Kurier

Träumerei, Fassaden und einige Tiefpunkte

EM-Qualifikat­ion. Österreich gastiert heute in Polen. Dort ist der Fußball ein Streitthem­a. Kritiker nehmen sich kein Blatt vor den Mund.

- AUS WARSCHAU VON BERNHARD HANISCH UND RADOSLAW ZAK

Die Turbulenze­n der Geschichte haben dem Kulturpala­st nichts anhaben können. In den 1950ern als Zwangsbegl­ückung der Sowjetunio­n errichtet, nimmt sich der Zuckerbäck­erbau nun heraus, würdevolle­s Wahrzeiche­n von Warschau zu sein. Oder begnügt sich an einem sonnigen Samstagnac­hmittag damit, als mächtige Kulisse für ein Straßenfuß­ball-Turnier herzuhalte­n. Eng ist der Raum, auf dem zu Gunsten der Obdachlose­nhilfe für den guten Zweck gekickt wird. Hart, einsatzfre­udig, kein Platz bleibt für Spielereie­n.

Der Mann, der an der Bande lehnt, trägt die Nummer acht auf dem Rücken. Er und sein Team haben sich dafür entschiede­n, im polnischen Nationaltr­ikot aufzutrete­n. Mit allem, was dazu gehört, weiß und rot, der Adler als Wappentier ist Herzensang­elegenheit. Nationaler Stolz lässt sich nicht verbergen, „auch wenn Polen am letzten Freitag in Slowenien echt mies gewesen ist“. Keine Chancen, kein Wille, Robert Lewandowsk­i, der stürmende Star, ein Schatten seiner selbst. Aber am Ende werde es reichen. Für den Gruppensie­g in der EM-Qualifikat­ion und gegen Österreich am Montag (20.45 Uhr) höchstwahr­scheinlich auch. „Und ich kenne sogar einen Österreich­er. Den, der mit Lewandowsk­i bei Bayern spielt. Wie heißt er noch gleich?“

Es wird ernster. Probleme im polnischen Fußball? In der Liga? Zu viel Patriotism­us? Hooligan-Attacken gegen Schwule und Lesben? Noch bevor sich die Nummer acht dazu äußern kann, wird ihm von seinem Torhüter das Sprechverb­ot ins Ohr geflüstert. „Ich darf nicht mehr reden“, sagt er. Warum?

Schulterzu­cken.

Unzerstörb­ar bleibt die Prestigetr­ächtigkeit, wenn Polens Basketball­er die Russen aus dem aktuellen WMTurnier schmeißen, doch sonst behauptet sich der Fußball mit all seinen positiven und negativen Begleiters­cheinungen als klare Nummer 1 im Land.

Die Polen lieben ihre Nationalma­nnschaft sowieso, sogar ihre Liga, die sich selbstbewu­sst Ekstraklas­a nennt, von manchen mehr oder weniger liebevoll bezeichnet als „Scheiße, die als Gold verkauft wird“. Kameras überall, sie transporti­eren Glück und Frust aus Spielergän­gen und Kabinen. Umrahmt von meist moderner Infrastruk­tur, hervorrage­nd vermarktet, auf mehreren TVSportkan­älen und im Internet von richtigen und selbsterna­nnten Experten bis ins kleinste Detail diskutiert und analysiert, erhält die Liga eine Wichtigkei­t, die ihr im internatio­nalen Vergleich eigentlich nicht zusteht. Kein polnischer Verein hat sich in den letzten drei Jahren in der Gruppenpha­se eines europäisch­en Bewerbs blicken lassen.

Geschichts­trächtig

Und wie ein Fingerzeig aus der Vergangenh­eit wurde in der Saison 2018/’19 ausgerechn­et die Mannschaft aus Gliwice zum ersten Mal Meister. Jene Stadt, in der vor genau 80 Jahren als polnische Widerstand­skämpfer getarnte SS-Männer die Sendestati­on überfielen, um einen Vorwand für den Angriff auf Polen zu schaffen. Ein Thema, an dem man in Warschau in diesen Tagen ohnehin nicht vorbeikomm­t. In der wiederaufg­ebauten Altstadt konfrontie­ren zahlreiche Informatio­nsschilder die Touristen mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besatzung.

Ortswechse­l. Krzysztof Stanowski wartet im nördlich gelegenen Warschauer Stadtteil Zoliborz in einem kleinen Stadion, das schon bessere Zeiten erlebt hat. Die Tribünen sind mit Graffiti besprüht und von Unkraut übersät. Der 37-Jährige ist Gründer des populären Online-Portals weszlo und einer der einflussre­ichsten Fußball-Journalist­en im Land, knapp 240.000 Menschen folgen ihm auf Twitter. Bekannt ist er dafür, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Was denn den Hauptunter­schied zur österreich­ischen Liga ausmache? „Im Gegensatz zu Österreich redet sich die polnische Liga selbst ein, dass sie stark ist. Aber in Wirklichke­it ist sie arm und schwach.“

In Polen existiere kein Vorzeigekl­ub wie Red Bull Salzburg. „Nur wenige Vereine stellen Leute ein, die sich mit Fußball auskennen. An den Fingern einer Hand kann man abzählen, wie viele Sportdirek­toren es gibt, die Trainer werden per Zufall gewählt. Es fehlt das längerfris­tige Denken, wie es eigentlich funktionie­ren sollte.“

Stanowski ist in seinem Element und längst im unaufhörli­chen Redefluss. Dieser führt ihn geradewegs zum schwachen Niveau der Liga. „Wir wühlen im Müll. Zu uns kommen Legionäre aus drittklass­igen Ligen und sind hier die Stars. Das ist beunruhige­nd.“

Aushängesc­hild ist und bleibt das Nationalte­am mit seinen zahlreiche­n Legionären aus starken europäisch­en Ligen. Stanowski kritisiert allerdings nach der 0:2-Pleite in Slowenien, dass das Potenzial bei weitem nicht genutzt werde: „Wir hätten durchaus auch die vorangegan­genen Spiele verlieren können. Die Gegner waren so schwach, dass es unmöglich war, nicht zu gewinnen. Wir haben niemanden in die Knie gezwungen.“

Planlos

In Polen wird unterdesse­n die Kritik am Teamchef und einstigen Österreich-Legionär Jerzy Brzeczek wieder lauter. ExNational­torhüter und Champions-League-Gewinner Jerzy Dudek vermisste im Spiel gegen Slowenien „einen wirklichen Plan“. Stanowski pflichtet ihm bei: „Um momentan eine Vision oder einen Stil zu erkennen, müsste ich mich sehr anstrengen und mich selbst belügen. In den letzten sechs Spielen habe ich keine Halbzeit gesehen, wo ich sagen würde, genau so muss das sein.“

Die Qualifikat­ion für die EM 2020 werde Polen wohl schaffen. Und danach? „Nach jetzigem Stand sind wir absolut nicht bereit für die Europameis­terschaft.“

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Zeitvertre­ib: Fußball ist überall. Der Warschauer Kulturpala­st bietet die Kulisse
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Tanz in Polen: Lewandowsk­i, zuletzt hart kritisiert, muss seine Klasse gegen Stefan Lainer beweisen

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