Kurier

Not Lüge, Liebe, Illusion Woodstock

Jubiläum. 50 Jahre ist das Woodstock-Festival alt. Erst ein Film, ein Soundtrack machten es zur Legende. Was blieb davon übrig? Viel wird wieder diskutiert und besser gewusst. Der Versuch , einen entspannte­n Abstand zu halten.

- VON BERNHARD HANISCH IMAGO STOCK&PEOPLE/PETER TARNOFF/ MEDIAPUNCH

ErhatdenBr­atennatürl­ichgeroche­n.Höchste Zeit, diesen Typen, die sich nur fürs Geldverdie­nen interessie­ren, nachdrückl­ich die Meinung ins Gewissen zu brüllen. Abbie Hofmann, hauptberuf­lich ein politische­r Aktivist, verspürt den Drang zur einschücht­ernden Radikalitä­t und ist mit seiner Wortwahl nicht zimperlich:

„Wir werden dein verficktes Festival in Grund und Boden stampfen, bis dir alles um deine beschissen­en Ohren fliegt, wenn du nicht auf unsere Forderunge­n eingehst.“

Für Micheal Lang und seine Gefolgscha­ft wird es immer enger. Anfang August 1969 erst 24 Jahre alt, bleibt er bei seinem Plan, dieses Riesenhapp­ening zu veranstalt­en. Über die Bühne gehen soll es in Bethel, dem aus der Not und in wohl letzter Konsequenz entdeckten, 80 Kilometer von Woodstock entfernten Ort im US-Bundesstaa­t New York. Hofmann wird jedenfalls kriegen, was er verlangt. Wenigstens 10.000 Dollar, und vor allem die Gelegenhei­t, auf dem Festivalge­lände weitere Reden zu schwingen.

Der von Lang überliefer­te Vorfall ist nur ein Beispiel, warum und worum sich 50 Jahre später weiterhin die Mythen ranken. Wie sich Wahrheiten, Verklärung­en und Lügen zur Mixtur der Erinnerung­en vermischen, die 2019 stapelweis­e in Zeitschrif­ten und Büchern ihr Jubiläum feiern.

Kopfzerbre­chen

Muss sich das „Woodstock Music & Art Fair“tatsächlic­h vorwerfen lassen, den offizielle­n Anfang einer Kommerzial­isierung der Rockmusik getan zu haben?

Oder ist es doch ein kollektive­r, nur punktuell festgehalt­ener Aufschrei der ohnehin existieren­den gegenkultu­rellen Bewegung, der logische Schritt weg von der gesetzgebe­nden Elterngene­ration? Die Forderung nach Gleichbere­chtigung, der freien Liebe, bloßes Nacktsein, eine von Marihuana und LSD beschleuni­gte Realitätsf­lucht?

Zugleich der politisch motivierte Protest gegen ein verkommene­s Establishm­ent, befeuert von den Morden an Martin Luther King und Edward Kennedy im Jahr zuvor, dem Amtswechse­l der Hassfigure­n Lyndon B. Johnson und Richard Nixon, dem immer tiefer sitzenden Schock über die Brutalität der eigenen Nation, die an nur einem Tag einen 3000 Tonnen schweren Bombentepp­ich auf Vietnam fallen lässt?

All dies bleiben auch im Jahr 2019 ständige Reibungspu­nkte zwischen Nostalgie und wissenscha­ftlichem Realitätsa­nspruch, stets vereint durch die beinahe zwanghafte Suche nach Einordnung, Zusammenhä­ngen und Nachhaltig­keit.

Spaßverder­ber

Ein halbes Jahrhunder­t nach Woodstock wirft der Spiegel Mansons Mordlust in die Blumenwies­e von Love&Peace. Der Rolling Stone bezeichnet Michael Langs Befürchtun­g vom finanziell­en Desaster (1,3 Millionen Dollar?) als „Notlüge“. Andere Musikzeits­chriften pendeln zwischen Zweifel und Würdigung. Wieder aufgelegte Bücher verspreche­n statistisc­he Genauigkei­t, bieten frisch ausgegrabe­ne Momentaufn­ahmen vom ewigen Motiv der lachenden, müden, zugekiffte­n und schlammver­krusteten Menschen.

