„Lieber in einem Ameisenhaufen“
Martin Kušej tritt heute die Nachfolge legendärer Bühnenchefs an
Anderswo werden Theaterdirektoren ernannt und später abberufen. In Wien werden sie hineinund dann wieder hinausintrigiert. Ernst Haeusserman, einst selbst Burgtheaterdirektor, nannte das „die österreichische Version eines Direktionswechsels“. Und als beim Schriftsteller Carl Zuckmayer offiziell angefragt wurde, ob er Burgtheaterdirektor werden wollte, antwortete er: „Da setz ich mich lieber mit dem nackten Hintern in einen Ameisenhaufen!“Am heutigen 1. September tritt, diesmal intrigenfrei, Martin Kušej den Posten des Burgtheaterdirektors an.
Unmöglichster Job
Die „Burg“zu leiten, galt wegen der Vielfalt der Schauspieler, der Regisseure und des Publikums immer schon als der unmöglichste Theaterjob der Welt. Claus Peymann ist uns als der lauteste Direktor
(1986–1999) in Erinnerung geblieben, doch solche gab es auch vor ihm.
Überall Feinde
So war Heinrich Laube eine Art „Peymann des 19. Jahrhunderts“. Auch er kam aus Deutschland, war davor als Revolutionär in Festungshaft gesessen und duldete als Burgtheaterdirektor (1849–1867) keinen Widerspruch, frei nach seinem eigenen Motto: „Ein guter Theaterdirektor benötigt drei Jahre, um sich überall Feinde zu schaffen.“Er schaffte das in wesentlich kürzerer Zeit und zählt dennoch – durch die Pflege das klassischen Dramas – zu den bedeutenden Direktoren des Hauses. Direktor Adolf Wilbrandt
(1881–1887) holte Katharina Schratt ans Burgtheater und machte sich damit selbst das Leben zur Hölle. Denn wann immer ihr etwas nicht passte, bat sie ihren Freund, den Kaiser, um Intervention. Von ihm blieb das Briefzitat erhalten: „Nun will ich die nächste Gelegenheit benutzen, um dem Generalintendanten Ihren Wunsch vorzutragen.“
Die Schratt kündigt Direktor Wilbrandt und gleich drei seiner Nachfolger blieb nichts anderes übrig als die vom Kaiser vorgebrachten Wünsche zu akzeptieren. Als jedoch der Berliner Theaterkritiker Paul Schlenther 1898 die Leitung der „Burg“übernahm, setzte der sich über alle Anliegen der Schratt hinweg und blieb dennoch zwölf Jahre Direktor. Seine wichtigste Tat war es, den Schauspiel-Titan Josef Kainz ans Burgtheater zu holen, doch die Schratt kündigte im Zorn.
Der Kaiser als Direktor Es war Kaiser Joseph II., der die „Burg“(Kušej mag diesen
Ausdruck nicht) 1776 als „Teutsches Nationaltheater“gründete. Des Kaisers Interesse am Bühnengeschehen war so groß, dass er selbst quasi der erste Burgtheaterdirektor war. Die Folgen waren skurril, weil der Monarch in den Spielplan eingriff, oft entschied, wer welche Rolle bekam und selbst davor nicht zurückschreckte, Schillers „Fiesco“durch Streichungen und Hinzufügungen „zu verbessern“. Das Burgtheater feierte dennoch große Erfolge, vorerst weniger als Sprechdenn als Opernbühne, vor allem mit Mozart-Werken.
Die „Burg“war damals noch in einem viel kleineren Haus am Michaelerplatz untergebracht und bezog ihr jetziges Domizil an der Ringstraße erst 1888 unter Direktor Adolf von Sonnenthal, der selbst zu den wichtigsten Schauspielern zählte.
Vor leerem Haus
In der Ersten Republik schlitterte die „Burg“von einer Krise in die andere. Doch statt zu sparen, eröffnete der Dichter Anton Wildgans (Direktor 1921/1922 und 1930/1931)
das Akademietheater als zusätzliche Bühne. Mit einer Festvorstellung vor fast leerem Haus, weil das Publikum durch einen Druckerstreik nicht von dem Ereignis verständigt werden konnte. 1931 wurde im Parlament ernsthaft darüber diskutiert, das Burgtheater in ein Kino umzubauen. Um das zu verhindern, kürzte Wildgans unter dem lauten Protest der Schauspieler deren Gagen. Er bewahrte dabei aber seinen Humor: „Ich bin die einzige Wildgans“, sagte er, „für die es keine Schonzeit gibt“. Dann trat er zurück.
Die „Burg“im Ronacher Am 11. April 1945 durch einen Bombenangriff ausgebrannt, zog die „Burg“unter dem großen Schauspieler und Direktor Raoul Aslan ins Varieté Ronacher ins Exil. Zu den legendären Nachkriegsdirektoren zählte Ernst Haeusserman
(1959–1968), der Grillparzer, Nestroy, Hofmannsthal und Schnitzler in den Mittelpunkt des Spielplans stellte. Bekannt auch für seine scharfzüngigen Bemerkungen, kommentierte der 52-jährige Haeusserman seine Ablöse als Direktor durch den 66-jährigen Kammerschauspieler Paul Hoffmann mit den Worten: „Ich habe mich entschlossen, mein Amt in ältere Hände zu legen!“
Paul Hoffmanns Nachfolger Gerhard Klingenberg
(1971–1976) holte den aus Bremen stammenden Claus Peymann als Regisseur ans Haus, der zehn Jahre später selbst Direktor wurde. Stars wie Erika Pluhar, Fritz Muliar, Susi Nicoletti und Michael Heltau protestierten heftig gegen ihn, vor allem, weil er das österreichische Ensemble zugunsten deutscher Schauspieler vernachlässigte.
Hartmann & Bergmann Nach einem österreichischen Zwischenspiel mit Klaus Bachler als Direktor, folgten wieder zwei „Deutsche“: Matthias Hartmann, dessen Ära mit einem millionenschweren Finanzdebakel endete, und Karin Bergmann, die ihm 2014 als erster weiblicher Direktor folgte. Sie brachte Ordnung in die Bilanzen und Ruhe in das durch den Finanzskandal erschütterte Ensemble.
Dass mit Peymann, Hartmann und Bergmann gleich drei Deutsche an der Spitze standen, passt durchaus in die Tradition des Burgtheaters: Albert Heine – der erste Direktor nach dem Ende der Monarchie – war mit dem Ergebnis einer Probe so unzufrieden, dass er laut aufschrie: „Diese Deutschen soll doch alle der Teufel holen!“
„Herr Hofschauspieler“Noch ehe er den Satz beendet hatte, entdeckte er, dass neben ihm der beliebte, aus Sachsen stammende Hugo Thimig saß. Also fügte er schnell hinzu: „Sie, Herr Hofschauspieler, sind natürlich längst schon ein Wiener!“
Die Pointe am Rande: Direktor Heine war aus Braunschweig.