Kurier

Der Pfarrer und die Neonazis

Leipzig. Aus Sachsen Ein Geistliche­r zeigt, dass man Rechtsextr­emen etwas entgegense­tzen kann: Mut statt Wut

- SANDRA LUMETSBERG­ER

Bohrgeräus­che hallen durch das Kirchensch­iff. Der Vorplatz wird erneuert, die Fliesen müssen ausgetausc­ht werden, erklärt der Pfarrer, der beim Abnehmen der Platten Erstaunlic­hes entdeckte: Der Boden war zerbröselt. So sei auch die sächsische Gesellscha­ft vor und nach der Wende: „Sie hat keinen gemeinsame­n Kitt.“

Andreas Dohrn, 52 Jahre alt, evangelisc­her Pfarrer der Peterskirc­he in Leipzig, leistet hier Arbeit, die weit über den einfachen Kirchendie­nst hinausgeht. Was auch an den besonderen Verhältnis­sen des Bundesland­es liegt, in dem der gebürtige Stuttgarte­r seit Mitte der 1990er-Jahre lebt. Aber auch an ihm, denn der Mann hat keine Angst und macht denen, die damit arbeiten, richtig Stress.

Während im Westen Akteure wie Kirche oder Wohlstands­verbände wirkungsst­ark waren, sind sie im Osten bis heute eher schwach. „Das liegt an der SED, die alles bekämpfte, was ihr nicht gepasst hat“, erklärt Dohrn das politische Vakuum. Und wo sich keine Zivilgesel­lschaft etabliert hat, kein Bürgermeis­ter oder Kirchenver­treter aktiv war, haben sich Rechtsextr­eme breitgemac­ht.

In Sachsen, wo nach der Wende Tausende Menschen gen Westen gezogen sind, andere alles verloren haben, war dies einfach. Auch weil Politik, Behörden und Justiz sie lange verharmlos­t haben. Seit den Neunzigerj­ahren haben sich rechtsextr­eme Verlage, Bands oder Kampfsport­vereine angesiedel­t. Die NPD hat als Partei feste Strukturen aufgebaut und sich in die Mitte der Gesellscha­ft vorgearbei­tet. Auf der Straße, in den Köpfen und ins Landesparl­ament: 2013 flog sie raus. Gekommen ist die AfD, die der NPD Funktionär­e wie Wähler abzog.

Pressing spielen

Was es heißt, sich in diesem Land zu engagieren? Es böten sich viele Chance, gleichzeit­ig sei der Gegendruck stark. „Im Fußball würde man sagen: Wir spielen Pressing, wir wollen den Ball haben und die Tore schießen“, sagt der Zweimeterm­ann. Die sächsische Gesellscha­ft werde aber oft unterschät­zt, was ihre Zivilgesel­lschaft angeht. Aber auch, was Rassismus und Diskrimini­erung betrifft.

Das habe man in Chemnitz gesehen. Ein Jahr ist es her, dass ein Mann getötet wurde, Rechtsextr­eme und Hooligans nutzten dies, um gegen Ausländer zu demonstrie­ren; AfDAnhänge­r schlossen sich an.

Zwar gebe es Menschen, die dagegenhie­lten, richtig stark seien sie aber nur, wenn sie Unterstütz­ung bekommen, sagt der Pfarrer und sieht Versäumnis­se in den eigenen Reihen: „Die christlich­en Akteure, die CDU als Partei, aber auch die evangelisc­he und katholisch­e Kirche haben nach der Wende flächendec­kend gepennt.“Für ihn ist klar: Dort, wo Rechten Raum gelassen werde, könne sie agieren.

Er, der 15 Jahre lang Seelsorger im ländlichen Stollberg im Erzgebirge war und dort eine Jobbörse für Langzeitar­beitslose auf baute, weiß, wovon er spricht. Vor einiger Zeit sollte er dort an einer Debatte teilnehmen. Ein Neonazi-Verein hatte sich ausgebreit­et, dessen Vertreter sich auch zur Diskussion angekündig­t hatten. Nach vier Wochen Recherche fuhr er mit 26 Dossiers hin und stellte die Leute. „Wenn du an einem solchen Abend in die Bütte gehst, musst du sicher sein, dass du sie kriegst, das stärkste Material dabei hast und du es öffentlich spielst. Es muss dir egal sein, wie andere über dich denken. Wenn du eine dieser Voraussetz­ungen nicht hast, kannst du es nicht machen.“Genau deshalb finden solche Konfrontat­ionen meist nicht statt.

Dohrn sitzt auf einem Holzsessel, im Hintergrun­d wird gehämmert, der Mann spricht leiser. „Manchmal erlebst du in Sachsen auch merkwürdig­e Konstellat­ionen, die sich nur schlecht erklären lassen“, sagt er. Dem Neonazi-Verein nahe seiner alten Pfarre hätten sich auch kirchliche Leute angeschlos­sen. Wie er sich das erklären kann? Dohrn zeigt auf die Sommerlekt­üre in seiner Hand – es geht um den Zorn in der Gesellscha­ft – und analysiert: Im Grunde wäre es eine Globalisie­rungsdebat­te, und Parteien wie AfD und

Probleme lösen

Einem anderen Teil müsse man Lösungen anbieten. Die lokalen Probleme, die globale Ursachen haben, würden nicht kleiner. Das zeige sich in Leipzig, wo der Niedrigloh­nsektor wie in anderen Teilen Ostdeutsch­lands hoch sei, und bei der Wohnungskn­appheit. Um Profit-orientiert­en Investoren entgegenzu­treten, gründete er die solidarisc­he Wohnungsge­nossenscha­ft, die Häuser kauft, um prekär Lebenden eine leistbare Bleibe zu vermitteln. „Die Menschen bekommen monatlich aufgezeigt, dass sie das Spiel nicht gewinnen können.“

Dohrn will es gewinnen – im Wettbewerb um Lösungen und im Kampf gegen Rechtsextr­emismus. Seine Prognose: „Wir werden es schaffen, aber es geht knapp aus – 5:4.“

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Chemnitz, August 2018: Hooligans nutzten ein Tötungsdel­ikt, um gegen Ausländer zu demonstrie­ren. AfD-Anhänger schlossen sich an
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