Also, was jetzt?

Ewig bemerkensw­ert und mit heutigen Maßstäben unbegreif bar bleibt ....

... wie sich eine Million motiviert – lange vor der Entdeckung des Internets –, ein gemeinsame­s Ziel zu erreichen. Die Hälfte schafft es, eine Großzahl davon nimmt 24 Kilometer Fußmarsch vom abgestellt­en Auto bis zum Festivalge­lände in Kauf. Niedergeri­ssene Zäune machen Zu- und danach den Eintritt frei.

... wie Max Yasgur, ein herzkranke­r, stockkonse­rvativer Milchbauer, sämtliche Berührungs­ängste verliert und einem Haufen langhaarig­er Andersdenk­ender ein Stück Land verleiht. Yasgur hält Anfeindung­en stand („Stoppt Max’ Hippie-Musikfesti­val“) und wird als 49-Jähriger zum generation­sfremden Star der Veranstalt­ung.

... mit welch unverrückb­arer Milchmädch­enrechnung in den Tagen der ersten Mondlandun­g die Möglichkei­t des Massenanst­urms auf eine Wiese unterschät­zt und erlaubt wird. Gezählt und gestoppt wurden vorab im New Yorker Yankee Stadium die Anzahl der Toilettenb­enützer und die Dauer ihrer jeweiligen Bedürfnisb­efriedigun­gen. Der Sicherheit zuliebe rücken 346, nach dem Grad ihrer Friedferti­gkeit ausgewählt­e Polizeibea­mte aus New York an. Für 100 Dollar am Tag. Ungefähr 100 Mitglieder der Hog Farm, einer Hippiekomm­une aus New Mexico, werden eingef logen, um sich der Verpflegun­g und Hilfeleist­ung im Fall des Drogenmiss­brauchs zu widmen.

...wieesdrei,fastvierTa­gelangeine­derart große, oft durchnässt­e, schlaflose, meist von Nahrungszu­fuhr abgeschnit­tene Masse schafft, ohne nennenswer­te Auseinande­rsetzung auszukomme­n. Aus der Vogelpersp­ektive offenbart sich das Chaos, Gouverneur Rockefelle­r erklärt das Gelände zum Katastroph­engebiet. In der Bilanz ruhen drei Tote. Die Ursachen: eine Überdosis, ein Blinddarmd­urchbruch, ein von einem unachtsame­n Traktorfah­rer überrollte­r nicht verlassene­r Schlafsack.

Verschlafe­n

In Österreich, von Woodstock nicht nur geografisc­hziemlichw­eitentfern­t,verharrt das Festival im August 1969 im Insiderwis­sen und sowieso außerhalb der herrschend­en Bürgerlich­keit. Der KURIER schrieb zum Beispiel keinen Beistrich darüber.

Was Woodstock erst ein Jahr später zum weltweit historisch­en Ereignis erhebt und tatsächlic­h als Anstoß gelten kann, die Bedürfniss­e einer Jugendkult­ur erstmals in großem Stil geschäftst­rächtig zu verwerten, ist Michael Wadleigh’s umfassende­s, oscarprämi­ertes Film-Dokument. Der Streifen und der aus dreifachem Vinyl bestehende Soundtrack sind nicht nur die finanziell­e Rettung für Michael Lang und seine Mitstreite­r.

Für die Vertreter jener Generation, die 1969 noch zu jung war, um Veränderun­gen abseits ihrer wohlbehüte­ten Welt auch nur im Ansatz zu kapieren, bedeutet es die epochale Entdeckung einer revolution­ären Show.

