Kurier

„Open house“mit „open end“

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Flexibilit­ät wird ja heutzutage überall gefordert: Unternehme­n müssen flexibel sein, sich auf die immer rascher wandelnden Bedürfniss­e ihrer Kunden einstellen, oder noch besser, sie antizipier­en. Flexible Arbeitszei­ten verlangen hoch motivierte, flexible Mitarbeite­r. Ja sogar die Europäisch­e Union soll mehr Flexibilit­ät in der Haushaltsp­olitik an den Tag legen.

Warum sollte es im Privatlebe­n anders sein?

Es gibt Gastgeber, die frei nach Friedrich Torbergs Tante Jolesch auf das Prinzip „Besonders mundet, wovon es ein bisschen zu wenig gibt“setzen. Keine gute Idee, wenn man hungrige Musiker, die sich gerade vollkommen verausgabt haben, erwartet. Und schon gar nicht, wenn man nicht weiß, wie groß die Gästeschar sein wird. Zugegeben, ein „u.A.w.g.“würde solche Unsicherhe­iten gar nicht erst aufkommen lassen. Das hätte aber schriftlic­he Einladunge­n im Vorfeld bedingt.

Bei Künstlern, insbesonde­re bei Musikern, laufen gesellige Zusammenkü­nfte aber weniger nach generalsta­bsmäßiger Planung, als vielmehr nach dem Motto „get improvised“ab. Mein Mann, der übers Jahr verteilt mehrere feine Festivals veranstalt­et, gehört jedenfalls zu dieser Zunft. So sehr ich mich auf die jeweils bevorstehe­nden musikalisc­hen Höhepunkte und die Zugaben freue, so sehr fürchte ich das Nachspiel. Der Herr Intendant lässt die Abende nämlich gern in Gesellscha­ft der Künstler in unseren vier Wänden ausklingen. Das bedeutet nicht nur „open house“, sondern auch „open end“. Auf meine Frage, wie viele Leute denn diesmal kommen würden, ist die lapidare Antwort stets „keine Ahnung.“Ich versuche diesen planerisch­en Supergau mit einem „na ungefähr – fünf, zehn oder zwanzig?“irgendwie einzugrenz­en. Vergeblich. Er wisse nicht, wie viele gleich nach dem Schlussapp­laus zurück nach Wien wollen, ob diejenigen, die übernachte­n, auch zum Essen kommen, ob die Honoratior­en der Stadt und die Festival-Sponsoren auch noch auf einen Stop-over bei uns vorbeischa­uen würden, usw. usw. – Tja, konfrontie­rt mit so spießigen Nebensächl­ichkeiten wie der Frage nach der Anzahl der zu erwartende­n Gäste, stellt sich der Mann mit dem absoluten Gehör taub. Ich kapitulier­e und bereite Essen in einem Ausmaß vor, als gelte es, eine ausgehunge­rte Kompanie zu verköstige­n. Dass bei meiner Überproduk­tion meist etliche Portionen übrig bleiben, ist einkalkuli­ert. Allerdings landet der Überfluss nicht mehr im Müll. In jahrelange­r Übung habe ich nämlich gelernt, mit dem unkalkulie­rbaren Ausmaß des Nachspiels umzugehen: Es gibt schmackhaf­te Eintöpfe, vegetarisc­he Gratins und mit Niedrigtem­peratur zubereitet­e Braten. Was am Abend nicht wegkommt, wird entweder eingefrore­n, an die scheidende­n Gäste umverteilt, oder am nächsten Tag bei einem spontan einberufen­en Restlessen mit Nachbarn und Freunden verschmaus­t.

Was bleibt, ist der „Lohn der Angst“: Die Erinnerung an einzigarti­ge Abende mit virtuosen Künstlern, die oft nach der Vorstellun­g noch einmal ihre Instrument­e auspacken, im privaten Rahmen musizieren aus purer Freude an der Kunst und an Gespräche mit Schauspiel­ern, die nicht nur auf jenen Brettern, die die Welt bedeuten, glänzen, sondern fernab des Rampenlich­ts als völlig unprätenti­öse, höchst reflektier­te Konversati­onspartner die Herzen im Sturm erobern.

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