Scherben, die niemand kleben kann
Neuwahlen ohne Aussicht auf eine Lösung für die politische Blockade, die vor Jahren ihren Ausgang nahm
Am Ende blieben nur noch gegenseitige Attacken und wütende Beschimpfungen. Vor allem der amtierende Premier und Sozialistenchef Pedro Sanchez teilte in alle Richtungen aus. „Verantwortungslosigkeit“warf er den rechtsliberalen Ciudadanos vor, „sture Dogmatiker“nannte er die linke Podemos und ihren Chef Pablo Iglesias.
An Podemos entlud sich der meiste Ärger des PSOE-Vorsitzenden. Schließlich hatte er bis zuletzt versucht, die Bewegung zu einer Koalition zu überreden. Doch Iglesias ließ sich nicht herunterhandeln. Er forderte Schlüsselministerämter und radikale linke Positionen im Regierungsprogramm, vor allem aber forderte er einen neuen Umgang mit einer Bewegung, die für den Sozialisten als staatsfeindlich gilt: die Separatisten in der Region Katalonien.
Unabhängigkeit undenkbar
Iglesias will zumindest die Türen in Richtung Unabhängigkeit öffnen, etwa indem man die Katalanen über eine Loslösung von Spanien abstimmen lässt. Für die PSOE, die sich als staatstragende Partei versteht, ein inakzeptabler Vorschlag.
Doch das ist nur einer der nicht mehr zu kittendenden Brüche, die Spaniens Politik in den vergangenen Jahren Stück für Stück in Scherben fallen ließen – und dem Land eine Totalblockade beschert haben: Am
10. November stehen wieder einmal Neuwahlen an, es sind die vierten in vier Jahren. Fünf Monate Regierungsverhandlungen sind seit den letzten Wahlen im April dieses Jahres verstrichen – ergebnislos.
Die Meinungsumfragen schenken Sanchez auch diesmal wenig Hoffnung auf eine regierungsfähige Mehrheit. Zwar kann die PSOE auch im November mit einem klaren Sieg rechnen, eine absolute Mehrheit an Mandaten aber wird sich kaum ausgehen. Dafür ist Spaniens politisches System zu zersplittert
– und die Gräben zwischen links und rechts sind zu tief.
Am Anfang dieser politischen Grabenbrüche steht die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien. Seit Beginn der 2010er-Jahre hat die sich radikalisiert. Loslösung von Spanien heißt die Parole. Damit aber fällt die Unterstützung einer Regierung in Madrid durch die Separatisten aus: ein Deal, der in Spanien immer wieder geschlossen wurde, um Mehrheiten für eine Regierung zu sichern.
Große Blöcke zerfallen
Dazu kommt der Zerfall der zwei großen politischen Blöcke, die Spaniens Politik seit dem Ende des Faschismus bestimmt haben: Die konservative PP und die sozialistische PSOE. Beide regierten im Wechsel, und beide überspannten jeweils einen politischen Flügel. Links von der politischen Mitte war die PSOE, begleitet nur von einer schwindenden radikalen Linken, rechts von der politischen Mitte die PP. Damit ist seit 2015 Schluss. Mit Podemos beansprucht eine neue Partei den linken politischen Flügel für sich. Die rechtsliberale Ciudadanos konkurriert mit der PP um die bürgerlichen Wähler. Dazu kommt ein weiterer politischer Tabubruch: Erstmals existiert mit Vox eine nationalistische, fremdenfeindliche Partei am rechten Rand.
Unverrückt aber ist die in Spanien scharf gezogene Grenze zwischen dem linken und rechten Lager. PP, Ciudadanos und Vox teilen sich das Wählerpotenzial rechts der Mitte. Alles was die von Korruptionsaffären und politischen Kleinkriegen gezeichnete PP an Wählern verliert, geht an die beiden anderen. Da man offensichtlich keine neuen Wähler von links gewinnen kann, schafft man auch gemeinsam keine Mehrheit – voraussichtlich auch im November nicht.
Links-rechts-Bündnis scheitert
Auf der linken Seite würden das PSOE und Podemos schaffen, aber man findet nicht zueinander, auch weil man – wie so oft bei linken Parteien – einander eher Verachtung und Argwohn entgegenbringt als Wertschätzung. Oder natürlich, zwei der größeren Parteien überwinden den politischen Graben zwischen links und rechts und finden zueinander: PSOE und Ciudadanos – die naheliegendste dieser Kombinationen – ist gescheitert.
Das liegt nicht nur an den weltanschaulichen Gegensätzen, sondern vor allem am politischen Personal. Das ist nach vier Wahlen in vier Jahren in Machtkämpfen zerschlissen und zu einem Neuanfang kaum noch fähig, wie es Inaki Gabilondo, eine von Spaniens prominentesten politischen TV-Persönlichkeiten, in schmerzhaft klare Worte fasst: „Diese Politiker haben ihre absolute Unfähigkeit demonstriert. Sie haben Spanien im Stich gelassen und alle Hoffnungen enttäuscht. Sie sollten endlich Platz machen für andere.“ Empört sich über alle politischen Gegenspieler: Sozialistenchef Pedro Sanchez