Kurier

Wikipedia – ein Fall für die Politik

Stimmungsm­ache im Netz. „Alle Parteien bearbeiten Artikel“, sagt ein Vorstand im Wikimedia-Verein

-

CHRISTOPH SCHATTLEIT­NER

„Es ist nicht Dein Artikel“, lässt der Wikipedia-Administra­tor namens „Tsui“den Benutzer „Kritischer Berichters­tatter“wissen – er könne über den Wikipedia-Artikel zur Ibiza-Affäre nicht frei verfügen. Die Wahrheit werde auf dem Online-Lexikon nicht im „Kopf durch die Wand“Stil eines einzelnen Users durchgeset­zt, sondern gemeinsam in Diskussion­en erarbeitet. Basta.

Es ist 22.12 Uhr, zwei Tage, nachdem das Ibiza-Video aufgetauch­t ist. Was bedeutet es politisch? Wie kann man es vielleicht für seine eigenen Zwecke instrument­alisieren? Darüber liefern sich User eine Schlacht. Sie sitzen irgendwo in Österreich. Für die breite Öffentlich­keit anonym.

Das ist ein Sonder-, aber kein Einzelfall. Politische Parteien oder Interessen­sgruppen haben Interesse daran, Wikipedia-Artikel zu beeinfluss­en. Allein schon wegen der Reichweite: Während der Ibiza-Affäre wurden die entspreche­nden Wikipedia-Artikel fast zwei Millionen Mal aufgerufen Der Wikipedia-Artikel über Brigitte Bierlein wurde alleine an einem Tag mehr als 180.000mal aufgerufen (das ist mehr als reichweite­nstarke Texte großer Nachrichte­nseiten erzielen). Außerdem: Bei Wikipedia ist das Bearbeiten eines Artikels nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht; es ist das Herzstück der offenen Plattform. Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit – für Wikipedia gilt das wohl besonders stark. Und Pressespre­chern, die Journalist­en am liebsten diktieren, wie eine Überschrif­t zu lauten hat, wird wohl warm ums Herz.

Ibiza aus SPÖ-Umfeld „Kritischer Berichters­tatter“ist wohl so einer mit politische­m Auftrag. Dafür spricht, dass er sich nur registrier­t hat, um Minuten danach den Wikipedia-Beitrag „Ibiza-Affäre“zu erstellen (zur Sicherheit hat er auch Beiträge zu Ibiza-Skandal“und „Ibiza Gate“eingericht­et). Er verfasst auf einen Schlag 21.000 Zeichen zu Ibiza (zum Vergleich: Diese Zeitungsse­ite hat ungefähr 8.000 Zeichen). Er löscht die „massive ProKurz-Perspektiv­e“eines anderen Autors und versucht, Kritik an Kurz in den Artikel zu bringen: „Das Ansehen des Bundeskanz­lers wurde durch die Affäre beschädigt“, argumentie­rt „Kritischer Berichters­tatter“. Als Beleg dafür verlinkt er den SPÖ-Blog kontrast.at; Titel des Beitrags: „Strache beschrieb in weiten Teilen die Politik der Kurz-Regierung.“Er kommt damit nicht durch: „Tsui“löscht die Bearbeitun­gen und sperrt den User.

Dass „Kritischer Berichters­tatter“parteipoli­tische Interessen verfolgt, hält auch Thomas Planinger für plausibel. Planinger ist das österreich­ische Wikipedia-Urgestein und Vorstandsm­itglied im ösSebastia­n Kurz Heinz-Christian Strache Ibiza-Affäre Brigitte Bierlein Johann Gudenus Herbert Kickl Alexander Van der Bellen

Newspapers in German

Newspapers from Austria