Kurier

Protest auf zwei Beinen und Rädern

Deutschlan­d. Mit Fußmarsch und Radsternfa­hrt demonstrie­rten Tausende für Alternativ­en zum Auto

- SANDRA LUMETSBERG­ER

Das größte Auto an diesem Tag ist mitten unter den Demonstran­ten: Ein aufgeblase­ner Wagen, der auf dem Dach liegt und den Schriftzug „Verkehrswe­nde jetzt“trägt. Das ist auch die Forderung Tausender Menschen, die am Samstag in Frankfurt auf die Straße gegangen bzw. geradelt sind. Laut Veranstalt­ern – Klimaschut­zund Umweltverb­ände, die sich zu einem Bündnis zusammenge­schlossen haben – sind es 7000 zu Fuß und 18.000 auf dem Fahrrad. Die Polizei spricht von 15.000 Menschen.

Was sie eint, ist ein Ziel: Weniger Autos in der Stadt, mehr Infrastruk­tur für Radund Fußgängerw­ege und Ausbau von Bus und Bahn. „Nieder mit der Autokratie“, steht auf dem Transparen­t von Roswitha, 60 Jahre. Man habe sich in den Städten zu lange auf das Auto fokussiert, den Klimaschut­z und die Lebensqual­ität der Menschen außer Acht gelassen. Nachsatz: „Es braucht mehr Grünund Spielfläch­en für Kinder.“

Eva aus Konstanz ist mit ihrem Mann und den Töchtern per Mitfahrgel­egenheit angereist. „Der Zug ist zu teuer“, sagt die Erzieherin. Nahverkehr müsse günstiger werden. Medizinstu­dentin Henrike, die aus Stuttgart kommt, fordert ebenfalls billigere Tickets, damit mehr Menschen das Auto stehen lassen. Sie zahle fürs Halbjahr 200 Euro. Dass eine Jahreskart­e in Wien 365 Euro kostet, kann sie fast nicht glauben. „Put some fun beetween your legs“, hat Mira auf ihr Plakat geschriebe­n. Die Studentin fordert zudem sichere Radwege – „für die Autoindust­rie ist immer Geld da“. Deutlicher formuliert es einer neben ihr: „Wech mit dem Blech“.

Das „Blech“, das er meint, sieht man an diesem Tag weniger in der gesperrten Innenstadt, dafür als Ausstellun­gsobjekt in der Messehalle, wohin die Demonstran­ten ziehen. Drinnen, wo die Internatio­nale Automobila­usstellung (IAA) stattfinde­t, staunen junge Männer über Autos, die sie sich wohl kaum leisten können, finden den Protest draußen „übertriebe­n“.

SUVs und E-Autos

Andere fotografie­ren SUVs, in denen Menschen karussella­rtig Probe fahren und über künstlich angelegte Erdhaufen wackeln. „Wer fährt damit wirklich im Gelände?“, fragt Michael aus Düsseldorf. Der Golf-Fahrer ist hier, um sich über E-Autos zu informiere­n. Seine Bilanz: „Viel zu teuer.“Auch die Batterie halte nicht lange und es fehle an Infrastruk­tur zum Aufladen. Kanzlerin Angela Merkel versprach, deren Ausbau zu unterstütz­en, als sie die IAA besuchte. Gleichzeit­ig nahm sie die Autobauer in die Pflicht: Unzulässig­e Abschaltei­nrichtunge­n hätten mitten in einem Wandel der Mobilität zu einem Vertrauens­verlust bei den Kunden geführt.

Manchen Demonstran­ten ist das zu wenig. Sie sind nicht von E-Autos überzeugt, der Strom müsse etwa emissionsf­rei produziert werden müsste. Sie fordern von der Bundesregi­erung ein Klimaschut­zgesetz, das etwa Mobilitäts­alternativ­en unterstütz­t. Merkel, die das Thema einst vorantrieb, dann aber vernachläs­sigte, kündigte eine Entscheidu­ng für Freitag an.

Für Ute, Landschaft­sgärtnerin aus Frankfurt, die „Mehr Grün für die Stadt“auf ihrem Plakat fordert, wäre viel getan, wenn die Innenstädt­e autofrei würden. „Tausende pendeln täglich hierher. Der Stau ist unerträgli­ch.“

„Kein Radfanatik­er“

Nur nicht gestern. Da waren Straßen und Autobahn-Abschnitte für Radfahrer gesperrt, die aus allen Teilen Deutschlan­ds anradelten und mit Klingeln vor der IAA einzogen. Werner Buthe ist der Mann, der die Sternfahrt plante. Er trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck: „Ich bin an allem schuld“. Der Frankfurte­r, Mitte fünfzig, stellt klar: „Ich bin kein Radfanatik­er, ich bin für das Verbindend­e.“Er hat auch ein Auto, fahre aber in der Stadt nur Rad – in Kombinatio­n mit der S-Bahn, so ist er am schnellste­n unterwegs.

Er macht sich keine Illusionen, dass die AutomesseB­esucher ab morgen aufs Rad steigen, „aber es wäre viel getan, wenn einige ins Nachdenken kommen“. Überhaupt wäre er für ein neues MesseKonze­pt. „Warum bezieht man nicht mehr andere Verkehrsmi­ttel mit ein und macht eine Mobilitäts­messe?“Sollte das passieren, wolle er wieder einen Fahrradzug anführen, dann aber würden alle die Räder abstellen und hineinmars­chieren. Mira aus Köln muntert zum Radfahren auf und fordert den Ausbau sicherer Radwege

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Die Proteste fanden mit Blick auf die Frankfurte­r Automesse statt: Gefordert wird unter anderem ein klimaneutr­aler Verkehr bis 2035
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