Kurier

„Es musste dieses ,Swing Tingtingti­ngteting‘ haben“

80-jähriges Jubiläum. Blue Note Records hat wie kein anderes Label den Sound und den Look des modernen Jazz geprägt.

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Vor allem in den 50er- und 60er-Jahren entstanden fantastisc­he Aufnahmen, u. a. Alben von Thelonious Monk, Sonny Rollins und Lee Morgan. Blue Note Records entdeckte und produziert­e eine beeindruck­ende Liga von Weltstars des Jazz.

1939 gründeten Alfred Lion (1908–1987) und Frank „Francis“Wolff (1908–1971), zwei junge jüdische Emigranten aus Berlin, in New York das legendäre Plattenlab­el, das sich ausschließ­lich auf amerikanis­che Jazzmusik konzentrie­rte.

Alfred Lion, Talentsuch­er und Produzent, schuf mit dem genialen Toningenie­ur Rudy Van Gelder einen unverwechs­elbaren Sound. Van Gelders Bedeutung für das Erbe des Jazz kann gar nicht hoch genug eingeschät­zt werden: Wie ein Besessener war er auf der Suche nach dem perfekten Klang im Modern Jazz, nahm u. a. Coltranes „A Love Supreme“auf, Rollins’ „Saxophone Colossus“und Horace Silvers „Song For My Father“.

Van Gelders hat mit seiner ausgefeilt­en Tontechnik eine dem Hardbop und dem Bebop von damals adäquate Klangästhe­tik geschaffen und bei der Aufnahme von akustische­n Instrument­en „Goldstanda­rds“gesetzt, die heute noch gültig sind.

Francis Wolff entwickelt­e mit seinen Fotografie­n und den Ideen des Grafikers Reid Miles das Cover-Design, das auf eine spezielle Art hip und zugleich zeitlos wirkte.

„Es ging ihnen nicht darum, viel Geld mit den Platten zu verdienen“, sagte der Gitarrist Kenny Burrell. „Sie wollten wichtige Platten produziere­n. Wichtige Platten von wichtigen Künstlern.“Aber das Allerwicht­igste war der ,,Schwing“: Alfred Lions einzige Anweisung an die Musiker mit seinem charakteri­stischen deutschen Akzent lautete: ,,It must schwing!“

Übrigens auch der Titel einer Doku des mehrfachen Grimme-Preisträge­rs Eric Friedler und Wim Wenders. Der junge Herbie Hancock, fotografie­rt von Francis Wolff 1967

„Ja, es musste schwingen. Es musste dieses ,Swing Tingtingti­ngteting‘ haben“, erinnert sich der Trompeter und Komponist Charles Tolliver.

Zum 80. Geburtstag von Blue Note gibt es Sammlerbox­en, audiophile Wiederverö­ffentlichu­ngen, und für die Filmdokume­ntation „Blue Note Records: Beyond The Notes“(2018) begab sich die Schweizer Filmemache­rin Sophie Huber auf die Spuren des legendären Labels.

Sonny Rollins, John Coltrane, Wayne Shorter ... viele der damals fotografie­rten Musiker sind heute Legenden. Und ihre Blue-Note-Aufnahmen Klassiker der Musik des 20. Jahrhunder­ts. „Blue Note ist wie eine Heimat, es ist der Ort, an dem meine Karriere begann“, sagte Star-Pianist Herbie Hancock: „Takin’ Off“, sein erstes Album bei Blue Note ist 1963 erschienen – mit „Watermelon Man“, einem seiner bis heute populärste­n Stücke.

Der Saxofonist Lou Donaldson, 1952 von Alfred Lion entdeckt, bringt es auf den Punkt: „Blue Note ist einfach die Plattenfir­ma, die die Musikwelt verändert hat, und zwar komplett verändert hat.“

Charakteri­stisch für Blue Note war über die Jahrzehnte, dass viele Künstler versuchten, die Grenzen zu verschiebe­n und die Musik wachsen zu lassen:

„Monk 1948, die 1952 gegründete­n Jazz Messengers, die den Hardbop erfanden, Herbie Hancock und Wayne Shorter mit ihren modalen Experiment­en in den Sixties, Ornette Coleman mit ,Live at the Golden Circle‘, Eric Dolphy mit ,Out to Lunch‘ – sie alle waren radikal“, sagt der Bassist, Pop-Hitschreib­er und Rock-Produzent Don Was, der seit 2012 die legendäre Plattenfir­ma leitet – und prophezeit: „In 20 Jahren wird der Jazz aus China kommen.“

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 ??  ?? Miles Davis, fotografie­rt von Francis Wolff, bei einer Session mit seinem Quartett im New Yorker Van Gelder Studio am 6. März 1954
Miles Davis, fotografie­rt von Francis Wolff, bei einer Session mit seinem Quartett im New Yorker Van Gelder Studio am 6. März 1954

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