„Die Wahl scheint im Grunde schon entschieden“
Umfrage. Kein Kanzler-Duell, keine Themen und stabile Umfrage sorgen für Demobilisierung
„Ich bitte Sie, wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab.“Ansprache von Alexander Van der Bellen am 21. Mai 2019 Des Bundespräsidenten Appell ist längst verklungen. Das Ibiza-Video ob Schredder-Affäre, Parteifinanzen und Hacking-Angriff fast vergessen.
Viel ist vor der Nationalratswahl von einer Re-Politisierung der Gesellschaft die Rede und von einem selten schmutzigen Wahlkampf. Doch stimmt der Eindruck? Nein, so der Tenor der vom KURIER befragten Politologen (Kathrin Stainer-Hämmerle, Anton Pelinka, Reinhard Heinisch) und PolitikBerater (Heidi Glück, Josef Kalina).
„Wir können von erheblichen Wahrnehmungsunterschieden zwischen politischen Eliten und der Bevölkerung ausgehen, die beispielsweise auf Schreddern wenig bis nicht reagiert, weil es jenseits der Wahrnehmungsschwelle ist oder einfach als nicht relevant empfunden wird“, sagt Politologe Heinisch. Der Befund spiegelt sich auch in den konstant stabilen Umfragewerten wider
(siehe S 4,5). Und stellt gleichzeitig ein veritables Problem für alle Parteien dar.
„Es gibt diesmal kein Kanzler-Duell, sondern einen Kampf um Platz zwei, doch der wird kaum thematisiert“, sagt Heidi Glück, ehemals Sprecherin von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel. Es fehle dem Wahlkampf schlichtweg die Spannung. „Und es fehlen die Themen“, so der langjährige SPÖ-Berater Josef Kalina. „Es geht viel um Schnitzel oder Cordon bleu, Schreddern oder Hacking und um Befindlichkeiten von Kandidaten statt um große Themen.“
Das führe – da sind sich alle Experten einig – zu einer in Österreich neuen Situation. „Die vermeintliche Gewissheit über den Wahlausgang
ist sicherlich insgesamt demobilisierend“, sagt Politologe Anton Pelinka. Das zeigt auch die aktuelle KURIEROGM-Umfrage. Laut dieser ist bei der Nationalratswahl am 29. September mit 75 bis 77 Prozent von einer geringeren Wahlbeteiligung auszugehen als 2017 (80 Prozent). „Unentschlossen sind noch neun Prozent der Wähler“, weiß OGM-Chef Wolfgang Bachmayer ob der Daten von 2167 Befragten. „Die Wahl scheint im Grunde entschieden.“
Was müssen oder vielmehr können Kurz, Hofer und Co. im Endspurt tun, um in den verbleibenden 14 Tagen die Österreicher davon zu überzeugen, überhaupt zur Wahl zu gehen und für ihre Partei zu stimmen?
Warnungen
Sicher ist, so die Experten, dass die 5 Spitzenkandidaten weiterhin mantrahaft vor Koalitionsszenarien der Mitbewerber warnen werden, um zu mobilisieren. Hörbar ist das seit Tagen, sichtbar ab sofort auch auf neuen Plakaten der Ex-Koalitionspartner. Die ÖVP wirbt mit „Wer Kurz will, muss Kurz wählen“, der ExKanzler selbst spricht oft die (arithmetisch unwahrscheinliche) Möglichkeit einer RotBlau-Regierung an. Und die FPÖ warnt mit Kickls Konterfei „Ohne uns kippt Kurz nach LINKS“und mit Hofers Porträt „Schwarz-Grün gefährdet DEINE Zukunft.“Ob die Rechnung aufgeht?
„Opferinszenierungen und Jetzt-erst-recht-Parolen können noch zu einer Mobilisierung führen“, erklärt Kathrin Stainer-Hämmerle. Die Frage sei nur, für wen. Die Politologin vermutet, dass „taktische Wähler noch abwarten. 2017 haben wir gesehen, dass die Silberstein-Affäre sowohl ÖVP als auch SPÖ geholfen oder das Video von Frau Gertrude einen Mobilisierungsschub für Van der Bellen ausgelöst hat. Spielverändernde Momente sind immer möglich.“