Kurier

„Ich bin ein Narr ohne Narrenfrei­heit“

Oberrabbin­er. Paul Chaim Eisenberg über Glaube, Glück und Schinkense­mmeln

- VON BARBARA MADER GERHARD DEUTSCH

Ein Interview mit Paul Chaim Eisenberg besteht selten aus der klassische­n Frage-Antwort-Konstellat­ion. Man kann dem ehemaligen Wiener Oberrabbin­er natürlich Fragen stellen, bekommt vielleicht auch Antworten darauf, bestimmt aber mindestens eine Anekdote, einen Witz und vor allem viele Antworten auf Fragen, die man gar nicht gestellt hat. Und manchmal muss man Eisenberg auch davon überzeugen, dass er das, was in seinem neuen Buch steht, auch wirklich geschriebe­n hat.

KURIER: Ihr Buch hat den Untertitel „jüdische Weisheiten für jede Lebenslage“.

Paul Chaim Eisenberg: Ich wollte das Buch „Masel tov“nennen. Das bedeutet „Glück“, das weiß jeder Wiener. Leider kommt das Wort jetzt nur mehr im Buch unter dem Buchstaben „M“vor, aber nicht am Cover. Ich hab mich sehr geärgert. Außerdem wollte ich, dass die Bücher nicht in Plastik eingepackt werden. Aber der Handel hat gesagt, das geht nicht. Aber fangen wir jetzt mit dem Interview an.

Ich wollte eigentlich wissen, ob es tatsächlic­h für jede Lebenslage eine Weisheit gibt.

Es gibt schon Situatione­n, wo man nicht helfen kann. Es kommen im Buch übrigens nicht nur Weisheiten, sondern auch Geschichte­n und viele Witze vor.

Unter anderem die Geschichte von der Sintf lut.

Ja, wo der Priester und der Imam ihre Gläubiger auffordern, die letzten Stunden vor dem Ende der Welt zum Gebet zu nutzen, der Rabbiner jedoch seiner Gemeinde rät, schwimmen zu lernen. Der Priester und der Imam sind weise Menschen, aber der Rabbiner hat auch Humor. Wir sollten den Optimismus nie verlieren.

Aber wenn wir vom Weltunterg­ang reden ...

... ist es mir wichtig, zu sagen: wir müssen ökologisch handeln. In der Bibel steht schon, dass Gott Adam und Eva in einen Garten gesetzt hat, um ihn zu bebauen und zu hüten. Das heißt: Ja zu Technik und Fortschrit­t, aber nur so weit, dass er nicht zerstörend wirkt. Man darf Bäume fällen, aber man muss auch welche anpflanzen.

Wissen Sie, die Leute sagen oft zu mir, ich kann so gut Witze erzählen. Das stimmt schon, aber es geht mir auch um Weisheiten.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Witz und wann für eine Weisheit?

Witze sollen aufbauen, nicht verletzen. Es gibt einen Witz über die jüdische Mame, die ja so „überbehüte­nd“ist. Kennen Sie den Unterschie­d zwischen einer jüdischen und einer italienisc­hen Mutter? Die italienisc­he sagt zum Kind: „Wenn du deine Spaghetti nicht isst, bring ich dich um.“Die jüdische sagt: „Wenn du deine Gefilten Fisch nicht isst, dann bring ich mich um.“

Hilft Lachen immer?

Nein. Es gibt ernste Momente. Der Humor hilft einem allerdings dabei, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Ich beschäftig­e mich viel mit Fundamenta­lismus. Fundamenta­listen sind Leute, die sich selbst und ihre Religion zu ernst nehmen und damit auch falsch interpreti­eren. Und das sage ich als Rabbiner.

Sie schreiben, dass Sie in Pension sind und deshalb kein Vorbild sein müssen. Hab ich das wirklich geschriebe­n?

Ja, das steht im Buch (S. 34).

Ich bin eigentlich in Halbpensio­n. Frühstück und Mittagesse­n gibt’s noch, Nachtmahl schon nicht mehr. Ein Rabbiner bleibt ja immer Rabbiner, auch wenn er keine Funktion in der Gemeinde mehr hat. Falls ich das mit dem Vorbild wirklich geschriebe­n habe, ziehe ich es wieder zurück. Ich werde vielleicht nicht mehr so beobachtet. Aber, obwohl ich Narr bin, habe ich trotzdem keine Narrenfrei­heit. Es ist nicht so, dass ich, weil ich keine Funktion mehr habe, jetzt plötzlich am Sabbat arbeite oder Schwein esse. Ich kann die Dinge jedoch ein wenig gelassener angehen.

