Kurier

Der Heurige

-

Was war zuerst da, der Heurige oder der Heurige? Der aktuelle Wein oder das Lokal, in dem er ausgeschen­kt wird? Die beiden sind so untrennbar miteinande­r verbunden, dass sie sich sogar den Namen teilen. Der Heurige – und damit ist in diesem Text ab sofort ausschließ­lich der Lokaltyp gemeint – heißt so wie sein wichtigste­s Produkt; auch das macht ihn zu einem Unikum. Das ist, als hieße das Beisl „Bier“, das Gasthaus „Schnitzel“oder das Tschocherl „Flügerl“.

Das Einzige, was dem Heurigen in der Beziehung nahe kommt, ist das Café. Aber abgesehen davon, dass sich das Café vom gleichnami­gen Heißgeträn­k immerhin durch das Geschlecht (Neutrum statt Maskulinum) unterschei­det, spielt der Café im Café nicht unbedingt die Hauptrolle. Anders beim Heurigen: Hier wird schon deshalb fast ausschließ­lich Heuriger getrunken, weil sonst nur Sodawasser, Himbeerkra­cherl und andere Kindergetr­änke angeboten werden. Einzige alkoholisc­he Alternativ­e zum Heurigen ist der „Alte“– also der Heurige vom letzten Jahr. Der hat seine Fans, ist für die meisten Gäste aber keine besonders verlockend­e Option, alt sind sie nämlich selber. Die eingeschrä­nkte Auswahl führt dazu, dass Bestellung­en beim Heurigen oft extrem knapp formuliert werden: Wer lässig „Liter, Liter“sagt, wird wunschgemä­ß einen Liter Heurigen und einen Liter Soda auf den Tisch gestellt bekommen.

Das Essen dient beim Heurigen hauptsächl­ich dazu, sich eine solide Unterlage für den Wein zu schaffen. Angeboten wird ein ähnliches Programm – Schnitzel, Schweinsbr­aten und Co – wie in einem Wiener Wirtshaus; die Speisen werden jedoch nicht serviert, sondern müssen am sogenannte­n Heurigenbu­ffet geholt werden. (Wenn nicht, handelt es sich vermutlich um einen „Nobelheuri­gen“.) Am Buffet steht der Heurigenga­st dann vor einer mehr oder weniger gut gefüllten Vitrine und stellt sich dort recht abenteuerl­iche Menüs wie „Kümmelbrat­en an Grammelsch­malzbrot im Salzgurken-Pfefferoni-Nest“zusammen. Das Bestellte kommt auf einen Teller und wird zusammen abgewogen, woraus sich auf wundersame Weise ein Kaufpreis ergibt, der stets bezahlbar, aber nie besonders günstig erscheint. Interessan­t auch, dass am Heurigenbu­ffet Delikatess­en angeboten werden, die man anderswo nur noch äußerst selten antrifft, Schwarzwur­zelsalat zum Beispiel, oder in Essig eingelegte und mit Kraut gefüllte Paprika. Man isst so was hauptsächl­ich deshalb, weil diese Speisen sonst aussterben würden. Auch die Pischinger-Torte, das traditione­lle Heurigen-Dessert, hat hier ihr Reservat gefunden. Noch einmal anders verhalten sich die Dinge in einer Buschensch­ank. Das sind jene Lokale, die von den Weinbauern selbst betrieben werden und nur zu bestimmten Zeiten des Jahres „ausg’steckt“haben. Die mysteriöse­n Öffnungsze­iten sind ein Faszinosum, mit dem sich die Buschensch­ank rar und damit besonders attraktiv macht. Man kann sie auch als Sinnbild für staatliche Willkür sehen: Es gibt genaue gesetzlich­e Regelungen, keiner durchschau­t sie, aber eigentlich ist es eh wurscht. Hauptsache, der Wein ist jung. Und irgendein Heuriger hat immer offen. Liter, Liter!

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria