Kinderspielzeug an die Macht
Regisseur Josh Cooley über Animation, #MeToo und das Ende der Erfolgsfilmreihe
GABRIELE FLOSSMANN
Puppen haben Saison. Zumindest im Kino. Schon am ersten Wochenende hat „Toy Story 4“in den USA 104 Millionen Euro eingespielt – eines der besten Ergebnisse in der Geschichte des Trickfilms.
Der 1995 entstandene Teil 1 dieser Spielzeug-Storys war der erste vollständig computeranimierte Spielfilm. Auch im vierten Teil wurde kein einziges Bild von einer Kamera gedreht.
Hochleistungscomputer errechneten in mehr als einhunderttausend Stunden das kunterbunte Leben von Spielzeugfiguren.
Im Mittelpunkt steht Woody, ein Western-Sheriff aus Plastik, der in allen Neuankömmlingen im Kinderzimmer eine Konkurrenz um die Gunst des „Chefs“sieht eines kleinen Buben namens Andy. Woodys größter Rivale war in den bisherigen Folgen Buzz Lightyear, ein Weltraumpolizist mit Laserfunktion und großem Ego.
Die warmherzige Geschichte von Buzz und Woody unterhielt und rührte weltweit das Publikum. In der vierten Folge von „Toy Story“, die am Donnerstag ins Kino kommt, herrscht Alarm in der Spielzeugtruhe des Kinderzimmers. Denn Andy ist erwachsen und von Zuhause ausgezogen. Seine einstige Bleibe soll entrümpelt werden. Woody und Buzz Lightyear sehen sich gezwungen, gemeinsam um die Gunst anderer Kinder zu werben – bevor sie im Müll landen.
Die Regie hat das PixarStudio dem Neuling Josh Cooley anvertraut. Mit Woody und Buzz Lightyear konnte er sich, wie er im Interview betont, sehr schnell anfreunden.
KURIER: An den großen zeitlichen Abständen zwischen den „Toy Story“-Folgen kann man ermessen, wie lange es dauert, einen Animationsfilm in dieser Qualität herzustellen. Sie waren selbst einmal Schauspieler. Dachten Sie in den Jahren der Herstellung dieser Folge nicht manchmal, ob Sie lieber Filme mit menschlichen Darstellern machen sollten?
Josh Cooley: Das ist eine berechtigte Frage. Schauspieler und Regisseur können immer wieder aus einem Augenblick heraus etwas Neues kreieren. Im Trickfilm muss man jeden einzelnen Kader zeichnen. Man darf auch nicht glauben, dass man mit Computeranimationen Josh Cooley: „Für mich ist Animation wie eine Droge“ schneller vorankommt als mit handgezeichneten Bildern. Im Gegenteil. Nichts entsteht da spontan – obwohl es dann auf der Kinoleinwand so wirken soll. Vielleicht erfinden wir deshalb am Liebsten Geschichten über menschelnde Spielzeugfiguren, Tiere oder Autos, die in der realen Welt nicht vorkommen. Denn sonst wäre es tatsächlich einfacher und schneller mit menschlichen Schauspielern zu drehen. Aber für mich ist Animation wie eine Droge.
Es scheint so, als hätte die #MeToo-Debatte auch Ihren Animationsklassiker eingeholt. Es gab in „Toy Story 2“eine Szene, in der der Goldgräber „Stinke Pete“einer Barbie-Dame über die Hand streicht und verspricht, eine Rolle in „Toy Story 3“zu besorgen. Diese Szene gibt es in der Neuveröffentlichung des Films nun nicht mehr. Gab es auch Vorgaben für Teil 4?
Disney hat am Liebsten alles unter Kontrolle – auch das Marketing und die Filmplakate. Aber dass die weiblichen Spielzeugfiguren selbstbewusster auftreten und größere Rollen spielen, das war auch ganz in meinem Sinne – und das schon vor der #MeToo-Debatte. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten wir mit dem Film längst begonnen.
Woody darf sogar eine Romanze mit einem weiblichen Spielzeug haben. War das auch Ihre Idee?
Diese Liebesgeschichte haben wir im Studio gemeinsam entwickelt. Es geht ja auch darum, dass wir ein erwachsenes Publikum ansprechen wollen. Eltern und Großeltern, die mit ihren Kindern ins Kino kommen. Ich habe zum Beispiel meine Kinder gefragt, worum es in „Toy Story“geht – und sie haben gesagt, dass es um Spielzeug geht, das Angst hat, verloren zu gehen. Ich fand das interessant, weil für mich Woody und Buzz eher Angestellte in einem Kinderzimmer sind, die Angst haben, ihren Job zu verlieren. Außerdem mussten wir mit Woody in eine neue Richtung gehen – in Richtung Freiheit. Denn der vierte Teil von „Toy Story“ist wahrscheinlich auch der letzte.
Um zu einer existenziellen Frage zu kommen: Könnten die in Ihrem Film noch menschenähnlicher gewordenen Spielzeugfiguren auch helfen, uns an humanoide Roboter gewöhnen, die sich ja zunehmend zum Begleiter und zum Pflegepersonal von Menschen entwickeln?
Daran hatte ich noch nicht gedacht, aber ich verstehe, was Sie meinen. Es stimmt, dass diese Roboter immer mehr nach Spielzeugen designt werden – mit Gesichtern, die dem KindchenSchema entsprechen. Wir werden uns wohl früher oder später alle daran gewöhnen müssen – mit oder ohne Animationsfilm. Aber solche Gedanken sollten „Toy Story 4“nicht belasten. Mit diesem Film wollen wir vor allem gut unterhalten.