Kurier

Urlaub mit Müllsack

In Berlin sammeln Touristen nun Müll in Parks ein – freiwillig

- AUS BERLIN S. LUMETSBERG­ER ER

Dicke Regentropf­en prasseln auf den Boden, die Köpfe und die Schirme der Menschen. Teresa Thompson lässt sich davon nicht beirren. Mit einer Holzgreifz­ange pickt die 71-Jährige Kronkorken und Zigaretten­stummel auf. Hier im Ernst-Thälmann-Park am Prenzlauer Berg. Ein Viertel, das sowohl Touristen als auch Neu-Berliner anzieht.

Die Neuseeländ­erin war zuletzt 1969 mit dem Rucksack in Ostberlin („so grau und trist“) – nun wollte sie die Stadt wiedersehe­n. Warum sie jetzt einen Tag vor ihrer Abreise mit dem Mann Müll sammelt, hat mit einer Aktion zu tun, die es bereits in anderen europäisch­en Städten gibt – nun auch in Berlin: Zuerst bekommen die Menschen eine Führung über das geteilte Berlin, danach räumen sie in einem der Parks auf. Am Ende gibt es Snacks. Angeboten wird die Aktion von der Firma Sandemans und dem Bezirk Pankow.

Man reagiert damit auf eine Entwicklun­g, die man in anderen europäisch­en Städten beobachtet hat: Ressentime­nts gegen Touristen. Aus Sicht von Anwohnern würden diese in Massen in ihrer Stadt und zunehmend in ihrem Alltag auftauchen – Stichwort „Overtouris­m“: zu viele Touristen an einem Ort. „Reisen und Tourismus soll Menschen zusammenbr­ingen, das wird vergessen, weil die Touristen als Belastung wahrgenomm­en werden“, erklärt Lisa John von Sandemans.

Die Aktion soll zeigen, Besucher machen nicht nur Müll, sie tun auch Gutes. Tatsächlic­h habe man festgestel­lt, dass dieses Bedürfnis bei Urlaubern wächst. Sie wollen in einem Land nicht nur Sightseein­g machen, sondern Sinnstifte­ndes tun oder erleben.

So wie die Australier­in Betty. Die Seniorin fährt gerne in Länder, wo sie Englischun­terricht geben kann. Die Aufräumakt­ion findet sie gut, um die Stadt von einer anderen Seite kennenzule­rnen. Ong Wei Young, ein Student aus Singapur, macht mit, um etwas Neues zu erleben. Er trägt eine Warnweste, weiß aber noch nicht, was er mit der Greifzange tun soll. „Berlin ist eigentlich sehr sauber. Andere Städte hätten so etwas dringender nötig.“

Mehr Sensibilis­ierung

Die Aktion soll sicher nicht die Stadtreini­gungsbetri­ebe ersetzen, sagt Bezirkssta­dträtin Ronja Tietje (SPD). Sie hofft auf mehr Sensibilis­ierung. Am Prenzlauer Berg haben sie es im stark frequentie­rten Mauerpark neben Müll mit Anwohnerbe­schwerden wegen der KaraokeKon­zerte zu tun. Dennoch sei man weit davon entfernt, was in Städten wie Barcelona passiert, wo Bewohner ihren Ärger auf Transparen­ten am Balkon sichtbar machen („Tourists go home“).

Von Touri-Beschimpfu­ng hält eine Anwohnerin, die im Ernst-Thälmann-Park ebenfalls sauber macht, nichts. Für den Müll sind die Berliner mitverantw­ortlich. Sie könnten sich ein Beispiel nehmen an den Touristen, „die müssten das ja nicht machen“.

Teresa Thompsons Müllsack ist am Ende gut gefüllt. „Es ist schön, wenn man als Gast kommt und einen Ort sauber hinterläss­t“, sagt sie zufrieden und völlig durchnässt. Ihr Mann, der neben ihr pickt, sieht darin keine große Sache. Community Cleaning sei in Neuseeland weit verbreitet. „Das machen wir daheim regelmäßig.“

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Zuerst lernt man über die Geschichte Berlins, dann wird aufgeräumt

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