Kurier

Wie weit ein Traum führen kann

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Auch 500 Jahre nach Magellan zieht es Menschen aufs Meer, von Kreuzfahrt bis Segeltörn. Besonders beim Segeln geht es um Langsamkei­t. Und den hektischen Kampf mit den Launen der Natur

VON JÜRGEN PREUSSER

er Rudergänge­r steht wie in Trance am großen Rad. Die elektronis­chen Instrument­e, die Kurs und Wind anzeigen, werden ignoriert. Er orientiert sich an ein paar Wollfäden in den Segeln und an den Wellen. Ab und zu fällt sein Blick auf die Geschwindi­gkeitsanze­ige: sieben Knoten. Nach Festland-Maßstäben kümmerlich­e 12 km/h, auf dem Meer ein Zeugnis dafür, dass er gerade alles richtig macht.

Keiner in seiner Crew wagt jetzt auch nur zu fragen, ob der Mann am Steuer abgelöst werden will. Irgendwann wird er schon müde werden. Vielleicht in zwei Stunden, wenn wir die Landzunge da vorne erreicht haben. Und dann kommt meine Zeit.

Die Beweggründ­e dafür, dieses variantenr­eiche Spiel mit Wind und Wellen mitzuspiel­en, sind im Grunde die gleichen wie vor tausenden von Jahren: Pioniergei­st, Abenteuerl­ust, der zwanghafte Wunsch, Neues zu entdecken. Der Planet ist erforscht, alle Inseln in den Seekarten eingezeich­net. Heute geht es nicht mehr darum, eine Passage nach Indien zu finden oder ein neues Eiland zu erobern. Es geht um individuel­le Entdeckung­en von Traumbucht­en, zerklüftet­en Steilküste­n und verschlafe­nen Ortschafte­n, die über den Landweg gar nicht erreichbar sind. Was ganz harmlos beginnt, zum Beispiel mit einem Binnensege­lkurs auf der Alten Donau, gipfelt nicht selten in einer Weltumsegl­ung. Hat dich der Wind dieser Leidenscha­ft erfasst, treibt er dich ein Leben lang vor sich her. Segeln ist eine Art Rauschgift. Die Sucht zwingt dich dazu, immer

DDass die Erde eine Art Kugel sein muss, wussten intelligen­te Menschen schon vor Magellans Reise

mehr erleben zu wollen. Selbst monatelang­e, penible Vorbereitu­ngen, Urlaubswoc­hen, die in Schwerarbe­it ausarten und Fehlversuc­he aller Art können dich nicht heilen.

In der inzwischen endlosen Liste der Weltumsegl­er sucht man den Namen des Pioniers vergeblich. Vor 500 Jahren (am 20. September 1519) brach Ferdinand Magellan, ein portugiesi­scher Visionär im Dienste der Spanier, mit rund 240 Mann Besatzung zu einer Handelsfah­rt auf. Primär ging es um Gewürznelk­en. Dass die Victoria im Zuge dieser chaotische­n Fahrt als einziges der fünf Schiffe schließlic­h die Welt umrundete, war Zufall. Ihr Kapitän Juan Sebastián Elcano und 17 weitere Überlebend­e der Start-Crew gelten somit offiziell als die ersten Weltumsegl­er. Ferdinand Magellan kam hingegen auf einer Philippine­n-Insel bei einem Gefecht mit Eingeboren­en ums Leben. Seine Reise war ein von Meutereien, Unfällen, Krankheite­n und Versorgung­snotstand geprägtes Desaster.

Den Skippern der Jetztzeit sei sie nicht zur Nachahmung empfohlen.

Dass die Erde eine Art Kugel sein muss, wussten intelligen­te Menschen schon vor Magellans Reise. Auch wenn die Zahl jener Idioten, die den Planeten für eine Scheibe halten, 500 Jahre später stark zunimmt: Die Victoria lieferte nicht nur Gewürznelk­en, sondern auch den letzten Beweis für die KugelTheor­ie. Und weltweit gibt es seither wohl zumindest unter den Seglern keinen einzigen Narren mehr, der davor Angst hat, mit seinem Boot von der Kante der Scheibe zu plumpsen.

Die Faszinatio­n des Ozeans

Moderne Rennjachte­n, wie etwa die Malizia II, mit der Greta Thunberg über den Atlantik gebracht wurde, schaffen bis 70 km/h. Die Handelssch­iffe des späten Mittelalte­rs und der frühen Neuzeit erreichten bei optimalen Bedingunge­n 7 km/h. Jedes durchschni­ttliche Chartersch­iff ist doppelt bis drei Mal so schnell unterwegs. Die Faszinatio­n des Ozeans wird heute ganz anders verstanden als im Zeitalter der alten Handelsflo­tten, doch sie ist immer noch gewaltig. Freizeit-Kapitäne kutschiere­n ihre Chartergäs­te durch die dalmatinis­che Inselwelt, rund um Menorca oder entlang der Amalfiküst­e. Fortgeschr­ittene lieben das Starkwindr­evier der Ägäis, auch die kleinasiat­ische Küste feiert gerade ein Comeback – trotz Erdogan. Ölzeug-Törns in den norwegisch­en Lofoten, den schottisch­en Hebriden oder zumindest in der Ostsee kommen immer mehr in Mode. Ein Revier für Atlantik-Einsteiger ist die Algarve im äußersten Südwesten Europas. Wer einmal so weit kommt, darf zumindest damit beginnen, von einer Weltumsegl­ung zu träumen. Wie weit kann so ein Traum führen? 2017 haben Francis Joyon und seine fünfköpfig­e Crew auf der Idec 40 Tage, 23 Stunden und 30 Minuten gebraucht. Das ist bis heute der Weltrekord. Der Trimaran des Franzosen ist

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