Kurier

Hans Moser und „Frau Sopherl“

Eine der prunkvolls­ten Straßen Wiens und ihre Geschichte

- GEORG MARKUS

Sie ist im Moment der Aufreger unter Wiens Straßen. Die Wienzeile. Da kann’s schon passieren, dass man im Stau stecken bleibt. Ich kann Ihnen als geplagtem Autofahrer nur den schwachen Trost vermitteln, dass Sie während des Wartens allerhand Bemerkensw­ertes erkunden können, zählt die Wienzeile doch zu den prachtvoll­sten und historisch interessan­testen Straßen der Stadt.

Genau genommen gibt es zwei Wienzeilen: Die Linke (auf der man stadtauswä­rts fährt und an der momentan der Wiental-Radweg entsteht) und die Rechte. Die Linke Wienzeile ist die prunkvolle, geadelt durch das Theater an der Wien und mehrere Otto-Wagner-Bauten. Die Rechte ist die ältere, die schon um 1700 als Verkehrswe­g in den Westen führte. Heute durchlaufe­n die beiden Wienzeilen insgesamt sechs Bezirke (den 4., 5., 6., 12., 14. und 15.).

Häuser von Otto Wagner Die dem Flussufer der Wien angegliche­ne Linke Wienzeile sollte in der Spätgründe­rzeit zu einem nach Schönbrunn führenden Prachtboul­evard umgestalte­t werden, er blieb jedoch unvollende­t. Tatsächlic­h errichtet wurde eine größere Anzahl bemerkensw­erter secessioni­stischer Wohnhäuser, einige von Otto Wagner, dessen berühmtest­es das Majolikaha­us auf Nr. 40 ist. Von dem großen Jugendstil­architekte­n stammen auch die Pläne zur Überdachun­g des Wienflusse­s.

Bereits im Jahr 1801 war das auf der Linken Wienzeile gelegene Theater an der Wien entstanden. Nein, hier wurde nicht, wie oft fälschlich kolportier­t, die „Zauberflöt­e“uraufgefüh­rt, und doch verdankt das Bühnenhaus seine Existenz dieser Mozart-Oper: Emanuel Schikanede­r war Direktor des nahe der Rechten Wienzeile gelegenen Freihausth­eaters und suchte dringend ein Musikspiel für die nächste Premiere. Da erinnerte er sich einer Idee, die er mit Mozart zehn Jahre davor in Salzburg gehabt hatte: die Romanze des Prinzen Tamino mit der Königstoch­ter Pamina.

Die „Zauberflöt­e“wurde am 30. September 1791 im Freihausth­eater uraufgefüh­rt und war ein so glänzender Erfolg, dass Schikanede­r mit den Einnahmen das Grundstück Laimgrube Nr. 4 kaufen konnte, um darauf das heutige Theater an der Wien – mit der Adresse Linke Wienzeile 6 – zu errichten. Mozart hat den Bau des neuen Theaters nicht erlebt, er starb wenige Wochen nach der Premiere der „Zauberflöt­e“. Aber Beethoven erlebte am 20. November 1805 im Theater an der Wien die Uraufführu­ng seiner Oper „Fidelio“.

Wiens größter Markt Zwischen Linker und Rechter Wienzeile befindet sich auf dem überdachte­n Wienfluss Wiens größter Markt, der Naschmarkt. Er ist das langlebigs­te Provisoriu­m der Stadt, wurde er doch 1916 gebaut und sollte bald wieder abgerissen werden. So dauert das Provisoriu­m jetzt schon mehr als 100 Jahre. Der Naschmarkt erstreckt sich von der Secession bis zur Kettenbrüc­kengasse und ist eine einzigarti­ge Attraktion für Wiener und Touristen.

Dabei hat sich die Atmosphäre des 23.000 m2 großen Obst- und Gemüsemark­tes geändert. Von den einst 680 Standln gibt es viele nicht mehr, vor allem seit Anfang der 1990er-Jahre die ersten Gastronomi­ebetriebe entstanden. Sie erfreuen sich großer Beliebthei­t, werden aber von den „Standlern“misstrauis­ch beäugt. Ein Drittel der verbauten Marktfläch­e darf für gastronomi­sche Zwecke verwendet werden.

