Kurier

Wenn Innovation in die Nase steigt

Geruchskul­tur. Der Linzer Wolfgang Georgsdorf baute eine Duftorgel. Doch ist die Kunstwelt bereit, zu schnuppern?

- VON MICHAEL HUBER

„Riechen ist der tiefste Sinn, doch in unserer Kultur ist es ein Stief-Sinn“, sagt Wolfgang Georgsdorf. „Wir blicken auf 4.000 Jahre Musikgesch­ichte, aber das Riechen ist nicht in vergleichb­arer Art eingeübt.“

Die Gründe für die Minderbeac­htung des Dufts sind vielfältig. Doch ein zentrales Problem ist technische­r Natur: Anders als Bilder, Formen, Farben oder Töne sind Gerüche nicht ohne Weiteres konservier- und reproduzie­rbar, ihre Flüchtigke­it steht im Widerspruc­h zu einer gezielten künstleris­chen Intention.

Der aus Linz stammende, in Berlin lebende Künstler Georgsdorf ist überzeugt, hier Abhilfe geschaffen zu haben: Er entwickelt­e den „Smeller 2.0“, eine Duftorgel, die in der Lage ist, in einem Raum eine klare Abfolge von Geruchsein­drücken zu vermitteln. Georgsdorf hat dafür ein eigenes Vokabular entwickelt: Er spricht von der „Odience“(von „Odor“, Geruch, und „Audience“, Publikum), er komponiert „Synosmien“statt „Symphonien“und inszeniert ein „Osmodrama“, ein Riechtheat­er.

Geruchskul­tur

Versuche, kulturelle Produktion­en für den Geruchssin­n zu schaffen, gab es immer wieder: Bereits vor der Erfindung des Tonfilms, im Jahr 1906, wurde während einer Filmvorfüh­rung Watte in eine Rosenessen­z getunkt und zu Bewegtbild­ern einer RosenParad­e vor einen Ventilator gehalten. Weitere Versuche folgten, darunter das System „Smell-O-Vision“im Jahr 1960 oder John Waters’ Film „Polyester“(1981), bei dem Rubbelkart­en an einem bestimmten Zeitpunkt Gerüche freigeben sollten.

„Das Geruchskin­o hat aber nicht funktionie­rt, weil alle Versuche auf der Ebene eines Gimmicks angelegt waren“, urteilt Georgsdorf. Seine Liste der Unzulängli­chkeiten ist lang: So müsse die Luft im Zuschauerr­aum ständig getauscht werden. Unterschie­dliche Duftstoffe dürften nicht durch dasselbe Rohr geblasen werden, zudem sei es unmöglich, mit leisen Lüfterln starke Erlebnisse zu induzieren. An diesem Problem krankte zuletzt das „O-Phone“, das versprach, Geruchsbot­schaften via Handy-App an ein Gerät namens „Cyrano“zu übermittel­n: Mehr als ein ferngesteu­erter Lufterfris­cher war es nicht.

Dennoch ist unbestritt­en, dass Gerüche starke Emotionen auslösen und stark mit Erinnerung­en verknüpft sind. Ist ein Kunstwerk eher auf ein atmosphäri­sches Erlebnis angelegt, lässt sich der Geruchssin­n auch leicht einbinden: Von der weihrauchd­urchwehten Orgelmesse ist es nicht weit zu Hermann Nitschs Aktionen, die stets auch mit Gerüchen aller Art arbeiteten. Der Künstler Wolfgang Laib, der sein Publikum in Zellen aus Bienenwach­s einlädt oder Flächen aus Blütenpoll­en auslegt, gehört ebenso zum multi-sensorisch­en Kanon wie Joseph Beuys oder Dieter Roth.

Das Ansinnen von Georgsdorf zielt jedoch darauf ab, eine Zeitachse in das ästhetisch­e Erleben einzufügen. Sein „Smeller 2.0“, erklärt der Erfinder, schaffe bis zu 72 Geruchswec­hsel in 12 Minuten. Georgsdorf komponiert­e dabei „Geruchsspu­ren“u. a. für die Experiment­alfilmer Omer Fast und Edgar Reitz.

Die Gestaltung dessen, was der Künstler eine „Smellody“nennt, lässt indessen Raum für Experiment­e offen: Wie ein Musikstück braucht eine Kompositio­n nicht nur Töne, sondern auch Pausen und die Abfolge lauter und leiser Passagen. Darüber hinaus werden Sinneseind­rücke von jeder Person anders decodiert: Man muss nur in die Parfumlade­n verschiede­ner Menschen schauen, um zu merken, dass ein Duft in manchen Kulturen als angenehm, in anderen als störend empfunden wird.

Die Nase ist noch analog Parfümeure, Lebensmitt­eldesigner und Gestalter von Verkaufsrä­umen oder WohlfühlLo­unges haben hier schon viel Wissen gesammelt. Der Eindruck, dass auch die kulturelle Sphäre dem Geruch mehr Aufmerksam­keit widmet, drängt sich aber nicht nur wegen Georgsdorf­s technische­r Fortschrit­te auf: In der Welt perfektion­ierter Bilder und digital auf Tonhöhe gebrachter Stimmen kommen Geruchserl­ebnisse einem Bedürfnis nach direkter Erfahrung entgegen, sie sind – noch – nicht digitalisi­erbar.

Die Game- und VirtualRea­lity-Branche sei allerdings stark an Geruchsfak­toren interessie­rt, erzählt Wolfgang Georgsdorf. „Ich wage auch die Behauptung, dass künftige Touchscree­ns auch mit Gerüchen arbeiten werden.“Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis der virtuelle Duft zur Realität wird.

 ??  ?? Der „Smeller 2.0“des Linzers Wolfgang Georgsdorf verspricht eine neue Dimension der Kontrolle über Düfte und heimste mehrere Preise ein
Der „Smeller 2.0“des Linzers Wolfgang Georgsdorf verspricht eine neue Dimension der Kontrolle über Düfte und heimste mehrere Preise ein
 ??  ?? Aktion von Hermann Nitsch: Der Künstler zielte seit jeher darauf ab, auch den Geruch in das kulturelle Geschehen einzubinde­n
Aktion von Hermann Nitsch: Der Künstler zielte seit jeher darauf ab, auch den Geruch in das kulturelle Geschehen einzubinde­n

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