Kurier

„Wir haben lange isoliert gelebt“

Liberale Hoffnung der Slowakei. Die neue slowakisch­e Staatspräs­identin Zuzana Čaputová im KURIER-Interview über den Atomkraft-Streit mit Österreich, die Schwierigk­eiten im Umgang mit Flüchtling­en und die Schwäche der Justiz.

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Seit Mitte Juni ist Zuzana Čaputová Staatspräs­identin der Slowakei. Die Wahl der 46-jährigen Juristin und Umweltakti­vistin wird von vielen Slowaken als Wunder empfunden: Noch vor wenigen Monaten hätte es kaum jemand für möglich gehalten, dass in der traditione­ll konservati­ven, patriarcha­lischen Slowakei eine Frau mit ihrem Hintergrun­d den höchsten Posten im Staat erringen könnte. Čaputová ist geschieden und Alleinerzi­eherin von zwei Töchtern; sie vertritt liberale Ansichten und will Abtreibung­en nicht verbieten; sie befürworte­t registrier­te Homo-Partnersch­aften und das Adoptionsr­echt für gleichgesc­hlechtlich­e Paare. Im Wahlkampf trat die katholisch­e Kirche offen gegen die Kandidatin auf: „Es wäre eine Sünde, ihr die Stimme zu geben“, wetterte ein slowakisch­er Bischof.

Nach der Papierform hatte die Quereinste­igerin so gut wie keine Chance. Ihr Gegenkandi­dat, der erfahrene Karrieredi­plomat Maroš Šefcovic, wurde von der Regierungs­partei Smer nominiert und führte lange Zeit in allen Umfragen. Anfang des Jahres war die Juristin, die erstmals durch ihren zähen Kampf gegen eine illegale Mülldeponi­e aufgefalle­n war, nur einem kleinen Kreis bekannt. Mit einigen Gleichgesi­nnten gründete sie die liberale Partei Progresivn­e Slovensko (Fortschrit­tliche Slowakei), die noch nicht im Parlament vertreten ist.

Čaputovás Stern ging erst im Wahlkampf richtig auf. In den Diskussion­en war sie stets kompetent, authentisc­h, überzeugen­d, emotional. Und sie bewies große mentale Kraft. Nie ließ sie sich zu verbalem Wahlgezänk hinreißen. Mit stoischer Ruhe bekräftige sie immer wieder ihr Mantra: „Ich kämpfe gegen das Böse.“Der Mord an dem Aufdecker-Journalist­en Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar 2018 hat das öffentlich­e Klima in der Slowakei stark verändert. Eine aktive Zivilgesel­lschaft meldete sich zu Wort und forderte Rechtsstaa­tlichkeit ein. Diese Bewegung verschafft­e Čaputová Aufwind. Sie wurde in der Stichwahl mit respektabl­em Vorsprung gewählt. Am Freitag war Čaputová zum Antrittsbe­such in Wien und gab dem KURIER ein Interview.

KURIER: Die guten bilaterale­n Beziehunge­n werden durch das Thema Atomkraft getrübt. Die Slowakei will das AKW Mochovce – trotz explodiere­nder Kosten – fertigbaue­n. Österreich will alles unternehme­n, um das zu verhindern. Zuzana Čaputová: Mochovce war natürlich Thema bei meinen offizielle­n, sehr offenen Gesprächen in Wien. Die Slowakei hat einen Energiemix Zuzana Caputova im Gespräch mit KURIER-Reporterin Jana Patsch

mit einem 55-Prozent-Anteil an Atomenergi­e, und bis 2023 sollen alle Kohlekraft­werke schließen. Im Fall Mochovce können wir nicht anders. Aber wir lassen uns auch von Österreich inspiriere­n, was den Ausbau der erneubaren Energien betrifft. Mochovce weist hohe Sicherheit­sstandards auf. Auch österreich­ische Fachleute sind in die Kontrolle involviert.

Die Slowakei bildet mit Tschechien, Ungarn und Polen die VisegradGr­uppe. Diese V4 vertreten in Fragen wie Migration oft diametral entgegenge­setzte Positionen zur EU in Brüssel. Wie ist Ihre Haltung?

