Mario Kempes, Weltmeister
Vor dem 125. Geburtstag von Österreichs ältestem Klub stellen sich WM-Schützenkönig Mario Kempes und Hans Krankl einem verbalen Doppelpass. Beide hatten einst für den Jubilar gespielt.
Der Argentinier kickte später auch für die Vienna und plaudert mit Hans Krankl.
Am 22. August wird die Vienna 125 Jahre alt. Mario Kempes kommt zur Geburtstagsfeier aus den USA angeflogen. So wie der argentinische Weltmeister spielte auch Österreichs 78er-WM-Held Hans Krankl vorübergehend bei der (inzwischen in die vierte Liga abgerutschten) Vienna. In Wien waren sie 1986, als Kempes sein Vienna-Debüt feierte und Krankl für den Sportclub stürmte, Gegner im mittleren Play-off.
Ansonsten orten K & K viele Gemeinsamkeiten. Beide wurden bei der WM 1978 internationale Größen. Beide wurden in Spanien Schützenkönig. Beide wollen nicht mehr Trainer sein. Beide sind TV-Analytiker. Beide beneiden die heutigen Stars nicht um ihre obszön hohen Gagen.
KURIER: Abgesehen von Ihren Toren – gab es bei der WM 1978 in Argentinien ein Schlüsselerlebnis, das sie nie vergessen werden?
Kempes: Es gab kein Schlüsselerlebnis. Ich lernte aber etwas fürs Leben: Wenn du eine Mannschaft hast, diese auf ein Ziel einschwörst und jeder seine persönlichen Ziele hinten anstellt, kann man erreichen, wovon man träumt.
Krankl: Córdoba, das weiß eh ein jeder. Weil es amol in 50 Jahren passiert, dass Österreich gegen Deutschland ein Bewerbsspiel g’winnt.
War es schwer, den Rummel um Ihre Person nach der WM zu verkraften?
Kempes: Es ist wichtig, mit den Füßen am Boden zu bleiben, auch wenn du auf einmal für etwas gehalten wirst, was du vorher nicht warst. Die WM war etwas Einzigartiges. Und dennoch fühlt man sich besser, wenn man die Fähigkeit hat, das Ganze zu relativieren, und sich nicht größer macht, als man ist.
Krankl: Es war ein tolles Gefühl, wie wir auf dem Flughafen in Schwechat von den Leuten fast zerdrückt wurden vor Begeisterung, wie wir aus der Halle getragen wurden.
Wie war möglich, dass Sie als Weltstar zur Vienna gekommen sind?
Kempes: Offen gesagt: Ich kann mich nicht mehr an alle Details erinnern. Ich war damals bei Hércules Alicante. Das Angebot kam im Februar 1986. Ich weiß nicht, wieso gerade Österreich. Es hätte auch Russland oder ein anderes Land sein können. Die Wahrheit aber ist: Ich hatte eine fantastische Zeit in Österreich. Gerne würde ich die Zeit noch einmal zurückdrehen. Es war ein wichtiger Abschnitt meines Lebens.
Krankl: Weil ich vom Nationalteam einen Tag später nach Barcelona gekommen bin, hat mich der vom Co-Trainer zum Chef aufgestiegene Señor Rife aus dem Kader gestellt. Er hatte auch mit anderen Spielern Streit und ist bald g’stanzt worden. Aber ich war sowas von dickschädlert, dass ich nix wie weg wollte. Und das haben mir der Doktor Fani, der Herr Michelitsch und der damalige deutsche Vienna-Präsident Krause rasch ermöglicht.
Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Vienna?
Kempes: Besonders gerne erinnere ich mich an Klassiker wie das kleine Wiener Derby gegen den Sportclub. Die Duelle K vs K., Krankl gegen Kempes. Zum ersten Derby auf der Hohen Warte kamen 15.000 Menschen, so viele wie schon lange nicht mehr. Wir haben 1:0 gewonnen. Unter Trainer Ernst Hlozek habe ich damals hinter den Spitzen agiert. Ich war mehr Vorbereiter als Vollstrecker. Das war eine neue Position für mich. Ich glaube, dass die Menschen gespürt haben, dass hier nicht nur der Weltmeister am Werk war, sondern ein leidenschaftlicher Kicker, der alles für seine Mannschaft gegeben hat.
Krankl: Es war ein schönes halbes Jahr bei der Vienna, ehe ich zurück nach Barcelona ging. Als Mario sechs Jahre später zur Vienna kam, sah ich viele Parallelen zwischen uns. Ja es war noch unglaublicher, dass einer wie Kempes nach Österreich gewechselt ist. Für mich war er 1978 mehr als nur Weltmeister. Er war der beste Spieler der WM. Ich habe ihn später persönlich kennen und schätzen gelernt. Ein toller Bursche.
Messi oder Maradona? Wer ist (nicht körperlich gemeint) der Größere?
Kempes: Ich weiß nicht, ob Maradona der beste Spieler aller Zeiten ist. Bis Anfang 90 war er auf jeden Fall der beste Spieler der Welt. Heute ist es Messi. Er ist Argentinier. Deshalb müssen wir ihn respektieren und stolz auf ihn sein.
Krankl: Für mich war seinerzeit Johan Cruyff der Allerbeste, mein Idol. Aber inzwischen sage ich: Messi ist der Beste, den ich je gesehen habe. Meine All-Time-Rangliste: 1. Messi, 2. Cruyff, 3. Maradona, 4. Ronaldo, 5. Georgie Best. Ich hoffe, dass ich keinen vergessen habe.
Messi fehlt noch immer der WM-Titel – ein Makel?
