„Der Tod ist der beste Coach des Lebens“
Matthias Strolz. Nach dem Politik-Ausstieg hat der Neos-Gründer nun einen Ratgeber geschrieben. Er zeigt, wie man Pilot seines Lebens wird
Noch vor 15 Monaten bestimmten das Rauchverbot, die Bildungskrise und das Pensionssystem sein Leben. Heute klingen die Botschaften von Neos-Gründer Matthias Strolz ganz anders. Er redet viel von der Stimme des Herzens, dass die Zukunft kein Raum ist, den wir willenlos betreten müssen. In seinem ersten Buch „Sei Pilot deines Lebens“(BrandstätterVerlag, 22 Euro) nach seinem Karriereende als Politiker zeigt er fünf Schritte zur persönlichen Entfaltung auf.
KURIER: Ein Jahr nach Ihrem Ausstieg aus der Politik bringen Sie ein Buch heraus. Es ist ein Lebenshilferatgeber, wie man den Weg zu sich selbst findet. Davon gibt es schon massenweise. Warum ein Ratgeber und kein politisches Werk?
Matthias Strolz: Natürlich war mir bewusst, dass es eine Thematik ist, die schon gut aufbereitet ist. Aber gleichzeitig war es das, was meine aktuelle Botschaft ist. Außerdem wollte ich im ersten Jahr nach meinem Ausstieg aus der Politik nicht in die kommentierende Rolle kommen. Es gab genügend Angebote, aber das war nicht stimmig für mich. Wenn ein (Partei-)Gründer geht, dann hat er entschlossen zur Seite zu treten.
Sie nennen Ihr System HighFive-Modell der persönlichen Entwicklungen. Wo liegt bei Ihrer Methode der Strolz-Effekt, der Ihren Ratgeber von anderen Büchern unterscheidet?
Es ist ein ganzheitlicher Ansatz, der die wissenschaftliche Perspektive sowie systemische und integrale Theorien hereinholt. Gleichzeitig baut mein Modell, wenn jemand will, auch die Brücke zur spirituellen Dimension. Denn ein großer „GameChanger“(jemand, der mit Regeln/Paradigmen bricht und neue
Mechanismen kreiert), der auf uns in den kommenden Jahrzehnten wartet, ist die Versöhnung der Spiritualität mit den Naturwissenschaften. An dieser Revolution möchte ich mitarbeiten. Das Buch ist ein kleiner Beitrag, inwieweit die Revolution auch im persönlichen Leben Platz greifen kann. Ich versuche, das sehr praxisorientiert runterzubrechen und lege mich dafür auch auf den Seziertisch, zeige mich in all meiner Verletzlichkeit.
Warum braucht es eine Versöhnung von Naturwissenschaft und Spiritualität ?
Die Naturwissenschaften haben uns weit getragen – und werden es weiter tun. Dafür sollten wir auch dankbar sein. Aber natürlich haben sie uns auch ein Stück weit entfremdet von der Natur. Wir sind nun als Menschen an einem Punkt, wo wir als intellektuelle Wesen, reduziert auf Gehirnleistung, bald evolutionär von der künstlichen Intelligenz überholt sein werden. Wenn es nur um Denkleistung geht, wird der Mensch der künstlichen Intelligenz irgendwann im Weg sein. Passiert das, dann wird es die Menschheit in 200 Jahren nicht mehr geben. Deswegen glaube ich, dass wir uns darauf zurückbesinnen müssen, dass wir ein Teil der Natur sind. Wenn wir auf das, was wir landläufig Stimme des Herzens nennen, hören, wird es eine Renaissance des Menschen als spirituelles Wesen geben.
Sie geben viel auf die Stimme des Herzens. Auch Träume spielen bei Ihnen im Veränderungsprozess eine Rolle. Was sind die drei Entscheidungskriterien, wenn Sie an einer Weggabelung stehen?
Bei großen Lebensfragen sollte das Triumvirat – Herz, Bauch und Kopf – die Regie führen und genau in dieser Rangliste. Wenn das Trio gemeinsam in Wirkung kommt, ist es unschlagbar. Wenn nicht alle drei zur Verfügung stehen, dann würde ich dem Herzen den Vorzug geben.
Sie beschreiben fünf Schritte zur persönlichen Neuerfindung. Welcher Schritt in diesem Prozess ist am mühsamsten?
