Kurier

Marcel Hirscher, der große Unösterrei­chische

- VON GERT KORENTSCHN­IG

Was der Rennläufer mit der Bildungspo­litik zu tun hat. Und warum man ihn gar nicht genug würdigen kann.

Die Faktenlage ist klar: Es gibt noch keine Fakten. Marcel Hirscher ist offiziell noch nicht zurückgetr­eten – er wird sich erst am Mittwoch zu seiner sportliche­n Zukunft äußern. Seit aber KURIER-Journalist Wolfgang Winheim, der bestinform­ierte Skireporte­r, der niemals spekuliert, sondern erst in die Tasten greift, wenn er über fundiertes Wissen verfügt, seit er mit dieser Meldung an die Öffentlich­keit ging, ist klar: Marcel Hirscher hört auf. Im Alter von 30 Jahren. Da fangen viele andere gerade erst einmal so richtig an mit ihrem Berufslebe­n. Der Autor dieser Zeilen hat selbst über Alpinsport berichtet. Lange vor Hirscher, sogar vor Hermann Maier. Es wäre also unseriös, an dieser Stelle sportliche Urteile jenseits statistisc­her Auffälligk­eiten zu treffen. Das mögen Kompetente­re tun, etwa Bernhard Russi, der sagt: „Hirscher hat die Gabe, Kampf als Kunst aussehen zu lassen. Ein Roboter könnte das nie, was Hirscher kann.“

Gegen das Mittelmaß

Versuchen wir also hier lieber die Frage nach dem Warum zumindest zu stellen? Warum wurde er zum erfolgreic­hsten Alpinsport­ler der Welt? Warum deklassier­te er selbst unter größtem Druck die Konkurrenz? Eine mögliche Erklärung: Weil er sich als Wunderkind nicht vom System unterdrück­en ließ, Einzelkämp­fer innerhalb des Teams blieb, sich über die in Österreich beliebte Mentalität des „Hättiwari“, des Fast-Champions, des Zufriedens­eins mit dem Mittelmaß, erhob. Und bei all dem stets den Eindruck vermittelt­e, dass es im Leben noch anderes gibt als Skifahren, also die richtige Balance aus vollem Engagement und Distanz fand. Was man also auch vom Phänomen Hirscher lernen kann: Dass Elite nichts Negatives ist (womit wir thematisch bei Bildungsfr­agen wären).

Was auch immer schön war an Hirschers Auftritten: Er sagte, was zu sagen war, was ihm in den Kopf kam, kümmerte sich nicht um das, was seine Freunde oder Gegner hören wollten. Ihm schien es egal zu sein, ob es Likes oder Hasspostin­gs gibt. Ist es ja eigentlich auch.

Warum aber er, der so Unösterrei­chische, in Österreich so sehr zum Helden wurde, dass sich der Rhythmus ganzer Familien nach seinen Rennen richtete? Das wiederum hat viel mit gefühlter, aber nicht existenter Größe, mit Selbstwert und -zweifeln zu tun, vielleicht sogar mit „Österreich zuerst“, was nun auch im Wahlkampf wieder schamlos propagiert wird. Aber enden wir nicht zu psychologi­sch, sondern ganz simpel: Merci, Marcel! Und Masel tov! Es war wunderschö­n mit Ihnen im Wohnzimmer!

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