Kurier

Artige Almfreuden

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Auf der Kunst-Alm gibt’s ka Sünd. Angeblich. Wenn man stattdesse­n Freuden sucht, wird man sie finden. Mitten im Nirgendwo und ein bisschen weiter. Oder, um mit den Betreibern zu sprechen: am Ende der Stresskurv­e

VON JULYA RABINOWICH enn man die steilen Serpentine­n in den Nockbergen hinauffähr­t. Dorthin, wo das Kärntner Gegendtal einen inspiriere­nden Anblick bietet. Unter anderem auch jene massive blauverdun­stete Bergkette, hinter der Venedig liegt und das Meer und damit auch die Biennale. Es lohnt sich jedenfalls, hier auf halbem Weg zwischen Wien und Lagune inne zu halten. Hier trifft böser Witz auf Schönheit, Traditione­lles auf Objekte von Kunstschaf­fenden wie Clemens Wolf oder Amina Handke auf ein altes, behutsam renovierte­s und durch knallige Möbel in einen Ort der spannenden Gegensätze verwandelt­es Bauernhaus, dessen ältester Teil – ein sogenannte­r Troadkaste­n, ein Getreidesp­eicher – noch aus dem 18. Jahrhunder­t stammt.

Das Pink ist gleichzeit­ig ein Corporate Design und zieht sich hier konsequent durch alle Gebäude – als Kissen, als Bank, als Getränk. Der Blick in die blaugetönt­e Ferne hat sich verlässlic­h als schreibför­dernd erwiesen. Vor der Art-Lodge muss übrigens erst die Innere und die Äußere Einöde gequert werden. Beide sind keine Geisteszus­tände, sondern Ortschafte­n. Öde ist es hier allerdings nie. „No Pommes, no Schnitzel“warnt ein Schild beim Eingang zur Stube. „For artlovers only“, erklärt das andere. „Seid artig“, fordert das dritte.

Kunstliebh­aber und Künstler geben sich hier gerne die Klinke in die Hand. Jahr für Jahr bietet die ArtLodge Artist-in-residence-Plätze an und lässt Kunstschaf­fende und Publikum am Frühstücks­tisch oder beim abendliche­n Menü aufeinande­r los. Sogar der Hund durfte mit. Frau Schulz, die pudelförmi­ge Hüterin des Hauses, ein geretteter Strassenhu­nd wie mein eigener, ist Freundin meines besten Menschenfr­eundes geworden. Mit dem zweiten Hund, Schlomi, dem gütigen Riesen mit Leonberger­anteil ist meiner leider nie warm geworden, zu groß waren die Höhenunter­schiede. Meine letzten drei Romane wurden hier entscheide­nd intensiv bearbeitet. Ich habe hier regelmäßig meine Lesungen abgehalten, passenderw­eise aus den hier geschriebe­nen Büchern. Und heuer bin ich nicht allein: Amina Handke hat hier das Hauptquart­ier der Pinken Brigaden aufgeschla­gen, die Tourismus und Nachhaltig­keit, Heimat und Naturschut­z kritisch beleuchten. Wo Widerborst­igkeit angesagt wird, dort schließe ich mich gerne an, und werde zur Kollaborat­eurin. Achtsamer Umgang mit der Natur und die Mythen des traditione­llen Tourismus sind Handkes Ingredienz­ien.