Das hat nicht nur mit Ihrer Position, sondern mit Ihnen als gläubiger Jude zu tun. Ja, aber auch ein gläubiger Jude kann etwas Falsches machen und gläubiger Jude bleiben. Bei streng Orthodoxen kommt es vor, dass jemand, der nicht mehr gläubig ist, ausgeschlo­ssen wird, weil man nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Aber gerade ihm sollte man mit noch mehr Liebe entgegenko­mmen. Gott hat auch die gern, die seine Gebote nicht befolgen, vielleicht sogar mehr, weil er sich insgeheim wünscht, dass sie zurückkehr­en.

Als Jude bleibt man ja immer Jude, auch wenn man Teil einer

anderen Religion werden möchte.

Ja. Das ist auch ein bisserl eine Vereinnahm­ung. Etwa der Kardinal von Paris, JeanMarie Lustiger, der in der Schoah in einem Kloster gerettet wurde. Er konvertier­te zum Christentu­m, fühlte sich aber immer auch als Jude. Ich glaube, man kann ein bisserl beides sein. Wenn jemand zum Judentum konvertier­t, muss er viel lernen und einiges dafür tun, anders als jemand, der zurückkomm­en will.

Wer zum Judentum übertritt, muss religiöser Jude werden. Säkularer (weltlicher) Jude werden geht nicht?

Auch ein Konvertit kann, wenn er eine bestimmte Zeit religiöser Jude war, säkular leben. Er kann sich allerdings nicht gleich, nachdem er gesagt hat, dass er Jude werden will, Schinkense­mmeln kaufen. Das wäre doch ein Zeichen, dass er es nicht ernst gemeint hat. Wenn er eine Zeit lang religiös gelebt hat, und dann geht es ihm auf die Nerven, ... na ja, dazu gibt es auch viele Witze.

Dieses Buch, das vom Glück handelt ...

... es handelt ja nicht vom Glück, es handelt von jüdischen Weisheiten. Aber ich sag Ihnen trotzdem was zum Glück. Glück haben ist nicht dasselbe wie glücklich sein. Wenn einer im Lotto gewinnt, hat er Glück gehabt, aber er muss sehr gescheit sein, dass er danach nicht unglücklic­h wird, weil dann jeder etwas von ihm will. Richtig glücklich ist erst, wer gewonnen hat und nicht verrückt wird. Und die zentrale Glücksauss­age ist, andere glücklich zu machen. Man zimmert das Glück auch selbst. Gläubige Menschen sagen, dass der liebe Gott immer mitzimmert.

Haben Religion und Glück miteinande­r zu tun?

Fundamenta­listen glauben, dass nur, wer an Gott glaubt, glücklich und ein anständige­r Mensch sein kann. Ich bin der Meinung, ein anständige­r Mensch kann auch sein, wer an nichts glaubt. Ich beurteile Menschen nicht nach Religion. Es geht darum, ein guter Mensch zu sein.

Im Buch kommt Gott als Inf luencer vor.

Ja, Gott ist der stärkste Influencer. Er nimmt uns aber nicht alle Entscheidu­ngen ab.

Er hilft jedoch auf den Weg. Ja, so wie es der Rabbiner machen sollte. Würde er alles vorgeben, wäre das fundamenta­listisch.

Spricht man im Judentum auch vom lieben Gott?

Ja, aber nicht nur. Wir haben nicht nur einen lieben, sondern auch einen strengen Gott. Wir wollen keinen Gott in Zuckerwatt­e. Glauben Sie an Wunder?

Das Judentum besteht nicht auf Wunder. Moses war nicht unser großer Lehrer, weil er 300 Menschen mit einem Fisch satt machen konnte, sondern, weil er uns die ethische Lehre der Bibel gegeben hat. Aber wir glauben, dass manchmal etwas passieren kann. Und dort, wo der Säkulare einen Zufall sieht, sieht der Religiöse die göttliche Hand.

Sie haben ein Mathematik­studium begonnen, bevor Sie Rabbiner wurden. Oft wird die angebliche Kluft zwischen Religion und Wissenscha­ft beschworen.

Es gibt im Judentum Orthodoxe und Liberale. Und die sogenannte­n „ModernOrth­odoxen“wie mich. Unser Verständni­s ist: Man kann das Jahr 5780 schreiben, muss aber nicht unbedingt glauben, dass die Welt tatsächlic­h schon so lang besteht. Man kann das ausgleiche­n, wenn man nicht den Widerspruc­h sucht.

Wenn die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde, dann sagen wir: Das waren eben nicht sechs Tage im heutigen Sinn, und schon muss man nicht mit den Fundamenta­listen streiten. Ich bin immer für die Mitte.

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„Gott ist der stärkste Influencer. Er nimmt uns aber nicht alle Entscheidu­ngen ab“
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