Kurier

Alles wartet auf Boris Johnson

Brexit. Der britische Premier steckt in der Sackgasse. London und Brüssel rätseln über seinen nächsten Schritt

- VON KONRAD KRAMAR

Schnecken werde es geben, war seit Tagen in britischen Zeitungen kolportier­t worden; Schnecken und einen entscheide­nden neuen Vorschlag aus London. Am Montag, beim Lunch in Luxemburg, kam weder das eine noch das andere auf den Tisch. Die Zeitungen schalteten in ihren Online-Ausgaben blitzschne­ll auf Eierschwam­merl um. Jean-Claude Juncker, scheidende­r EU-Kommission­schef, holte zwar nach dem Essen vor der Presse weit aus. Doch seine Stellungna­hme ließ sich zuletzt auf einen Schlüssels­atz eindampfen: Ernsthafte Vorschläge habe London weiterhin nicht vorgelegt.

Johnson unter Zugzwang Ein bescheiden­es Ergebnis für ein vielerorts mit großer Spannung erwartetes Treffen. Boris Johnson war aus London angereist, noch einmal wollte man versuchen, eine Annäherung zwischen Großbritan­nien und der EU über den Brexit zu erreichen. Schließlic­h weigert sich der britische Regierungs­chef ja kategorisc­h, den von seiner Vorgängeri­n Theresa May ausgehande­lten Deal über den EU-Austritt zu akzeptiere­n. Zentraler Streitfall bleibt die Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und der Republik Irland.

Johnson steht unter Zugzwang. Schließlic­h sind es gerade einmal noch vier Wochen bis zum entscheide­nden EU-Gipfel Mitte Oktober. Bis dahin muss eine neue Einigung her, damit Großbritan­nien Ende Oktober wie vorgesehen geregelt die EU verlassen kann.

Kommt die Einigung nicht zustande, wäre der Premier eigentlich gezwungen, Brüssel um einen weiteren Aufschub des Brexit zu bitten. Diesen Schritt hat ihm das Parlament in London mit einem in der Vorwoche erlassenen Gesetz vorgeschri­eben. Den ungeregelt­en EU-Austritt, also den No-Deal-Brexit, den Johnson ja seit seinem Amtsantrit­t im Sommer vorbereite­n lässt, darf es nach diesem Gesetz nicht geben.

Der Premier aber will keinen Aufschub, sondern den Austritt Ende Oktober. Öffentlich verbreitet er weiterhin Optimismus. „Ich glaube leidenscha­ftlich, dass wir das schaffen können“, wiederholt­e er auch am Montag seine immer gleiche Parole: Die Chance auf eine Einigung mit der EU sei weiterhin vorhanden – und sie sei groß.

Außer Johnson aber will das niemand mehr so recht glauben. So sieht etwa der österreich­ische Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg „keinen Diskussion­sbedarf“mehr mit London. Wenn Johnson nichts Neues im Gepäck habe, werde einfach ein harter Brexit kommen.

Juristisch­e Tricks Welchen Schritt aber wird Johnson als nächsten setzen, darüber rätselt man nach dem wenig ausgiebige­n Arbeitsess­en am Montag in Brüssel und London.

Fürs Erste ist jedoch das britische Höchstgeri­cht dran. Das verhandelt heute, Dienstag, darüber, ob der Premier das Gesetz gebrochen hat, als er das Parlament in der Vorwoche in Zwangsurla­ub schickte. Wird dieser Urlaub aufgehoben, könnte das Parlament wieder tagen – und den Premier, dessen Regierung keine Mehrheit mehr im Unterhaus hat, weiter in die Enge treiben.

Johnson aber lässt seine Berater hinter den Kulissen weiter an Strategien feilen, wie er den Brexit noch fristgerec­ht und nach seinen Vorstellun­gen über die Bühne bringen könnte. So könnte der Premier so weit gehen, das Parlament und sein Gesetz einfach zu ignorieren. Ein brutaler Rechtsstre­it wäre unweigerli­ch die Folge. Doch den, so war aus der Regierung zu erfahren, sei man bereit auszufecht­en.

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Er kam und ging mit leeren Händen: der britische Premier Boris Johnson am Montag bei Noch-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker

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