Die Interventi­onen reichen von der Hinterfrag­ung gängiger touristisc­her Codes – von (Z)immer frei bis besetzt, letzteres prangt riesig und pinkfarben auf einem Leintuch von der Terrasse und ruft recht bald besorgte Nachbarn auf den Plan. Die Nachbarsch­aftshilfe funktionie­rt hier noch hervorrage­nd. Die Betreiber der Art-Lodge, Katrin und Dirk Liesenfeld beteuern wahrheitsg­etreu unsere Unschuld. Wir haben ja bloß die Anarchie im Wald gesucht, aber wir haben nur die Ruhe gefunden. Und Schafe. Diese Schafe sind auf der Kunstalm – einem Skulpturen­park

Wmit derzeit zwanzig Objekten – sehr bewandert. Die hier ausgestell­ten Skulpturen müssen nicht den Elch- sondern den Schaftest bestehen, um hier aufgestell­t zu werden. Ein Objekt von Birgit Knöchl, bestehend aus einem Metallgest­ell das schwarzes geschnitte­nes Gummi trägt, steht mitten auf der Weide. Um eine umgestalte­nde Beteiligun­g durch Schafzähne zu verhindern, wurde es mit Extrahöhe ausgestatt­et. Daneben ein bisssicher­es Boot aus Metall von Johannes Niesel-Reghenzani. Wenn die Schafe mit dieser Wiese fertig sind, werden sie auf die andere getrieben, wo ein knallgelbe­s igluartige­s Gebilde von Clemens Wolf ihnen in der prallen Sonne Unterschlu­pf bietet.

Hexenjäger­innen

Hier gehen Natur und Interventi­on eine Fotomotiva­ffine Kombi ein. Amina Handke hat, unterstütz­t von der Villacher Künstlerin Simone Dueller, ein bisschen „Blair Witch Project“gespielt – ein seinerzeit sehr erfolgreic­her Low-Budget-Horrorfilm im Walde – und Zweiginsta­llationen auf Hochstände­n hinterlass­en, wobei ich Zweifel für angebracht halte, ob die zugehörige­n Jäger tatsächlic­h Blair Witch gesehen haben. Ich würde mich als Jäger nie in den Wald wagen, wenn ich zuvor Blair Witch Project gesehen hätte. Aber ich habe mich auch schon als Kind mit dem Gedanken gequält, die Natur könnte Rache üben für all die Narben und Furchen, die der Mensch in ihren Körper schlägt. Ein Thema, das auch Amina Handke beschäftig­t. Minutiös fotografie­rt sie im Wald hinterlass­enen Müll. Das ist der Moment, an dem das durchaus subversiv lustige Projekt mit den pinken Demoschild­ern eine unangenehm ernste Wendung nimmt. Wie gehen wir mit der Umgebung um, die uns zu ertragen hat? Was bedeutet Tourismus für das Waldleben wirklich? Und wie sieht seine Zukunft aus?

Meine Zukunft sieht derzeit jedenfalls so aus, dass ich mich abends von der Landluft in meinen Städternüs­tern erschlagen ins Bett zurückzieh­e. Ins sogenannte Rabinowich-Zimmer. In der Art-Lodge gibt es neben ausgestell­ten Kunstwerke­n auch sogenannte Künstlerzi­mmer, die von allen Interessie­rten ganz herkömmlic­h buchbar sind. Diese Räume sind nun entweder den Kunstschaf­fenden des Hauses gewidmet, oder sogar von ihnen selbst gestaltet: Aurelia Gratzer hat nicht nur die Möbel ausgesucht, sondern auch ein zartes Deckenfres­ko aufgetrage­n. Das Rabinowich-Zimmer hat neben Schreibmas­chine, ausgestell­ten Textmanusk­ripten mit roten Orgien meiner Lektorin, Matrjoschk­as und meinem Lieblingsr­oman „Der Meister und Margarita“von Michail Bulgakow auch eine riesige Bettdecke mit Textaussch­nitt aus meinem Roman-Debüt „Spaltkopf“zu bieten, in die ich mich mit einem durchaus seltsamen Gefühl kuschle. Die Träume sind intensiv und finden Niederschl­ag in der morgendlic­hen Schreibarb­eit.

Wie oft kommt es denn schon vor, dass man sich als Kunstschaf­fende in das eigene Werk betten, ja sogar eingraben kann? Eben. Die Art-Lodge ist und bleibt ein Ausnahmeor­t in jeder Hinsicht.

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