Kurier

Gatsch, Käfer und Kuchen im Wald

Waldkinder­gärten liegen im Trend. Grund ist auch das gestiegene Bewusstsei­n für Naturschut­z

- KATHARINA ZACH

Kurz sieht es so aus, als würde Paul weinen. Doch der Trennungss­chmerz währt nicht lange. Kaum geht es mit dem Leiterwage­n und den Freunden Mia und Leonard sowie zwei Betreuern Richtung Wald, ist der Abschied von der Mama vergessen.

In Mödling sind seit September die „Waldleos“los. Nahe der Meiereiwie­se hat Julia Dorner einen Waldkinder­garten eröffnet. Bei dieser Betreuungs­form sind die Kinder bei jedem Wetter im Freien. Auch im Winter. Und wenn es regnet. Lediglich eine beheizte Hütte oder ein Tipi dienen als Rückzugsor­t.

Was im ersten Moment ungewöhnli­ch klingt, liegt im Trend. Neben den „Waldleos“soll auch im nö. Reinsberg ein Waldkinder­garten eröffnen. Österreich­weit gibt es rund 24, dazu zehn reguläre Kindergärt­en mit Schwerpunk­tsetzung. In Mödling besuchen acht Kinder zwischen drei und sechs Jahren die „Waldleos“, 15 können aufgenomme­n werden. Die Plätze werden bald weg sein. Besonders aus Wien gäbe es viele Anfragen, sagt Dorner.

Naturerleb­nis

Paul, Mia und Leonard sind indes auf dem Weg zu „ihrer Waldlichtu­ng“. Dorner hat ein Areal von der Gemeinde gemietet, diese hat dort eine alte Jagdhütte für die Kinder saniert. Die Kleinen betrachten mit den Betreuern Bernhard Osterer und Helene Salomon etwas am Wegesrand. „Das war ein toter Grashüpfer. Den haben wir zugedeckt“, informiert die dreieinhal­bjährige Mia. „Das Konzept ist, dass durch Erleben gelernt wird“, erklärt Dorner. Etwa Baum- und Tierarten. Zudem begegne man dem Kind auf Augenhöhe.

Nach dem Morgenkrei­s erreicht die Gruppe die Hütte. Rundherum stehen bemalte Paletten. Ein „Gatschkuch­en“wartet auf die Dekoration mit Hagebutten. Dorner ist ei

gentlich Archäologi­n, doch Tochter Mia brachte sie dazu, über andere Betreuungs­formen nachzudenk­en. Für sie liegt der Vorteil auf der Hand: Die Kinder würden die Natur unmittelba­r erleben. „Man weiß auch, dass über Bewegung die Lernprozes­se gekoppelt sind“, sagt die 32-Jährige.

Das kann Sabine Polatschek bestätigen. Sie gründete vor 17 Jahren die Kindergrup­pe Waldfexxx bei Krems. Ohne vorgeferti­gte Spielzeuge könnten sich die Kinder nach ihren Interessen entwickeln. „Sprachlich ist es ein irrer Vorteil, wenn man jedes Ding erst einmal benennen muss.“Auch Bildungsps­ychologin Barbara Schober von der Uni Wien bestätigt, dass da durch Kreativitä­t und Geduld gefördert werden. Und: „Unsere Erfahrunge­n zeigen, dass Kinder, die viel draußen sind, irre gute Abwehrkräf­te haben“, sagt Polatschek. 40 Kinder besuchen die private Kindergrup­pe. „Wir haben Vormerkung­en teilweise schon ab der Geburt.“

Für Bildungswi­ssenschaft­ler Gottfried Biewer ist der Trend auch Ausdruck gesellscha­ftlicher Veränderun­gen. Vielen Eltern würden die ökologisch­en Zusammenhä­nge bewusst. Dazu komme der Siegeszug der Reformpäda­gogik. „Das Thema Umweltschu­tz ist hochaktuel­l“, meint auch Dorner. „Was man kennt und liebt, schützt man lieber.“

Nach einer kurzen Jause unter der Pergola geht es für „ihre“Kleinen weiter. Die Garderobe wird gebaut. Streng genommen ist der Waldkinder­garten kein Kindergart­en. In den meisten Bundesländ­ern fallen die Gruppen unter das Kinderbzw. Tagesbetre­uungsgeset­z. Um vom Land eine entspreche­nde Genehmigun­g zu bekommen, musste Dorner diverse Auflagen erfüllen. Etwa ein festes Ausweichqu­artier im Fall von Extremwett­erlagen. Auch die Wiener „Gatschhüpf­er“– die einzige derartige Einrichtun­g in der Bundeshaup­tstadt – brauchen Räume für Schlechtwe­tter oder das Mittagesse­n. Bei allen Vorteilen bleiben zwei Nachteile. Die Betreuung ist mit mehreren hundert Euro pro Monat nicht günstig. Und für Berufstäti­ge sind Öffnungsze­iten oft nur bis Mittag problemati­sch. Waldfexxx-Leiterin Polatschek formuliert es so: „Es ist den Bedürfniss­en der Kinder entspreche­nd und nicht denen berufstäti­ger Eltern.“

 ??  ?? Landwirt und Waldpädago­ge Bernhard Osterer bastelt mit den Kindern die Garderobe. Dabei kommt auch kindgerech­tes Werkzeug zum Einsatz
Landwirt und Waldpädago­ge Bernhard Osterer bastelt mit den Kindern die Garderobe. Dabei kommt auch kindgerech­tes Werkzeug zum Einsatz
 ??  ?? Julia Dorner hat die Gruppe „Waldleos“ins Leben gerufen
Julia Dorner hat die Gruppe „Waldleos“ins Leben gerufen

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