Süßes Summen über den Dächern
Geschmacks-Sache. Auf immer mehr Häusern in Wien leben Bienen. Das Aroma des Honigs variiert je nach Bezirk
Kann man Wiener Bezirke am Geschmack erkennen? Der 4. Bezirk etwa hat eine leichte Menthol-Note, der 7. Bezirk schmeckt nach Rosen und der 15. Bezirk nach Lavendel. Zumindest tut dies der Honig, der in diesen Bezirken hergestellt wird. Denn auf immer mehr Dächern der Stadt werden Bienen gehalten.
Die Tiere residieren durchaus an prominenten Adressen, zum Beispiel auf dem Stephansdom, auf dem Rathaus oder auf der Oper, ebenso auf Dächern von Hotels oder Universitäten. „Diesen Trend gibt es seit einigen Jahren“, erklärt Adriana Traunmüller von der Bio-Bezirksimkerei Wien. Auf rund 60 Dächern stehen mittlerweile Bienenstöcke, betrieben werden sie von Freizeit-Imkern sowie von Erwerbsimkern.
Die Bezirksimkerei hatte sich das Ziel gesetzt – der Name deutet schon darauf hin – in jedem Bezirk mindestens einen Standort mit Bienenstöcken zu betreiben. Der erste wurde 2015 aufgestellt, 2017 war man komplett. Nun kann man Honig aus jedem Bezirk kaufen – entsprechend heißen sie „Innenstädter“, „Leopoldstädter“oder „Landstraßer“.
„Wir haben mittlerweile 33 Standorte mit 200 Bienenstöcken in ganz Wien und am Flughafen. 25 der Standorte befinden sich auf Dächern“, erklärt Traunmüller. So etwa der in Wien-Wieden: Von Passanten wie Studenten weitgehend noch unbemerkt, leben am Dach der Technischen Universität Bienen. Hinauf mit dem Lift in den 8. Stock, vorbei an einem Büro für Angewandte Physik und über eine Leiter auf die Dachterrasse – schon steht man vor sechs Bienenstöcken. Zwar ist der Ausblick auf Innenstadt, Stephansdom und Karlskirche sensationell, doch das Dach ist karg und unbegrünt.
Kann man in einer derartigen Umgebung überhaupt Bienen halten? Die Bedingungen seien sogar ideal, erwidert Traunmüller: „Hier am Dach gibt es keine Fressfeinde. Und es steigt keine Feuchtigkeit vom Boden auf, die den Bienenstöcken schadet.“
Hungersnot
Weniger ideal waren heuer die Futterbedingungen: „Während der Blüte der Robinie hat es geregnet, und die Bienen konnten nicht fliegen. Als die Rosskastanie blühte, war es zu windig. Und als die Linde an der Reihe war, war es zu heiß, und die Pflanze hat kaum Nektar für die Bienen produziert“, beschreibt Traunmüller das Problem.
Dies bestätigt auch Albert Schittenhelm, Präsident vom Wiener Landesverband für Bienenzucht: „Zum ersten Mal in rund 30 Jahren habe ich erlebt, dass wir die Bienen im Frühjahr mit Honig oder Zuckerwasser füttern mussten, damit sie nicht verhungern.“Das werde sich auch auf den Ertrag auswirken: „Wir rechnen nur mit der Hälfte der Honigernte eines durchschnittlichen Jahres.“
Dies beeinflusse auch die Stimmung der Tiere, weiß Traunmüller: „Im Frühjahr waren sie superschlecht gelaunt. Da brausen sie richtig auf, wenn man den Bienenstock öffnet.“Die Gründe für den Unmut sind ähnlich wie bei Menschen: schlechtes Wetter, Stress (etwa durch die Anwesenheit einer Hornisse) oder eben, wie in diesem Jahr, Hunger.
Abgesehen von wetterbedingtem Ungemach bietet Wien aber ausgezeichnete Bedingungen für Bienen: Da nicht mit Giftmitteln gespritzt wird, ist die Qualität des Honigs hoch. Und es gibt viele verschiedene Pflanzen – Bienen können sich abwechslungsreich ernähren. Dies erklärt, warum der Honig aus jedem Bezirk anders schmeckt. Obwohl immer die Rede vom „fleißigen Bienchen“ ist, seien Bienen eher „faule Tiere“, scherzt Traunmüller. Zwar fliegen sie bis zu drei Kilometer weit, generell bevorzugen sie aber Pflanzen in der Nähe. Die Linden im 4. Bezirk sorgen für die Menthol-Note im Honig. Die Bienen aus dem 7. Bezirk fliegen gerne zu den Rosen im Volksgarten. Und die im 15. Bezirk leben neben einem Dachgarten voller Lavendel. Und das schmeckt man auch.