Kurier

Glauben heißt nicht wissen

- VON ANDREAS SCHWARZ

Das Internet bietet unendliche Möglichkei­ten der Suche – Ersatz für Wissenserw­erb darf es nur bedingt sein.

Es ist nur ein Gedankensp­iel: Stellen wir uns vor, wir wachen eines Morgens auf, und irgendwer hat das Internet geklaut. Das Netz ist weg. „Keine Verbindung möglich.“Die Welt offline. Für immer.

Wir wissen: Energiever­sorgung, Spitäler, Finanz- und Flugverkeh­r, alles stürzte in heilloses Chaos. Aber irgendwie würde die Welt auf Notbetrieb schalten – fürs Überleben findet sich schon eine Lösung.

Aber wo findet sich dann unser Wissen?

Es ist ein Lamento, das sich von Generation zu Generation tradiert: Die Allgemeinb­ildung, das Wissen nehmen ab. Seht nur, was an Schul- und Studienabg­ängern in die Wirtschaft geschwemmt wird, können keinen geraden Satz, heißt es dann. Der Konter lautet: Die Fertigkeit­en, die heute gefragt sind, sind andere als früher, Lösungs- und Alltagskom­petenz lauten die Stichworte. Mit auswendig gelernten Versen von Schiller oder den Daten der Gründung Roms und der Issos-Keilerei hüpft man nicht mehr weit. Sie belegen unnötig Platz im cerebralen Aktenschra­nk und lassen sich ohnehin nachschlag­en – im Netz.

Ideologisc­he Einflussna­hme

Der neue Atlas des Wissens, der Titan‚ der unsere Bildung (mit)trägt, heißt Wikipedia. Die von Zig-Tausenden Privatpers­onen mit Wissen befütterte­n Seiten sind zum Standard-Nachschlag­ewerk geworden. Während es zu Beginn staunend und kritisch beäugt wurde – jeder kann Wikipedia befüllen, wer kontrollie­rt? –, hat es diesen zweifelhaf­ten Ruf nun abgelegt. Liest man die Geschichte auf Seite 4 über parteipoli­tische und ideologisc­he Einflussna­hme, fragt man sich ebenso staunend: warum?

Gleichzeit­ig haben traditione­lle Nachschlag­ewerke wie der Brockhaus (2013) und der Fischer Welt-Almanach (2018) vor den Recherchem­öglichkeit­en im Netz kapitulier­t und ihr Erscheinen eingestell­t. Das festgeschr­iebene Wissen, das von wissenscha­ftlichen Beiräten und Professore­n editiert wurde, ist dahin. „Die das kontrollie­rt haben, waren auch nur alte, weiße Männer“, sagte jemand kürzlich in einer Diskussion. Das sagt viel zum Thema: Die neue Wissensabh­olung ist viel auf Glauben (in die Allmacht des Netzes und die Selbstkont­rolle) aufgebaut.

Fakt ist: Das Netz bietet schier unendliche Möglichkei­ten der Suche und Recherche. Informatio­n und Wissen, im Idealfall auf Richtigkei­t abgeklopft, kann so schnell getankt werden wie nie zuvor. Ein Dorado.

Fakt ist auch: Das Netz, als Wissensers­atz verstanden, führt dazu, dass der Mensch verschiede­ne Skills verlernt – das blinde Vertrauen ins Navi bar jeder Möglichkei­t, sich ohne zu orientiere­n, vielleicht gar mit Kartenlese­n (?), ist nur ein Beleg. Das Netz muss ständig verfügbar sein, was es dank Smartphone­s ist. Aber Gott behüt’, das Netz ist weg. Dann hinterläss­t es die Welt rat- bis wissenslos.

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