Etwas Neues kann man nur empfangen, wenn man sich dafür frei macht. Deswegen ist das Loslassen am schwierigsten. Alle großen Kulturen und Religionen haben Rituale zum Loslassen. Als Kinder der Postmoderne sind wir aber arm an Ritualen. Dafür sind wir umso voller an materiellen Gütern und Reizüberflutungen. Deswegen ist das Loslassen eine Kulturtechnik, die wir dringender denn je benötigen, denn die Zeit ist so laut und verwirrend. Noch nie gab es so viele Optionen für die individuelle Lebensgestaltung. Es gab noch nie eine Generation, die so viele Möglichkeiten hatte. Das ist ein Privileg, aber auch eine Last, an der manche zerbrechen. Wir fühlen eine permanente Last, Entscheidungen treffen zu müssen. Auf welcher Basis treffe ich diese Entscheidungen? Auf Basis der Werbung, die auf mich niederprasselt? Auf Basis von gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, die natürlich auch sehr stark von wirtschaftlichen Logiken dominiert sind? Das macht nicht glücklich. Ein glückliches Leben braucht ein Grundrauschen von Zufriedenheit mit sich selbst. In diesem Wort steckt Frieden, aber das funktioniert nicht, wenn man sich der Reizüberflutung nicht entziehen kann.
Ist neben dem Loslassen, auch die Angst vor der Veränderung eine Hemmschwelle für Veränderungen?
Die Frage ist: Reitet mich die Angst oder wird sie von mir geritten? Und wie viel Platz gebe ich der Angst? Einerseits ist sie eine ständige Begleiterin von uns – aber jeder ist der Pilot seines Lebens. Ab und zu greift die Angst ins Steuer, dann muss ich sie wieder auf ihren Platz verweisen. Andererseits ist die Angst ein toller Wegweiser. Denn die Chinesen sagen: „Der größte Drache beschützt den größten Schatz“. Es ist geradezu die Aufforderung, dort, wo die Angst aufsteigt, genau hinzuschauen, denn da wartet ein großer Schatz. Das habe ich im Leben immer wieder gemacht. Als ich fünf Tage in den Wald ging, wollte ich mich auch meinen Ängsten stellen, weil ich nachts im Wald immer große Angst erlebte.
Wie groß war die Angst, als Sie die Entscheidung trafen, die Politik zu verlassen?
Die Angst war klein, die Sorgen waren schon größer. Denn ich wusste noch nicht, wie es weitergeht, als ich die Politik verließ. Aber zu sagen, ich muss gleich das Neue in der Hand haben, ist so ähnlich, wie wenn man eine Bergwanderung mit der Stoppuhr macht. Das ist möglich, aber man wird die Blumen am Wegrand nicht sehen oder den Adler, der über dir kreist. Ich habe einen Kredit aufgenommen, um mir Zeit zu nehmen und zum Beispiel eine Ayurveda-Kur zu machen. Als ich die Neos gründete, habe ich ebenfalls Privatkredite aufgenommen. In diesem Punkt bin ich ziemlich angstfrei. Dafür beneide ich jene, die nachts durch den Wald laufen und keine Angst haben, wenn sich im Gebüsch etwas bewegt. Jeder hat seinen eigenen Garten an Ängsten, den sollte man bewirtschaften, denn er ist ein Schatzgarten.
Apropos Schatz. Dem Tod geben Sie einen besonderen Stellenwert, um Entscheidungen zu treffen. Warum?
Ich drehe derzeit für den ORF eine Dokumentation über den Tod, wo ich mit einem Leichenwagen unterwegs bin. Da können die Menschen im Sarg probeliegen oder ihren Grabstein entwerfen. Das führt die Menschen in die Auseinandersetzung mit den Fragen: Was sind meine Werte? Was ist mir wichtig im Leben? Selten ist es der neue Turnschuh, sondern da ist die Frage der Liebe ganz zentral. Habe ich genügend Liebe gegeben und bekommen? Holt man den Tod ins Leben, dann tun wir uns leichter, den schnöden weltlichen Verführungen zu entsagen. Man kommt in eine grundsätzlichere Tiefe. Gerade unsere Vergänglichkeit eröffnet einen sehr liebevollen Blick auf uns selbst und unser Leben. Der Tod ist der beste Coach des Lebens.