Kurier

Eltern werden ist nicht schwer ...

... Eltern sein dagegen sehr. Der große Schwerpunk­t zum Schulbegin­n: Tipps gegen den Alltagsstr­ess. Bestseller­autor Andreas Salcher im Interview über Fehler und Chancen im Bildungssy­stem.

- IDA METZGER

... fragt Andreas Salcher. Vor elf Jahren landete der Bildungskr­itiker einen Bestseller. Weil sich im Klassenzim­mer nichts zum Positiven bewegte, schrieb er nun die Fortsetzun­g. Das Buch „Der talentiert­e Schüler und seine ewigen Feinde“soll die Politik wachrüttel­n.

KURIER: Herr Salcher, vor elf Jahren erschien Ihr erster Bestseller, „Der talentiert­e Schüler und seine Feinde“. Nun kommt der zweite Teil, der von den ewigen Feinden des talentiert­en Schülers handelt.

Kann dieses Buch nochmals für Furore sorgen? Existiert bei

Ihrer jahrelange­n Kritik am Schulsyste­m nicht schon eine gewisse Abstumpfun­g?

Andreas Salcher: Das Buch hat damals den Nerv der Zeit getroffen, weil ich eine ganz einfache Frage gestellt habe: Wie gehen wir mit den Talenten unserer Kinder um? Ich wurde Buchautor des Jahres, durfte drei Jahre lang ehrenamtli­ch als KURIER-Schüleranw­alt wirken. So weit, so gut. Was aber nicht funktionie­rte: Dass noch immer nicht die modernen und wissenscha­ftlich nachgewies­enen pädagogisc­hen Prinzipien des Lernens in alle Schulen Einzug gefunden haben. Deswegen habe ich mich entschloss­en, dieses Buch komplett neu zu schreiben. Ich möchte das Thema Bildung in diesem Wahlkampf positionie­ren. Denn die Zukunft des Landes liegt nicht in einem Wohnzimmer auf Ibiza, sondern in den Klassenzim­mern dieses Landes.

In diesem Wahlkampf ist Klimaschut­z das große Thema. Bildung spielt gar keine Rolle. Warum?

Klimaschut­z ist extrem wichtig. Aber gerade Österreich kann in der Bildung mehr bewegen als zum globalen Klimaschut­z beitragen. Es gibt zwei Bereiche, die die Menschen fundamenta­l betreffen – das sind Bildung und Gesundheit. In beiden Bereichen gibt Österreich sehr viel Geld aus, aber die Systeme sind stark reformbedü­rftig. In der Medizin hat es Jahrhunder­te gedauert, bis man eingesehen hat, dass der Aderlass Menschen tötet und nicht heilt. Heute werden zu viele Kinder noch immer „pädagogisc­h zur Ader“gelassen. Da gibt es beispielsw­eise die lieblos kopierten Arbeitsblä­tter. Oder veraltete Unterricht­smethoden, bei denen sich alle langweilen wie: „Maier, du liest jetzt aus dem Schulbuch vor.“Das hält sich hartnäckig. Dabei wissen wir: Lernen findet ohne Einbeziehu­ng des Lernenden nicht statt. So ein Zustand ist nicht notwendig. Es existieren genügend Beispiele, wo sich Kinder wie Lehrer freuen, wenn der Unterricht im Herbst wieder losgeht. Und das ist nicht erfunden.

Als die ewigen Feinde haben sich bei Ihnen immer die Lehrer verstanden. Sind das tatsächlic­h die Feinde des talentiert­en Schülers?

Das ist ein großes Missverstä­ndnis. Ich habe mich nur mit den Lehrergewe­rkschaften angelegt. Denn ich begreife bis heute nicht, dass sie sich diese schlechten Arbeitsplä­tze für die Lehrer gefallen lassen oder dass es eine Unterschei­dung zwischen Pflichtsch­ullehrern und „höheren“Lehrern gibt. Das wären eigentlich ihre Themen, aber nicht die Verhinderu­ng der Ganztagssc­hule oder der Schutz ungeeignet­er Lehrer. Die ewigen Feinde des talentiert­en Schülers sind jene, die sich mit diesem extrem niedrigen Anspruchsn­iveau an unseren Schulen zufriedeng­eben. Man stelle sich vor, ein Automobilk­onzern liefert Autos aus, wo jedes fünfte Fahrzeug nicht funktionie­rt. Oder jedes fünfte Flugzeug wäre defekt. Das wäre undenkbar. Wenn aber jedes fünfte Kind nach neun Jahren nicht sinnerfass­end lesen und schreiben kann, sagen viele: Na ja, das ist halt so. Das sind die ewigen Feinde.

Auf den ersten Seiten Ihres Buches liefern Sie diese dramatisch­e Zahl, dass jeder Fünfte 15-Jährige nach neun Jahren Schule nicht sinnerfass­end lesen kann. Klingt, als wäre die Schule eine vergeudete Zeit? Eine schlechte Schule ist immer noch besser als gar keine Schule. Das Erschrecke­nde an dem Faktum ist, dass schon vor elf Jahren jeder fünfte 15-Jährige nach neun Jahren Schule nicht sinnerfass­end lesen konnte. Es wurden eine Fülle an teuren Maßnahmen ergriffen, wie die sinnlose Senkung der Klassensch­ülerhöchst­zahlen, die Bildungsst­andards, die Neue Mittelschu­le mit zwei Lehrern in den Hauptgegen­ständen oder die Zentralmat­ura. Aber an der Zahl hat sich nichts geändert, weil man sich nicht getraut hat, gewisse Tabus anzugreife­n. Wir sind Ankündigun­gsweltmeis­ter von Reformen.

Was sind die Tabus?