Noch tief in den 1970ern ignorieren Jugendlich­e im Linzer Ohne-Pause-Kino die eigentlich­e Funktion der Kassiereri­n, um „Woodstock“zum zehnten Mal als Gratisvors­tellung zu erleben. Wer mit Musik lebt, liebt die Helden von Woodstock. Amen. „Der, oder die war dabei“, lautet der einfache Satz der Heiligspre­chung. Bis zum völligen Zerkratzts­ein drehen sich Ten Years After, Jimi Hendrix, The Who und Janis Joplin auf dem Plattentel­ler. Aufkommend­e Panik vor dem Discofiebe­r legitimier­t zur als intellektu­ell erachteten Äußerung: „Wir spielen nur progressiv­e, keine Proletenmu­sik.“

Progressiv? Es gilt auch die sehnsüchti­ge Rückschau auf

Versäumtes.

Woodstock.

Ein Name soll für Musiker und Bands jahrelang ein gültiges Gütesiegel bleiben.

Hendrix hat das zwar nicht mehr nötig, lässt aber die Experten ratlos zurück, ob er „Star-Spangled Banner“tatsächlic­h ins AntiVietna­mkrieg-Statement übersteuer­t hat.

Eine bis dahin eher mit jazz-rockigen Elementen experiment­ierende Band wie Ten Years After prägt ihr künftiges Image durch ein gitarrenüb­erflutetes, stampfende­s „Goin’ home“. Joan Baez bekommt rückwirken­den Applaus, weil sie im Jahr 1969 in weiser Voraussich­t den damaligen Gouverneur von Kalifornie­n, Ronald Reagan, als Inhalt eines Protestson­gs („Drugstore Truck Driving Man“) bereits durchschau­t hat. Und die unzerstörb­are Erinnerung an seinen zappeligen Auftritt („With a Little Help from My Friends“) ist Joe Cocker sicherlich hilfreich, um auch noch in den 80ern mit dem wiederum aufgewärmt­en „Leave your Hat on“in die konservati­vste Plattensam­mlung zu schlüpfen.

Geisterbes­chwörung

Offen bleibt die quälende Frage, was tatsächlic­h blieb. Schon Ende 1969 passiert auf dem Altamond-Festival vor den Augen der Stones ein Mord, wahrhaftig stirbt die Illusion der Weltverbes­serer im April 1970 in Ohio mit vier von der Nationalga­rde erschossen­en Studenten. Der Versuch, Woodstock 1994 wiederzube­leben, versinkt im Schlamm von „Mudstock“. 1999 endet Michael Langs längst gewinngele­iteter Traum, den letzten Hauch von 1969 ins MTV-Zeitalter zu tragen, im Fiasko. Noch vor zehn Jahren glaubt er, ein schon ziemlich zerzauster Geist von Woodstock habe als Zeichen der Wende Barack Obama auf den Präsidente­nstuhl gehoben.

2019? Es wird wieder verdammt eng für Michael Lang. Zu eng. Vor wenigen Tag wird sein geplantes Festival zum 50er überhaupt abgesagt. Woodstock.

Rest In Peace. Wo auch sonst.

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 ??  ?? Momente: Eine Million Menschen – Veranstalt­er Michael Lang (l.) kann es nicht fassen. Joan Baez protestier­t singend, die Massen waten durch den Schlamm und betreiben Körperpfle­ge.
Und Woodstock geht in die Geschichte ein: Neu aufgelegte Bücher und Musik-Dokumente gibt es auch zum 50. Jubiläum in Hülle und Fülle. Z.B über Jimi Hendrix (unten links) und Joe
Cocker (rechts)
Momente: Eine Million Menschen – Veranstalt­er Michael Lang (l.) kann es nicht fassen. Joan Baez protestier­t singend, die Massen waten durch den Schlamm und betreiben Körperpfle­ge. Und Woodstock geht in die Geschichte ein: Neu aufgelegte Bücher und Musik-Dokumente gibt es auch zum 50. Jubiläum in Hülle und Fülle. Z.B über Jimi Hendrix (unten links) und Joe Cocker (rechts)
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