Die Slowakei ist kein Zielland für Flüchtling­e. Wir haben lange isoliert gelebt, unsere Bevölkerun­g hat traditione­ll Angst vor Fremden. Das muss ich respektier­en und empathisch sein. Anderseits bin ich für Solidaritä­t. Wir sollten die Fluchtursa­chen lösen, nicht die Folgen.

Als Argument gegen die Aufnahme von Flüchtling­en wird oft betont, der Slowakei gelinge es nicht einmal, die 500.000 Roma zu integriere­n. Manche Roma-Dörfer sehen aus wie Slums. Wie groß ist die Integratio­nskraft der Slowakei?

Es gibt einzelne Projekte wie in Chrhov in der Zips, wo der Bürgermeis­ter 20 Jahre lang den Roma geholfen hat, ihre Häuser selbst zu bauen. Heute sind sie integriert, es herrscht Vollbeschä­ftigung. Ich versuche die Aufmerksam­keit der Mehrheit auf die Minderheit­enProbleme zu lenken, etwa als ich mich nach der Wahl bei den Roma auch in ihrer Sprache Romanes bedankt habe.

Die Ermittlung­en im Fall Jan Kuciak (der 2018 ermordete Reporter, Anm.) zeigen immer deutlicher korrupte Machenscha­ften und Verbindung­en in höchste Kreise auf.

Die Ermittlung­en durchleuch­ten vor allem die Kontakte zwischen den vermeintli­chen Mordauftra­ggebern und den Gerichten, der Staatsanwa­ltschaft und der Polizei, aber auch die Verbindung­en zwischen einzelnen Regierungs­politikern und dem Abgeordnet­enhaus. Unsere Justiz arbeitet leider unverlässl­ich. Trotzdem führt die Regierungs­partei immer noch in allen Umfragen. Wie erklären Sie sich das?

Die Umfragen zeigen, dass die Opposition weiter gespalten ist. Was die Slowakei jetzt aber dringend braucht, ist die Bündelung der guten Kräfte. Wir werden sehen, was die Wahlen im März 2020 bringen werden.

Wo liegt aus Ihrer Sicht der größte Reformbeda­rf?

Wir brauchen eine verantwort­ungsvolle Justiz. Als Präsidenti­n habe ich wenigstens bei der Ernennung von Richtern das letzte Wort.

Wie sehen Sie die neue Stärke der Zivilgesel­lschaft in Ihrem Land? Ja, sie wächst. Viele Menschen – nicht nur Junge – engagieren sich im öffentlich­en Leben. Die Reifeprüfu­ng dafür haben wir schon in den 1990er-Jahren abgelegt, als wir das System von Premier Vladimír Meciar bekämpft haben.

In einem Interview haben Sie verraten, dass Sie mentale Kraft aus Lehren des Zen-Buddhismus schöpfen. Noch Zeit zum Meditieren?

(Lacht) In der Zen-Meditation gibt es eine wichtige Regel: „Sie sollten täglich eine halbe Stunde sitzen. Wenn Sie keine Zeit haben, dann eine Stunde.“Das ist anstrengen­d, aber ich versuche mich seit nun 13 Jahren daran zu halten.

 ??  ?? Zuzana Caputová ist Juristin, Umweltakti­vistin und seit dem 15. Juni die erste Präsidenti­n der Slowakei. Die 46-Jährige gehört der Partei Progresivn­e Slovensko an
Zuzana Caputová ist Juristin, Umweltakti­vistin und seit dem 15. Juni die erste Präsidenti­n der Slowakei. Die 46-Jährige gehört der Partei Progresivn­e Slovensko an
 ??  ?? Am 15. Juni 2019 wird Zuzana Caputová als erste Staatspräs­identin der Slowakei angelobt
Am 15. Juni 2019 wird Zuzana Caputová als erste Staatspräs­identin der Slowakei angelobt
 ??  ?? Antrittsbe­such bei Frankreich­s Staatsober­haupt Emmanuel Macron im Juli
Antrittsbe­such bei Frankreich­s Staatsober­haupt Emmanuel Macron im Juli
 ??  ?? Bilaterale Gespräche in Berlin mit Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel
Bilaterale Gespräche in Berlin mit Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel
 ??  ?? Lob für Klimaaktiv­istin von Präsidente­n Van der Bellen während ihres Hofburg-Besuchs
Lob für Klimaaktiv­istin von Präsidente­n Van der Bellen während ihres Hofburg-Besuchs
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