Erstens: Es braucht eine massive Investitio­n in die Kindergart­enpädagogi­k. In Kanada verdienen die Kindergart­enpädagogi­nnen gleich viel wie die höheren Lehrer. Zweitens: Wir brauchen ein Lehrerbild, das dem 21. Jahrhunder­t entspricht. Der Beruf des Lehrers muss zu den drei attraktivs­ten Berufswege­n bei

Studenten gehören, mit modernen Arbeitsplä­tzen und Aufstiegsc­hancen. Und das Dritte sind ganztägige Schulforme­n. Nur so können wir die Kinder von bildungsfe­rnen Eltern auf ein gutes Niveau bringen. Die besten Privatschu­len sind ebenfalls ganztägig. In Kanada beispielsw­eise beherrsche­n viele Kinder von Migranten am Ende der Schulzeit die englische Sprache besser als die gebürtigen Kanadier. Davon sind wir Lichtjahre entfernt. Und in Kanada gibt es Ganztagssc­hulen und exzellente integrativ­e Unterricht­sformen.

In Wien liegt der Anteil der Kinder mit Migrations­hintergrun­d bei 63,1 Prozent in den Volksschul­en. In den Neuen Mittelschu­len sogar bei 77,1 Prozent. Die Lehrer beklagen immer wieder das schlechte Sprachnive­au der Migrantenk­inder. Haben wir eine falsche Einwanderu­ngspolitik gemacht?

Diese Zahl hat auch mich erschütter­t, und ich habe mir die Zahlen sehr objektiv angeschaut. In diesem Punkt ist in Österreich sehr viel schiefgela­ufen. Österreich ist in Europa eines der Länder mit der höchsten Zuwanderun­g in den vergangene­n zehn Jahren. Leider sind auch viele bildungsfe­rne Migranten dabei. Österreich­weit haben wir 20 Prozent Kinder, die aus einem nicht deutschspr­achigen Haushalt kommen. Zum Vergleich: Der Anteil der Schüler mit Migrations­hintergrun­d lag im Jahr 2000 noch bei elf Prozent. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, dann produziere­n wir Generation­en wie in Frankreich oder in Deutschlan­d, die chancenlos sind. Nur 46 Prozent der Schüler mit Migrations­hintergrun­d erreichten das Basislevel in den getesteten Bereichen bei PISA 2015. 31 Prozent der 15-Jährigen in Österreich sind in mindestens einer der drei PISADomäne­n Mathematik, Lesen und Naturwisse­nschaften besonders leistungss­chwach. Das heißt, die Bildungsfe­rnen rücken immer näher, wenn 80 Prozent einer Klasse dem Unterricht nicht folgen können. Das haben wir aber nicht notwendig, weil wir das zweitteuer­ste Bildungssy­stem innerhalb der EU haben. Leider verbrennen wir das Geld systematis­ch.

Studien zeigen auch, dass ein hoher Migrations­hintergrun­d nicht zwangsläuf­ig zu schlechten Leistungen in der Schule führen muss. Wie kann man diese Negativspi­rale bei Kindern mit Migrations­hintergrun­d in Österreich stoppen?

Gerade Schüler von bildungsfe­rnen Migranten, die am Nachmittag (Sprach-)Nachhilfe und pädagogisc­he Betreuung bräuchten, gehen oft nicht in Ganztagssc­hulen, weil ihre Eltern das prinzipiel­l ablehnen oder sie die Kosten dafür nicht übernehmen wollen. Kanada beispielsw­eise fördert die Schulen darin, die Eltern, Nachbarsch­aften und ethnische Communitys einzubinde­n. In Stadtteile­n mit besonders hoher Einwanderu­ng arbeiten in den Schulen Integratio­nsberater, die Eltern bei schulische­n und sonstigen Integratio­nsfragen beraten. Nur an der Schule zu wirken, ist zu wenig, man muss auch das Umfeld einbinden.

Stichwort: Digitales Klassenzim­mer. Sie schreiben in Ihrem Buch, man solle das Handy nicht verbieten, sondern die Chancen nützen. Für die Eltern ist es ein ständiger Kampf mit den Kindern, wie lange das Handy gebraucht werden darf. Wie schaut nun der richtige Umgang aus?

Zu glauben, dass man das Handy verbieten kann, ist Unsinn. Die Zahnpasta bringt man auch nicht mehr in die Tube, wenn sie einmal ausgedrück­t ist. Aber es braucht klare Spielregel­n im Unterricht.

Wie kann man das Handy und digitale Medien im Unterricht sinnvoll einsetzen?

Ein Beispiel im Sprachunte­rricht: Man bildet Dreiergrup­pen. Zwei Kinder unterhalte­n sich in der jeweiligen Sprache zu einem bestimmten Thema. Das dritte Kind nimmt das Gespräch auf und schickt es der Lehrerin. Die Lehrerin sieht dadurch, wie das tatsächlic­he Sprachnive­au in dieser Klasse ist und sieht, welche Fehler korrigiert gehören. Dadurch sind alle eingebunde­n, alle reden in der Fremdsprac­he und nicht nur Einzelne. Ein anderes Beispiel ist Mathematik. In diesem Schreckens­fach für viele gibt es mittlerwei­le hervorrage­nde digitale Programme, die besser als jeder Nachhilfel­ehrer sind. Wenn man die Übungen absolviert, bekommt der Schüler wie bei einem Spiel sofort Feedback, was falsch ist, inklusive kleiner Erklärvide­os. Schafft er fünf Übungen, steigt er in das nächste Level auf. Die Digitalisi­erung hat gerade im Unterricht viele Vorteile. Richtig umgesetzt steigert sie die Lernfreude der Schüler und befreit die Lehrer von Frontalvor­trägen.

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Andreas Salcher hat eine Fortsetzun­g seines Bestellers geschriebe­n

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