Protest auf zwei Beinen und Rädern
Deutschland. Mit Fußmarsch und Radsternfahrt demonstrierten Tausende für Alternativen zum Auto
Das größte Auto an diesem Tag ist mitten unter den Demonstranten: Ein aufgeblasener Wagen, der auf dem Dach liegt und den Schriftzug „Verkehrswende jetzt“trägt. Das ist auch die Forderung Tausender Menschen, die am Samstag in Frankfurt auf die Straße gegangen bzw. geradelt sind. Laut Veranstaltern – Klimaschutzund Umweltverbände, die sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen haben – sind es 7000 zu Fuß und 18.000 auf dem Fahrrad. Die Polizei spricht von 15.000 Menschen.
Was sie eint, ist ein Ziel: Weniger Autos in der Stadt, mehr Infrastruktur für Radund Fußgängerwege und Ausbau von Bus und Bahn. „Nieder mit der Autokratie“, steht auf dem Transparent von Roswitha, 60 Jahre. Man habe sich in den Städten zu lange auf das Auto fokussiert, den Klimaschutz und die Lebensqualität der Menschen außer Acht gelassen. Nachsatz: „Es braucht mehr Grünund Spielflächen für Kinder.“
Eva aus Konstanz ist mit ihrem Mann und den Töchtern per Mitfahrgelegenheit angereist. „Der Zug ist zu teuer“, sagt die Erzieherin. Nahverkehr müsse günstiger werden. Medizinstudentin Henrike, die aus Stuttgart kommt, fordert ebenfalls billigere Tickets, damit mehr Menschen das Auto stehen lassen. Sie zahle fürs Halbjahr 200 Euro. Dass eine Jahreskarte in Wien 365 Euro kostet, kann sie fast nicht glauben. „Put some fun beetween your legs“, hat Mira auf ihr Plakat geschrieben. Die Studentin fordert zudem sichere Radwege – „für die Autoindustrie ist immer Geld da“. Deutlicher formuliert es einer neben ihr: „Wech mit dem Blech“.
Das „Blech“, das er meint, sieht man an diesem Tag weniger in der gesperrten Innenstadt, dafür als Ausstellungsobjekt in der Messehalle, wohin die Demonstranten ziehen. Drinnen, wo die Internationale Automobilausstellung (IAA) stattfindet, staunen junge Männer über Autos, die sie sich wohl kaum leisten können, finden den Protest draußen „übertrieben“.
SUVs und E-Autos
Andere fotografieren SUVs, in denen Menschen karussellartig Probe fahren und über künstlich angelegte Erdhaufen wackeln. „Wer fährt damit wirklich im Gelände?“, fragt Michael aus Düsseldorf. Der Golf-Fahrer ist hier, um sich über E-Autos zu informieren. Seine Bilanz: „Viel zu teuer.“Auch die Batterie halte nicht lange und es fehle an Infrastruktur zum Aufladen. Kanzlerin Angela Merkel versprach, deren Ausbau zu unterstützen, als sie die IAA besuchte. Gleichzeitig nahm sie die Autobauer in die Pflicht: Unzulässige Abschalteinrichtungen hätten mitten in einem Wandel der Mobilität zu einem Vertrauensverlust bei den Kunden geführt.
Manchen Demonstranten ist das zu wenig. Sie sind nicht von E-Autos überzeugt, der Strom müsse etwa emissionsfrei produziert werden müsste. Sie fordern von der Bundesregierung ein Klimaschutzgesetz, das etwa Mobilitätsalternativen unterstützt. Merkel, die das Thema einst vorantrieb, dann aber vernachlässigte, kündigte eine Entscheidung für Freitag an.
Für Ute, Landschaftsgärtnerin aus Frankfurt, die „Mehr Grün für die Stadt“auf ihrem Plakat fordert, wäre viel getan, wenn die Innenstädte autofrei würden. „Tausende pendeln täglich hierher. Der Stau ist unerträglich.“
„Kein Radfanatiker“
Nur nicht gestern. Da waren Straßen und Autobahn-Abschnitte für Radfahrer gesperrt, die aus allen Teilen Deutschlands anradelten und mit Klingeln vor der IAA einzogen. Werner Buthe ist der Mann, der die Sternfahrt plante. Er trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck: „Ich bin an allem schuld“. Der Frankfurter, Mitte fünfzig, stellt klar: „Ich bin kein Radfanatiker, ich bin für das Verbindende.“Er hat auch ein Auto, fahre aber in der Stadt nur Rad – in Kombination mit der S-Bahn, so ist er am schnellsten unterwegs.
Er macht sich keine Illusionen, dass die AutomesseBesucher ab morgen aufs Rad steigen, „aber es wäre viel getan, wenn einige ins Nachdenken kommen“. Überhaupt wäre er für ein neues MesseKonzept. „Warum bezieht man nicht mehr andere Verkehrsmittel mit ein und macht eine Mobilitätsmesse?“Sollte das passieren, wolle er wieder einen Fahrradzug anführen, dann aber würden alle die Räder abstellen und hineinmarschieren. Mira aus Köln muntert zum Radfahren auf und fordert den Ausbau sicherer Radwege