Kempes: Auch der große Cruyff ist nie Weltmeister geworden. Wird deshalb irgendjemand von einem Makel sprechen? Ich denke nicht. Krankl: Im Fußball hängt selbst ein Messi von der ganzen Mannschaft ab, obwohl er nicht nur bei Barça, sondern auch in Argentinien rund um sich tolle Spieler hat.
Seit 33 Jahren ist Argentinien nicht mehr Weltmeister geworden. Ist das Pech, oder gibt es Gründe dafür?
Kempes: Es gibt viele Länder, die noch nie Weltmeister waren. Es gibt andere, die mehr als einmal gewonnen haben. Auch jene, die schon Weltmeister waren, mussten Dürreperioden akzeptieren. Argentinien war zwei Mal Weltmeister. Ich bin überzeugt, dass die Zeit kommt, in der wir es wieder werden.
Krankl: Die Argentinier haben nach wie vor so viele Klassekicker, dass sie immer zu den Favoriten zählen werden.
Was hat sich am Fußball gegenüber Ihrer aktiven Zeit am meisten verändert?
Kempes: Das Augenscheinlichste ist, dass die Spieler besser geschützt werden. Dem Spieler wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Er achtet auch mehr auf sich. Natürlich hat sich insgesamt sehr viel verändert. Ob früher alles besser war? Für mich war es weder vorher besser, noch ist es jetzt schlechter.
Krankl: Alle sagen natürlich die Athletik, das Tempo. Früher hat man zudem nur die Manndeckung gekannt. Auf die Raumdeckung ist man erst später gekommen. Es wird heute viel, viel mehr Wert auf taktische Systeme gelegt. Dabei wird aber auch übertrieben. Vor allem mit immer neuen Fachausdrücken wollen sich manche als g’scheiter darstellen als sie
sind. Große Spiele werden – Taktik hin oder her – nach wie vor von den ganz großen Spielern entschieden.
Macht Ihnen die Entwicklung des Fußballs Sorgen? Sind 150 Millionen Euro für einen Spieler berechtigt?
Kempes: Egal ob 150, 200 oder 300 Millionen Euro – das ist immer eine Frage von Angebot und Nachfrage. Das sind die Gesetze des Marktes. Wenn einer den Preis aufruft und der andere bereit ist, ihn zu zahlen, geht der Deal über die Bühne. Natürlich sind die Zahlen schwindelerregend und zum Teil verrückt.
Krankl: Hätte man dieses Gagen zu meiner Spielerzeit gezahlt, wäre ich Multimillionär. Aber ich bin keinem neidig. Ob die Summen, die öffentlich kolportiert werden, auch immer tatsächlich fließen – ehrlich, ich bin mir da nicht so sicher. Aber ich mache mir um die Entwicklung Sorgen. Irgendwann wird es einen schrecklichen Schnalzer machen.
Wo wird der beste Fußball gespielt? In Südamerika, Spanien, Frankreich, England, Italien oder Deutschland?
Kempes: Zuletzt waren sicher die Engländer tonangebend. Vier englische Vereine haben sich Champions-League- und Europa-League-Finale untereinander ausgemacht. Aber das sagt noch nichts. Man darf nicht vergessen, dass es im heutigen Fußball so irre schnell geht. Es wird auch in der nächsten Saison wieder viele Überraschungen geben.
Krankl: Ich bin kein Freund von Statistiken. Doch manchmal sind sie richtig. Derzeit sprechen sie für England. Ich glaube aber, dass die Spanier den anspruchsvollsten Fußball spielen.
Beneiden Sie die aktuelle Spielergeneration? Oder sind Sie froh, dass mit der Social-Media-Hysterie nichts zu tun haben?
Kempes: Ich werde nie auf den Fortschritt des Sports, auf neue Generationen und auf den Erfolg der Spieler neidisch
sein. Solange die Spieler uns eine gute Show bieten, werden wir uns auf den Fußball freuen.
Krankl: Die Hysterie ist nicht mehr normal. Ich will auch deshalb nicht mehr Trainer sein. Ich beneide die heutige Generation bei all dem vielen Geld nicht. Im Gegenteil: Spieler und Trainer stehen auch im Privatleben ständig unter Beobachtung. Mit dem ganzen Social-Media-Dreck. Wenn ich allein an das Video über den Hinteregger denke – das ist ist alles nicht mehr lustig.
Viele Stars Ihrer Generation plagen – bedingt durch jahrelange Überbelastung – gesundheitliche Probleme. Können Sie in der Früh schmerzfrei aufstehen? Und laufen Sie gelegentlich noch bei Promi-Kickerln ein?
Kempes: Wird man älter, erlebt man immer Überraschungen. Eines Tages wacht man mit Schmerzen auf, am nächsten Tag geht es wieder besser. Das Wichtigste ist, wenn man weiß, dass man sein Leben in vollsten Zügen gelebt hat. Ich bin zufrieden mit dem, was ich getan habe, und ich bin auch sehr happy mit dem, was ich jetzt tue.
Krankl: Einmal in der Woche spiel ich seit zig Jahren mit alten Freunden Fußball. Am Samstag. Dann tut mir am nächsten Tag von den Knien ang’fangen alles weh. Doch ab Montag, Dienstag geht’s wieder.
Tango oder Walzer?
Kempes: Ich lebe zurzeit in den USA. Insofern vermisse ich den Tango, aber insbesondere das Cuarteto, eine Spielform der argentinischen Popmusik, die aus Córdoba kommt. So wie ich. Wenn ich in Wien wäre, würde ich mir eine großartige Show ansehen und Walzermusik hören. Eine meiner vier Töchter, die Magali, lebt übrigens im schönen Wien.
Krankl: Rock ’n’ Roll. Seit 15 Jahre tret’ ich mit der Band Monti Beton auf, das nächste Mal am 17. August im Waldviertel. Das macht mir nach wie vor einen Riesenspaß.