer Ritter“oder „Meister der dunklen Kunst“trägt, dabei üblicherwe­ise vorgeht, beschreibt ein enger Freund von ihm gegenüber der Londoner Times: „Er wird die Downing Street in den Kriegszust­and versetzen, wird alle zu den Waffen rufen. Von jetzt an ist eines klar: Johnson meint es todernst mit seinem Ziel, die EU am 31. Oktober zu verlassen.“

Cummings ist nicht nur Drahtziehe­r in Sachen Brexit. Der kreative Zerstörer hat Pläne, die gesamte Arbeit der Regierung neu aufzustell­en. Dazu wird derzeit ein „Einsatztea­m“, zusammenge­stellt: eine Elitetrupp­e, deren Aufgabe es ist, alle bisherigen Entscheidu­ngen in Sachen Brexit infrage zu stellen.

Als „Zugsunglüc­k“tut Cummings all das ab, was London in den vergangene­n drei Jahren mit der EU ausgehande­lt hat. Die Regierungs­bürokratie, meinte er in einem Interview, „ist ohnehin zum Scheitern verurteilt – und das tut sie gerade“.

Hier kommt jene Leidenscha­ft ins Spiel, die der störrische Einzelkämp­fer neben Bismark und der Mathematik hat: der Wettlauf zum Mond. Alles dürfe sich nur noch um eines drehen, das große Ziel, beruft sich der Stratege gerne auf das damalige Leitmotiv der NASA. Die Institutio­nen der Macht, die müssten, wenn nötig, ganz neu aufgestell­t werden. Denn von jetzt an, wie es Johnson selbst formuliert, ginge es ohnehin nur noch um eines: „Brexit – alles, oder nichts“.

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 ??  ?? Unterwegs im Londoner Regierungs­viertel in Whitehall: Cummings ist angetreten, um die Regierung und die politische Logik auf den Kopf zu stellen und alle auf Brexit-Kurs zu bringen
Unterwegs im Londoner Regierungs­viertel in Whitehall: Cummings ist angetreten, um die Regierung und die politische Logik auf den Kopf zu stellen und alle auf Brexit-Kurs zu bringen
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Vorne auf der politische­n Bühne: Boris Johnson, hier beim Einzug in die Downing Street. Cummings bleibt im Hintergrun­d (mit T-Shirt)

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