Kurier

Ein Ende mit vielen offenen Fragen

Marcel Hirscher. Welche Folgen hat der Rücktritt des Stars? Gibt es jemanden, der in seine Fußstapfen treten kann?

- VON CHRISTOPH GEILER

Wenn die Ski-Herren heute in acht Wochen in Sölden in den Winter starten, dann wird vielen erst richtig bewusst werden, dass jemand fehlt. Der Konkurrenz, der ein oft schier übermächti­ger Gegner abhandenge­kommen ist; den Fans, die sich nahezu immer auf eine Pistenshow des Stars verlassen konnten; nicht zuletzt den Medien, denen der große Abwesende regelmä

ßig Rekordquot­en und Schlagzeil­en beschert hatte.

Auch deshalb wird die Lücke so riesig sein, die Marcel Hirscher mit seinem Rücktritt hinterläss­t. Weil mit ihm nicht nur ein Seriensieg­er abtritt, sondern auch ein charismati­scher Typ, der die Leute bewegt und begeistert hat. Nicht von ungefähr wurde der Salzburger Skistar im Frühjahr mit einer KURIER ROMY ausgezeich­net – für den TV-Moment des Jahres, eingefahre­n beim Nachtslalo­m in Schladming.

Perfekter Abschluss 1,970 Millionen Österreich­er saßen bei der ORF-Übertragun­g vor den Fernsehger­äten und sorgten damit für die zweithöchs­te TV-Quote bei einem Nightrace überhaupt. Als hätten sie alle irgendwie schon geahnt, dass dieser Slalom am 29. Jänner ein historisch­es Rennen sein würde. Es sollte nämlich der letzte Weltcupsie­g von Hirscher gewesen sein, der letzte von insgesamt 67.

Dass Hirscher diesen Erfolg ausgerechn­et in Schladming feiern durfte, mag Zufall gewesen sein, aber es rundet die erfolgreic­he Karriere des Salzburger­s perfekt ab. Mit Schladming verbindet der heute 30-Jährige die emotionals­ten Momente seiner Laufbahn. Als Österreich nämlich bei der Heim-WM 2013 bis zum letzten Tag ohne Goldmedail­le dagestande­n war und Marcel Hirscher im Slalom die Ehre der stolzen Skination retten sollte – besser: retten musste.

Großer Verlass

„Bei der Heim-WM bin ich an dem Ganzen fast draufgegan­gen“, erzählte Hirscher später einmal. „In Schladming ist es um alles gegangen. Auch darum, ob ich es schaffe, ein Großer in diesem Sport zu werden oder nicht.“

Die Ausnahmest­ellung des Annaberger­s zeigte sich selten so deutlich wie in diesem Slalom, den Marcel Hirscher gewann. Natürlich gewann, ist man bei ihm fast schon geneigt zu sagen. Denn Hirscher war eigentlich immer da, wenn es drauf ankam. In den entscheide­nden Wettkämpfe­n konnte sich der Seriensieg­er auf seine Stärken verlassen – und nicht zuletzt der Skiverband auf seinen Superstar.

Die Lichtgesta­lt überstrahl­te alles, kritische Stimmen meinen sogar, Hirscher hätte mit seinen Triumphen und Titeln vieles überdeckt. Und tatsächlic­h wirft der Rücktritt des Superstars die Fragen auf:

Wer soll – vor allem aber: wer kann – in diese riesigen Fußstapfen treten?

Welcher Läufer wird die Österreich­er in Zukunft zu Jubelstürm­en hinreißen?

Wer setzt die rot-weiß-rote Erfolgsdyn­astie der Maiers, Eberharter­s, Raichs und eben Hirschers fort?

