Gatsch, Käfer und Kuchen im Wald
Waldkindergärten liegen im Trend. Grund ist auch das gestiegene Bewusstsein für Naturschutz
Kurz sieht es so aus, als würde Paul weinen. Doch der Trennungsschmerz währt nicht lange. Kaum geht es mit dem Leiterwagen und den Freunden Mia und Leonard sowie zwei Betreuern Richtung Wald, ist der Abschied von der Mama vergessen.
In Mödling sind seit September die „Waldleos“los. Nahe der Meiereiwiese hat Julia Dorner einen Waldkindergarten eröffnet. Bei dieser Betreuungsform sind die Kinder bei jedem Wetter im Freien. Auch im Winter. Und wenn es regnet. Lediglich eine beheizte Hütte oder ein Tipi dienen als Rückzugsort.
Was im ersten Moment ungewöhnlich klingt, liegt im Trend. Neben den „Waldleos“soll auch im nö. Reinsberg ein Waldkindergarten eröffnen. Österreichweit gibt es rund 24, dazu zehn reguläre Kindergärten mit Schwerpunktsetzung. In Mödling besuchen acht Kinder zwischen drei und sechs Jahren die „Waldleos“, 15 können aufgenommen werden. Die Plätze werden bald weg sein. Besonders aus Wien gäbe es viele Anfragen, sagt Dorner.
Naturerlebnis
Paul, Mia und Leonard sind indes auf dem Weg zu „ihrer Waldlichtung“. Dorner hat ein Areal von der Gemeinde gemietet, diese hat dort eine alte Jagdhütte für die Kinder saniert. Die Kleinen betrachten mit den Betreuern Bernhard Osterer und Helene Salomon etwas am Wegesrand. „Das war ein toter Grashüpfer. Den haben wir zugedeckt“, informiert die dreieinhalbjährige Mia. „Das Konzept ist, dass durch Erleben gelernt wird“, erklärt Dorner. Etwa Baum- und Tierarten. Zudem begegne man dem Kind auf Augenhöhe.
Nach dem Morgenkreis erreicht die Gruppe die Hütte. Rundherum stehen bemalte Paletten. Ein „Gatschkuchen“wartet auf die Dekoration mit Hagebutten. Dorner ist ei
gentlich Archäologin, doch Tochter Mia brachte sie dazu, über andere Betreuungsformen nachzudenken. Für sie liegt der Vorteil auf der Hand: Die Kinder würden die Natur unmittelbar erleben. „Man weiß auch, dass über Bewegung die Lernprozesse gekoppelt sind“, sagt die 32-Jährige.
Das kann Sabine Polatschek bestätigen. Sie gründete vor 17 Jahren die Kindergruppe Waldfexxx bei Krems. Ohne vorgefertigte Spielzeuge könnten sich die Kinder nach ihren Interessen entwickeln. „Sprachlich ist es ein irrer Vorteil, wenn man jedes Ding erst einmal benennen muss.“Auch Bildungspsychologin Barbara Schober von der Uni Wien bestätigt, dass da durch Kreativität und Geduld gefördert werden. Und: „Unsere Erfahrungen zeigen, dass Kinder, die viel draußen sind, irre gute Abwehrkräfte haben“, sagt Polatschek. 40 Kinder besuchen die private Kindergruppe. „Wir haben Vormerkungen teilweise schon ab der Geburt.“
Für Bildungswissenschaftler Gottfried Biewer ist der Trend auch Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen. Vielen Eltern würden die ökologischen Zusammenhänge bewusst. Dazu komme der Siegeszug der Reformpädagogik. „Das Thema Umweltschutz ist hochaktuell“, meint auch Dorner. „Was man kennt und liebt, schützt man lieber.“
Nach einer kurzen Jause unter der Pergola geht es für „ihre“Kleinen weiter. Die Garderobe wird gebaut. Streng genommen ist der Waldkindergarten kein Kindergarten. In den meisten Bundesländern fallen die Gruppen unter das Kinderbzw. Tagesbetreuungsgesetz. Um vom Land eine entsprechende Genehmigung zu bekommen, musste Dorner diverse Auflagen erfüllen. Etwa ein festes Ausweichquartier im Fall von Extremwetterlagen. Auch die Wiener „Gatschhüpfer“– die einzige derartige Einrichtung in der Bundeshauptstadt – brauchen Räume für Schlechtwetter oder das Mittagessen. Bei allen Vorteilen bleiben zwei Nachteile. Die Betreuung ist mit mehreren hundert Euro pro Monat nicht günstig. Und für Berufstätige sind Öffnungszeiten oft nur bis Mittag problematisch. Waldfexxx-Leiterin Polatschek formuliert es so: „Es ist den Bedürfnissen der Kinder entsprechend und nicht denen berufstätiger Eltern.“