Jobsuche mit Behinderung: AMS sieht Betriebe in der Pflicht
Fachkräftemangel: Menschen mit Behinderung profitieren kaum
Arbeitsmarkt. Für Menschen mit Behinderung ist es trotz herrschenden Fachkräftemangels schwierig, einen Job zu finden. Ende Juli waren beim AMS 12.000 Personen mit Behinderung und 60.000 mit gesundheitlichen Einschränkungen vorgemerkt. AMS-Vorstand Johannes Kopf sieht die Betriebe in der Pflicht. Diese müssten in Zeiten des Fachkräftemangels ihre Rekrutierungsprozesse überdenken und den engen Suchradius ausweiten: „Es ist nicht nur ein sozialer Akt, Menschen mit Behinderung einzustellen, es zahlt sich auch wirtschaftlich aus“, so Kopf. Statt begünstigt Behinderte einzustellen, zahlen Unternehmen lieber die Ausgleichstaxe. Allein im Vorjahr waren dies 11.000 von 16.000 einstellungspf lichtigen Unternehmen. Ein Jahr davor lagen 155 Millionen Euro im so genannten Ausgleichstaxfonds. Der Fonds finanziert Maßnahmen zur Beschäftigung von begünstigt Behinderten in Unternehmen. Ein Bonus-MalusSystem soll die Ausgleichstaxe ersetzen.
Der Chef ist stolz auf seinen Lehrling: „Wer hat schon einen Olympia-Medaillengewinner in seinem Unternehmen?“, schwärmt Martin Graf, Vorstandsdirektor der Energie Steiermark von Michael, der eine teilqualifizierte Lehre beim Energieversorger absolviert. Ganz nebenbei räumte er als Schwimmer bei den Special Olympics ab. Das Thema Inklusion, also die beruf liche Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen, wird bei der Energie Steiermark großgeschrieben. Die Palette reicht von Teilqualifikationen einer Lehre bis zu barrierefreien E-Autos. „Jeder hat doch irgendwelche Beeinträchtigungen, man muss einfach die Berührungsängste abbauen“, meint Graf.
Wenn die Unternehmensspitze das Thema vorantreibt, kann viel erreicht werden. So entwickelte der Handelskonzern Rewe (Billa, Bipa, Merkur, Penny) 2015 eine eigene Disability-Strategie, um das Bewusstsein bei Führungskräften und Mitarbeitern zu schärfen. Seither ist die Zahl der Mitarbeiter mit Behinderung um 50 Prozent auf 600 gestiegen, dazu kommen 140 integrative Lehrlinge. „Bei Merkur wurde eine gehörlose Kommissioniererin eingestellt. Das Feedback war so positiv, dass wir jetzt schon zehn gehörlose Kommissioniererinnen in der Gruppe haben“, berichtet Disability-Managerin Caroline Wallner-Mikl.
Barrieren im Kopf Beispiele wie diese zeigen Fortschritte bei der Jobvermittlung. „Bei vielen Unternehmen hat ein Wandel in den Köpfen stattgefunden. Es gibt aber noch festgefahrene Barrieren, die der Vermittlung im Weg stehen“, fasst myabilityGründer Gregor Demblin zusammen. Die Wiener Unternehmensberatung entwickelt Inklusionsstrategien und betreibt seit zehn Jahren eine eigene Jobplattform für Bewerber mit Behinderung.
Die aktuellen Zahlen sind ernüchternd: Die Erwerbsquote bei Menschen mit „begünstigter Behinderung“(siehe Artikel rechts) ist mit 56 Prozent nach wie vor niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch. Ende Juli waren 12.000 Menschen mit Behinderung beim AMS vorgemerkt, um 4 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der Jobsuchenden mit sonstigen gesundheitlichen Vermittlungs-Einschränkungen stieg um 3,5 Prozent auf 60.000. Im Vorjahr machte die Gruppe der Menschen mit Begünstigtenstatus oder gesundheitlichen Einschränkungen 24 Prozent aller Arbeitslosen aus.
AMS-Vorstand Johannes Kopf sieht die Betriebe gefordert. Diese müssten in Zeiten des Fachkräftemangels ihre Rekrutierungsprozesse überdenken und den engen Suchradius ausweiten: „Es ist nicht nur ein sozialer Akt, Menschen mit Behinderung einzustellen, es zahlt sich auch wirtschaftlich aus.“
Bonus-Malus-System
Um die Arbeitslosigkeit zu senken, braucht es auch strukturelle Veränderungen. Demblin will die bestehende Ausgleichstaxe für Unternehmen, die keine begünstigt Behinderten beschäftigen, in ein Bonus-Malus-System umwandeln. Die Ausgleichstaxe sei ein schlechtes Signal, weil sie den Bewerbern Qualifikationen abspreche, argumentiert Demblin. Stattdessen sollte es einen besseren finanziellen Ausgleich zwischen Betrieben geben. Auch Behindertenverbände wollen das System reformieren und durch einen allgemeinen Behindertenbeschäftigungsbeitrag als Arbeitgeberabgabe ersetzen. Die Arbeiterkammer (AK) sprach sich zuletzt für eine Erhöhung der Ausgleichstaxe aus, die Wirtschaftskammer ist dagegen.
Ein weiterer wichtiger Hebel ist der Rekrutierungsprozess. „Wir benötigen hier einen One-Stop-Shop für Unternehmen“, sagt Demblin und verweist auf die britische Organisation Remploy, die die Bewerberauswahl für Betriebe zentral organisiert. Rein privatwirtschaftlich rechne sich eine solche Dienstleistung aber nicht.
Generell sieht der Experte Reformbedarf beim „zersplitterten Fördersystem“, das obendrein viel zu spät ansetze: „Der vierte Stock ist perfekt ausgestattet, aber es gibt keinen Aufzug dorthin.“Sprich: Förderungen greifen erst dann, wenn bereits Mitarbeiter eingestellt wurden. Bis dahin muss es aber erst einmal kommen.