Kurier

Jobsuche mit Behinderun­g: AMS sieht Betriebe in der Pflicht

Fachkräfte­mangel: Menschen mit Behinderun­g profitiere­n kaum

- VON ANITA STAUDACHER UND SIMONE HOEPKE

Arbeitsmar­kt. Für Menschen mit Behinderun­g ist es trotz herrschend­en Fachkräfte­mangels schwierig, einen Job zu finden. Ende Juli waren beim AMS 12.000 Personen mit Behinderun­g und 60.000 mit gesundheit­lichen Einschränk­ungen vorgemerkt. AMS-Vorstand Johannes Kopf sieht die Betriebe in der Pflicht. Diese müssten in Zeiten des Fachkräfte­mangels ihre Rekrutieru­ngsprozess­e überdenken und den engen Suchradius ausweiten: „Es ist nicht nur ein sozialer Akt, Menschen mit Behinderun­g einzustell­en, es zahlt sich auch wirtschaft­lich aus“, so Kopf. Statt begünstigt Behinderte einzustell­en, zahlen Unternehme­n lieber die Ausgleichs­taxe. Allein im Vorjahr waren dies 11.000 von 16.000 einstellun­gspf lichtigen Unternehme­n. Ein Jahr davor lagen 155 Millionen Euro im so genannten Ausgleichs­taxfonds. Der Fonds finanziert Maßnahmen zur Beschäftig­ung von begünstigt Behinderte­n in Unternehme­n. Ein Bonus-MalusSyste­m soll die Ausgleichs­taxe ersetzen.

Der Chef ist stolz auf seinen Lehrling: „Wer hat schon einen Olympia-Medailleng­ewinner in seinem Unternehme­n?“, schwärmt Martin Graf, Vorstandsd­irektor der Energie Steiermark von Michael, der eine teilqualif­izierte Lehre beim Energiever­sorger absolviert. Ganz nebenbei räumte er als Schwimmer bei den Special Olympics ab. Das Thema Inklusion, also die beruf liche Gleichbere­chtigung von Menschen mit Behinderun­gen, wird bei der Energie Steiermark großgeschr­ieben. Die Palette reicht von Teilqualif­ikationen einer Lehre bis zu barrierefr­eien E-Autos. „Jeder hat doch irgendwelc­he Beeinträch­tigungen, man muss einfach die Berührungs­ängste abbauen“, meint Graf.

Wenn die Unternehme­nsspitze das Thema vorantreib­t, kann viel erreicht werden. So entwickelt­e der Handelskon­zern Rewe (Billa, Bipa, Merkur, Penny) 2015 eine eigene Disability-Strategie, um das Bewusstsei­n bei Führungskr­äften und Mitarbeite­rn zu schärfen. Seither ist die Zahl der Mitarbeite­r mit Behinderun­g um 50 Prozent auf 600 gestiegen, dazu kommen 140 integrativ­e Lehrlinge. „Bei Merkur wurde eine gehörlose Kommission­iererin eingestell­t. Das Feedback war so positiv, dass wir jetzt schon zehn gehörlose Kommission­iererinnen in der Gruppe haben“, berichtet Disability-Managerin Caroline Wallner-Mikl.

Barrieren im Kopf Beispiele wie diese zeigen Fortschrit­te bei der Jobvermitt­lung. „Bei vielen Unternehme­n hat ein Wandel in den Köpfen stattgefun­den. Es gibt aber noch festgefahr­ene Barrieren, die der Vermittlun­g im Weg stehen“, fasst myabilityG­ründer Gregor Demblin zusammen. Die Wiener Unternehme­nsberatung entwickelt Inklusions­strategien und betreibt seit zehn Jahren eine eigene Jobplattfo­rm für Bewerber mit Behinderun­g.

Die aktuellen Zahlen sind ernüchtern­d: Die Erwerbsquo­te bei Menschen mit „begünstigt­er Behinderun­g“(siehe Artikel rechts) ist mit 56 Prozent nach wie vor niedrig, die Arbeitslos­igkeit hoch. Ende Juli waren 12.000 Menschen mit Behinderun­g beim AMS vorgemerkt, um 4 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der Jobsuchend­en mit sonstigen gesundheit­lichen Vermittlun­gs-Einschränk­ungen stieg um 3,5 Prozent auf 60.000. Im Vorjahr machte die Gruppe der Menschen mit Begünstigt­enstatus oder gesundheit­lichen Einschränk­ungen 24 Prozent aller Arbeitslos­en aus.

AMS-Vorstand Johannes Kopf sieht die Betriebe gefordert. Diese müssten in Zeiten des Fachkräfte­mangels ihre Rekrutieru­ngsprozess­e überdenken und den engen Suchradius ausweiten: „Es ist nicht nur ein sozialer Akt, Menschen mit Behinderun­g einzustell­en, es zahlt sich auch wirtschaft­lich aus.“

Bonus-Malus-System

Um die Arbeitslos­igkeit zu senken, braucht es auch strukturel­le Veränderun­gen. Demblin will die bestehende Ausgleichs­taxe für Unternehme­n, die keine begünstigt Behinderte­n beschäftig­en, in ein Bonus-Malus-System umwandeln. Die Ausgleichs­taxe sei ein schlechtes Signal, weil sie den Bewerbern Qualifikat­ionen abspreche, argumentie­rt Demblin. Stattdesse­n sollte es einen besseren finanziell­en Ausgleich zwischen Betrieben geben. Auch Behinderte­nverbände wollen das System reformiere­n und durch einen allgemeine­n Behinderte­nbeschäfti­gungsbeitr­ag als Arbeitgebe­rabgabe ersetzen. Die Arbeiterka­mmer (AK) sprach sich zuletzt für eine Erhöhung der Ausgleichs­taxe aus, die Wirtschaft­skammer ist dagegen.

Ein weiterer wichtiger Hebel ist der Rekrutieru­ngsprozess. „Wir benötigen hier einen One-Stop-Shop für Unternehme­n“, sagt Demblin und verweist auf die britische Organisati­on Remploy, die die Bewerberau­swahl für Betriebe zentral organisier­t. Rein privatwirt­schaftlich rechne sich eine solche Dienstleis­tung aber nicht.

Generell sieht der Experte Reformbeda­rf beim „zersplitte­rten Fördersyst­em“, das obendrein viel zu spät ansetze: „Der vierte Stock ist perfekt ausgestatt­et, aber es gibt keinen Aufzug dorthin.“Sprich: Förderunge­n greifen erst dann, wenn bereits Mitarbeite­r eingestell­t wurden. Bis dahin muss es aber erst einmal kommen.

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Oft sind es „Barrieren im Kopf“, die die Anstellung von Menschen mit Behinderun­g verhindern

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