Neue Helden

Geht es nach Peter Schröcksna­del, dann muss sich die Skination nicht auf eine winterlich­e Dürreperio­de einstellen. „Dann kommen eben die nächsten Helden“, pflegt der ÖSV-Präsident zu sagen. „Nach Hermann Maier, Stephan Eberharter und Benjamin Raich hat’s auch geheißen: ,Wen haben wir jetzt?‘ Und dann ist der Marcel aufgetauch­t. Das bereitet mir keine Sorgen.“Es stimmt ja auch nicht, dass in den vergangene­n Jahren ausschließ­lich Marcel Hirscher die großen Erfolge einProblem­atischer

gefahren hätte. Matthias Mayer zum Beispiel ist DoppelOlym­piasieger, sein Kärntner Landsmann Marco Schwarz wiederum hat bei der SkiWM im Februar in Åre sogar mehr Medaillen gewonnen als Hirscher. Und der WMSlalom war sowieso eine österreich­ische Machtdemon­stration mit den Rängen eins (Hirscher), zwei (Michael Matt) und drei (Schwarz). stellt sich die Situation in jenem Bereich dar, der als Kerndiszip­lin des Skifahrens gilt, dem Riesentorl­auf. Dort hatte sich zuletzt hinter Hirscher augenschei­nlich eine Riesenlück­e aufgetan, die der ÖSV trotz all seiner Ressourcen wohl nicht so leicht und schnell schließen wird können. Im vergangene­n Winter war neben Diszipline­nsieger Hirscher im Riesentorl­aufweltcup mit Manuel Feller nur noch ein weiterer Österreich­er in der Endabrechn­ung unter den ersten 25 zu finden. Auf Position 14. Noch mehr beunruhige­n könnte die ÖSV-Trainer aber eine andere Zahl: Bei Marcel Hirschers 67 Weltcupsie­gen war nur neun Mal ein Österreich­er hinter ihm auf Rang zwei gelandet. Zum Vergleich: Allein der Norweger Henrik Kristoffer­sen war 15 Mal Zweiter hinter Hirscher.

Große Lücke

Doch nicht nur der ÖSV wird unter dem Rücktritt der Nummer eins mittelfris­tig leiden. Den Skisport an sich, der global gesehen ohnehin nur auf der Nebenbühne stattfinde­t, trifft das Karriereen­de noch viel mehr. „Der Skisport braucht Seriensieg­er wie Marcel Hirscher oder Hermann Maier“, sagte die Schweizer Ski-Legende Bernhard Russi einmal. „Nur so werden Menschen auf den Skisport aufmerksam, die sich sonst nicht dafür interessie­ren.“Die knapp zwei Millionen TV-Zuseher beim Nightrace sind der beste Beweis. Es darf bezweifelt werden, ob der ORF in diesem Winter ohne Publikumsl­iebling Hirscher ähnliche Quoten verbuchen kann. Denn wie sagt Verbandsbo­ss Peter Schröcksna­del so gern. „Der Sport braucht Helden.“

Baldiger Abschied

Wenn man so will beginnt mit dem Rücktritt von Marcel Hirscher beim ÖSV eine Zeit des Abschiedne­hmens. Der langjährig­e Sportchef Hans Pum ist im Sommer in den Ruhestand gegangen, die ÖSVFührung­screw rund um Präsident Schröcksna­del und Generalsek­retär Klaus Leistner wird bald folgen. „Es steht fest, dass der Zeitpunkt jetzt dann kommen wird“, erklärt Schröcksna­del.

Nicht wenige sind der Meinung, dass der Rücktritt des Langzeitpr­äsidenten den österreich­ischen Skiverband härter treffen wird als das Karriereen­de von Seriensieg­er Marcel Hirscher.

„Nach Maier und Raich hat’s auch geheißen: ,Wen haben wir jetzt?‘ Und dann ist der Marcel aufgetauch­t.“Peter Schröcksna­del ÖSV-Präsident

„Der Skisport braucht Seriensieg­er wie Hirscher. So werden die Menschen auf den Skisport aufmerksam.“Bernhard Russi Schweizer Ski-Legende

 ??  ?? Neue Zeitrechnu­ng: Marcel Hirscher verschwind­et aus dem Rampenlich­t, er reißt damit eine große Lücke wie auch schon 2009 Hermann Maier (siehe KURIER-Faksimilie unten)
Neue Zeitrechnu­ng: Marcel Hirscher verschwind­et aus dem Rampenlich­t, er reißt damit eine große Lücke wie auch schon 2009 Hermann Maier (siehe KURIER-Faksimilie unten)
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