Kurier

Anpacken gegen die Sprachlosi­gkeit

Eine Ausstellun­g würdigt das außergewöh­nliche Werk des Oberösterr­eichers Josef Bauer

- VON MICHAEL HUBER

Dass Künstler gern in die Gräben hinabsteig­en, die sich zwischen Bildern, Worten und Dingen auftun, ist keine neue Erkenntnis: René Magritte brachte die Einsicht, dass das Bild einer Pfeife keine Pfeife ist, schon 1929 schulbucht­auglich auf den Punkt. Zahlreiche Künstler folgten ihm, nicht selten illustrier­ten sie dabei Zeichen- und Sprachtheo­rien.

Die Bilder und Arrangemen­ts, die nun in der ersten Museumsret­rospektive des Künstlers Josef Bauer im Belvedere 21 ausgebreit­et sind, stehen in dieser Tradition und sind doch anders. Denn der 1934 geborene Oberösterr­eicher verstand es, in seinem umfassende­n, aber nicht breit bekannten Werk besondere Sinnlichke­it unterzubri­ngen. „Mit dem Haptischen, Greifbaren bin ich aufgewachs­en“, sagt der Sohn eines Bauern aus dem Raum Wels. „Später ist mir klar geworden, dass die Welt der Sprache die Welt der Dinge benennen muss – diese Spannung hat mich interessie­rt.“

Begriffe mit Griffen

Ein „Begriff“wird bei Bauer im Wortsinn zu einer Sache, die es zu be-greifen gilt: Buchstaben, aber auch Symbole wie Pfeile und Kreuze werden bei ihm in die Höhe gereckt oder tragen Gipsabgüss­e der Hände, die sie einst hielten. Zahlen und Buchstaben verselbsts­tändigen sich, liegen über Sessel gebreitet oder in Ecken gedrängt. Und noch bevor Franz West seine heute berühmten „Passstücke“entwarf, fertigte Josef Bauer sogenannte „körpernahe Formen“– Skulpturen, die als Halskrause oder Nackenstüt­ze am Körper getragen werden konnten.

Der Dichter Reinhard Priessnitz, der mit West wie mit Bauer befreundet war, gehörte zu den Mittlerfig­uren in Bauers Umfeld. Ebenso Gerhard Rühm, der den Künstler, der sich früh für ein Landleben entschiede­n hatte, in Sprachkuns­t-Kreisen bekannt machte. Belvedere-Kurator Harald Krejci stellt aber weniger Bauers Verortung in der Kunstwelt als seine Biografie und seinen Bezug zu Österreich­s Nachkriegs­geschichte in den Mittelpunk­t.

Der Künstler wuchs in der Umgebung des KZ Mauthausen auf – weil der Vater kein NS-Kollaborat­eur war, wurde ein Grundstück der Familie für die Errichtung des Nebenlager­s Gunskirche­n abgeholzt. Die „Mühlviertl­er Hasenjagd“bekam Bauer als Kind mit, die Gesichter von KZ-Häftlingen brannten sich ein: Sie waren Motiv der ersten Bilder, die Bauer malte.

Im Stillen Ozean

Das Interesse des Künstlers für Sprache ist also vor dem Hintergrun­d jener Sprachlosi­gkeit zu sehen, die Österreich nach dem Krieg überzog und die der Schriftste­ller Gerhard Roth als den „Stillen Ozean“bezeichnet hat. Wie der Künstler erzählt, habe er nach Kriegsende seinen Vater gefragt, ob es nun keine Zeitungen mehr geben würde – dass in diesen über etwas anderes als über Krieg berichtet werden könnte, schien dem Elfjährige­n undenkbar.

„Schlagstoc­k – Schlagzeil­e“heißt nun ein frühes Werk in der Belvedere-Ausstellun­g, das verdeutlic­ht, wie die Verbindung von Macht, Gewalt und Sprache bald zum Thema von Bauers Kunst wurde: Es besteht aus zwei teilbemalt­en Stecken, von denen der eine mit Zeitungspa­pier umwickelt ist. Überhaupt arbeitet Bauer gern mit Zeitungen – sie werden einmal zur Unlesbarke­it übermalt, dann wieder mit einem großen „E“aus Metall als Quasi-Skulptur im Stil Richard Serras an die an die Wand gepinnt.

Protest!

Die Belvedere-Schau bietet einen fasziniere­nden Schaulauf von ästhetisch klaren und zugleich raffiniert­en Ideen. Dass Bauer in seinen Werkserien so viele verschiede­ne Einfälle verfolgte, mag ihm am Markt zum Nachteil gereicht haben: Einen Markenzeic­hen-Stil, den man sofort mit ihm assoziiert, gibt es kaum.

Am ehesten wiedererke­nnbar sind seine langen Stäbe, die auf der Spitze in Buchstaben auslaufen – sie waren im Vorjahr in der Wiener Galerie Krobath und in der „1968“-Schau im Linzer Lentos Museum prominent zu sehen. Ihren Hintergrun­d haben die Objekte einerseits in Bauers Biografie (er war mehrfach er Staatsmeis­ter im Stabhochsp­rung), anderersei­ts in den Protestmär­schen der 1968er: Die dort getragenen Schilder und Transparen­te erscheinen bei Bauer abstrahier­t, ohne klar lesbaren Inhalt, aber mit symbolisch­er Aufladung.

In einer Fotoserie, in der Bauer die Objekte umherschle­ppt, kann man außerdem einen kreuztrage­nden Jesus erkennen. Von der Polit-Demonstrat­ion zur Monstranz, mit der zu Fronleichn­am Hostien präsentier­t werden, ist es von hier nicht mehr weit. Es ist nur einer von vielen Querbezüge­n, die Bauer in der Welt der Zeichen und Zeigegeste­n offenbart: Ein hochintere­ssantes Werk, das es nun in bislang nicht gekannter Breite zu entdecken gibt. Bis 12. Jänner 2020

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Ein Bild aus der Serie „Die Sprache des Herzeigens“, mit der Josef Bauer 1969 begann

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