Auch Demokratie muss man lernen
Gesellschaft. Ist die Demokratie in der Krise? Und wie können wir sie weiter entwickeln? Eine Diskussion
Das gibt es in dieser Fülle keinem anderen Bundesland: Der Bürgerrat ist eine Form der Bürgerbeteiligung und ist seit 2013 in der Landesverfassung verankert – ähnlich der Schöffen bei Gericht werden die Bürger per Los gewählt. Sie sollen Lösungen wie etwa Mobilitätskonzepte entwickeln. Hintergedanke: Man will die Menschen in das politische Geschehen einbeziehen.
Das Gesellschaftsforum FAQ Bregenzerwald in Vorarlberg war deshalb der passende Ort, um über die Zukunft der Demokratie, Teilhabe und Macht zu reden – im Rahmen des gesellschaftlichen Diskurses „überMorgen“(Kasten unten).
Noch vor 30 Jahren sah es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs so aus, als ob die Demokratie einen Siegeszug nehmen würde. Jetzt scheint es, dass sie in der Krise oder zumindest bedroht ist. „War die Euphorie verfrüht“, fragte Moderator und KURIER-Redakteur Christian Willim. „Sie war es“, meinte Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle: „Demokratie kommt ja nicht von alleine. Denn Demokratie heißt nicht automatisch, dass darin Demokraten geboren werden.“Was braucht es also?: „Hier ist das Bildungssystem gefragt, aber nicht nur. Nötig sind ein System und eine Kultur, in der Demokratie nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt wird.“Wenn man in Schule, Beruf oder der Gemeinde keinen demokratischen Diskurs pflege, könne man nicht erwarten, dass sie auf höheren Ebene – im Parlament funktioniere.
Unternehmer Hubert Rhomberg unterstreicht das:
„Es ist in Firmen so, dass Menschen mit einbezogen werden wollen. Dieses Topdown – der Chef befiehlt, die Mitarbeiter führen aus – funktioniert in der heurigen Zeit nicht mehr.“Auch die Wirtschaft braucht demokratische Strukturen. Autor Andreas Tögel will Demokratie
etwas anders definieren: „Im antiken Athen durfte auch nur eine Minderheit sich beteiligen – und zwar die, die sich an der politischen Diskussion beteiligten.“Hier wird Barbara Blaha hellhörig. Die Gründerin des linken Thinktanks Projekt 360, kritisiert, „dass Eliten
zu großen Einfluss in der Politik haben. Die Idee, dass das Einkommen darüber entscheidet, wie viel meine Stimme zählt, haben wir zum Glück überwunden.“
Schieflagen
Wahlrechte einschränken? „Keine gute Idee“, findet Stainer-Hämmerle. Wobei ein Problem bleibt: „Wenn immer mehr Menschen an einer Struktur hängen, die von Wahlen abhängt, ist das problematisch. Was heißt es z.B. für die Pensionsdebatte, wenn in einem Land die Mehrheit älter als 50 Jahren ist. Gibt es da noch eine Verteilungsgerechtigkeit?“gibt Rhomberg zu bedenken.
Über Verteilungsgerechtigkeit und sozialen Frieden macht sich Barbara Blaha grundsätzlich Gedanken: „Wir sehen, dass in den vergangenen 25 Jahren der Reichtum immer ungleicher verteilt wird – und wer mehr Geld hat, hat mehr Einfluss.“Dass das Vermögen so ungleich verteilt ist, habe nichts so sehr mit der realen Wirtschaft zu tun, stellt Rhomberg fest. „Wir Unternehmer sind sichtbar, aber
man sollte uns nicht in einen Topf werfen mit jenen, die in der virtuellen Wirtschaft Geld verdienen.“Er wünscht sich mehr Transparenz bei Parteispenden: „Hier sind wir zu lasch. Es ist in Ordnung, wenn jemand spendet. Doch der Wähler muss das wissen – und entscheiden, ob er eine Partei deshalb oder trotzdem wählt.“
Expertenregierung Welche Ideen gibt es aber, die Demokratie weiterzuentwickeln? Ein Grundproblem sei, dass Politiker nur für eine bestimmte Periode gewählt werden. Projekte, die längerfristige Auswirkungen haben, werden oft nicht angegangen. Deshalb gibt es Ideen wie die einer Kammer, in der Experten sitzen, die solche Themen über Parteigrenzen hinweg verfolgen und die keine Angst vor der Abwahl haben müssen.
Solche Experten können gewählte Mandatare höchstens beraten, mahnt StainerHämmerle. „Denn Experten sind weder ideologie- noch wertfrei. Jeder der verspricht, dass es ein System gibt, das Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit für alle gleichermaßen sichert, ist ein politischer Scharlatan.“
Wie aber soll es mit der Demokratie weitergehen? Wie soll sie sich weiterentwickeln? Verena Ringler, die die europäische Projektboutique European Commons leitet, sieht hier die EU auf einem besseren Weg als viele Pessimisten: „Sie hat in einer Zeit, in der die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, Krisenfestigkeit beweisen.“Mehr noch: „Die EU ist ein Exporteur von Normen und Standards, weil sie Technologie und Grundrechte viel wesentlicher in Form gebracht hat. Die Datenschutzgrundverordnung ist weltweit ein Exportschlager.“
Für Rhomberg ist die große Qualität von Europa, dass „wir so gut mit Unterschiedlichkeit umgehen können. Wir schimpfen zwar auf die Italiener, aber mögen sie auch. Dass wir kooperieren können ist ein Vorteil.“Nicht nur für die Wirtschaft.
Am Ende hängt vieles an den Jungen, zu denen Elisabeth Aicher gehört. Die ehemalige AHS-Landesschulsprecherin von Vorarlberg hat früh begonnen, sich zu engagieren, in der Schule und später auf Landesebene. Dass diese Arbeit auch politisches Engagement ist, war ihr anfangs gar nicht bewusst. Sie ist überzeugt: „Wenn man uns Verantwortung überlässt, übernehmen wir diese. Wenn wir z.B. eine Veranstaltung organisieren, setzen wir uns auch wirklich dafür ein – so lernt man Demokratie.“Was sie ärgert: „Wir gehen für unser Anliegen auf die Straße, etwa im Rahmen der Fridays for Future-Demos. Doch die Politik reagiert nicht.“
Die Diskussion können Sie auf Facebook „projektuebermorgen“nachschauen.
„In den vergangenen 25 Jahren wurde der Reichtum immer ungleicher verteilt – wer mehr Geld hat, hat mehr Einfluss.“
Barbara Blaha
gründete linken Thinktank
„Wir können in der EU gut mit Unterschiedlichkeit umgehen. Dass wir kooperieren, können ist ein Vorteil.“
Hubert Rhomberg Unternehmer
„Wer verspricht, dass er Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit für alle gleichermaßen sichert, ist ein politischer Scharlatan.“
Kathrin Stainer-Hämmerle Politikwissenschafterin