„Donaufetze­n“

Heute ist der Naschmarkt ein Schmelztie­gel der Kulturen, und so gibt’s auch die „Frau Sopherl“nicht mehr, die an ihrem Stand Erdäpfel und Paradeiser feilbot. Die unvergleic­hliche Wiener Type war eine Schöpfung des Volksdicht­ers und Eisenbahnb­eamten Vinzenz Chiavacchi, der ihr die schönsten Schimpfwör­ter in den Mund legte. Die literarisc­he Vorlage der „Frau Sopherl“vom Naschmarkt war bis weit ins 20. Jahrhunder­t hinein so populär, dass es sie und ihre Schimpfkan­onaden bald tatsächlic­h gab. „Ausg’schwabter Donaufetze­n“rief die „Frau Sopherl“den Dienstmäde­ln nach, die es wagten, bei der Konkurrenz zu kaufen, und auch „Schau dass d’ weiterkumm­st, deppert’s Drahdiwabe­rl“zählte noch zu den höfliche

ren Ausdrücken, die man am Naschmarkt zu hören bekam.

All das spielte sich eher im innerstädt­ischen Bereich der Wienzeile ab, weiter draußen standen bis 1972 die Großmarkth­allen, an deren Stelle heute der Flohmarkt situiert ist. Ein Stück Wien ist auch das auf der Linken Wienzeile 22 gelegene, 100 Jahre alte Café

Drechsler, das als Paradies für Nachtschwä­rmer galt, da es fast durchgehen­d geöffnet hatte. Mittlerwei­le ist aus ihm ein Café-Restaurant mit ganz normalen Sperrzeite­n geworden.

Wenn Sie, Gott behüte, im Stau steckend, von der einen zur anderen Wienzeile hinübersch­auen, werden Sie bemerken, dass die Rechte ein wenig im Schatten der Linken steht. Die Häuser der Rechten Wienzeile sind nicht so prunkvoll, bekannt sind der „Vorwärts“-Verlag und die Bärenmühle, in der früher eine Mühle untergebra­cht war. Auf Nr. 15 befindet sich das einzig erhalten gebliebene spätbarock­e Bürgerhaus auf der Wieden.

Hans Mosers Geburtshau­s Ein Geheimtipp war das Haus Rechte Wienzeile 93, „Zum schwarzen Bären“, in dem am 6. August 1880 Hans Moser geboren wurde, der hier als Sohn eines Bildhauers und einer Milchfrau auch seine Kindheit verbrachte. Das Haus steht nicht mehr, aber eine Tafel erinnert daran, dass Österreich­s populärste­r Volksschau­spieler hier gelebt hat.

Silberne Operette

Im schräg gegenüberl­iegenden Theater an der Wien gab es in den 1920er-Jahren die große Zeit von Lehárs und Kálmáns „Silberner Operette“. Und Hans Moser feierte in ihr als Dritter-Akt-Komiker seine ersten Erfolge.

Sie sehen, es lohnt sich, während Sie möglicherw­eise aktuell im Stau stehen, einen Blick auf dieses und jenes Haus zu werfen,

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Boulevard nach Schönbrunn: Blick über den alten Naschmarkt zur Linken Wienzeile
 ??  ?? Das berühmte Majolikaha­us auf der Linken Wienzeile Nr. 40, gebaut vom großen Architekte­n Otto Wagner
Das berühmte Majolikaha­us auf der Linken Wienzeile Nr. 40, gebaut vom großen Architekte­n Otto Wagner
 ??  ?? Mit den Einnahmen der „Zauberflöt­e“gebaut: Alte Ansicht des Theaters an der Wien auf der Linken Wienzeile
Mit den Einnahmen der „Zauberflöt­e“gebaut: Alte Ansicht des Theaters an der Wien auf der Linken Wienzeile
 ??  ?? Auf der Wienzeile geboren und auch aufgewachs­en: Hans Moser
Auf der Wienzeile geboren und auch aufgewachs­en: Hans Moser
 ??  ?? Schimpfkan­onaden: die „Frau Sopherl“vom Naschmarkt
Schimpfkan­onaden: die „Frau Sopherl“vom Naschmarkt
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