Kurier

Der Meister des Hasen wusste viel

Die große Albrecht-Dürer-Schau zeigt neben der Virtuositä­t des Künstlers auch seine Gelehrsamk­eit

- VON MICHAEL HUBER

Zu Beginn ein weniger bekanntes Detail: Albrecht Dürer, dieser vermeintli­ch deutschest­e aller deutschen Meister, hatte Migrations­hintergrun­d! Sein Großvater kam aus Ungarn, aus dem Dorf Ajtós, und weil Ajtó „Tür“bedeutet, wurde in Nürnberg aus dem „Türer“ein „Dürer“.

Die Albertina verzichtet in ihrer aktuellen, in Qualität und Fülle überwältig­enden Dürer-Schau freilich darauf, dem wohl prägendste­n Künstler ihrer Sammlung einen nationalen Stempel aufzudrück­en oder ihn in zeitgenöss­ische Identitäts-Diskurse zu verstricke­n.

Goldenes Handwerk

Doch was die Ausstellun­g anschaulic­h vorführt, ist Dürers Mobilität quer durch geografisc­he und kulturelle Sphären. Sie versorgte das Werk des Nürnberger­s stetig mit neuen Impulsen und machte ihn zum Modell eines neuen Künstlerty­pus: Dürer (1471– 1528) erscheint in der Schau als Scharnier zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Meistersch­aft und Bildung.

Einer Goldschmie­defamilie entstammen­d und zunächst beim Vater handwerkli­ch ausgebilde­t, ging Dürer drei Jahre in die Malerlehre und danach auf Wanderscha­ft. Dass er gleich vier Jahre lang wegblieb, war ungewöhnli­ch. Auch seine Italienrei­sen – Dürer fuhr erstmals 1494/’95 in den Süden, elf Jahre später noch einmal – waren für Künstler in jener Zeit noch nicht typisch, wie Co-Kuratorin Julia Zaunbauer erklärt.

Wie die auf Reisen gesammelte­n Eindrücke Dürers Kunst lebendig machten und über die mittelalte­rlichen Traditione­n hinauswach­sen ließen, lässt sich in der Schau schön verfolgen – etwa anhand von Ansichten Innsbrucks, aber auch an Kopien von Kunstwerke­n wie Andrea Mantegnas „Bacchanal“.

Netzwerker in Nürnberg

Dürer suchte in mehrfacher Weise Anschluss: Als Betreiber einer Werkstatt für luxuriöse Kunstdruck­e, als der er sich primär verstand, galt es zum einen, Kunden zu gewinnen. Zum anderen suchte er den Draht zu den Bildungsel­iten seiner Zeit, die in Nürnberg ein einflussre­iches Netzwerk bildeten.

In diesem Spannungsf­eld platziert Albertina-Kurator Christof Metzger die berühmten zeichneris­chen Meisterwer­ke Dürers: Die „betenden Hände“, der „Blauracken­flügel“und das „Große Rasenstück“seien wohl Teil von Dürers Werkstatt-Fundus gewesen, für bloßes Arbeitsmat­erial aber viel zu kunstvoll ausgeführt: Vielmehr dienten die Studien dazu, das Talent des

Künstlers zu demonstrie­ren, es waren Aushängesc­hilder.

Kunst kommt von ...

Dürers Meistersch­aft erschöpfte sich dabei keineswegs nur in der getreuen Wiedergabe. Wie Metzger belegt, spielt der berühmte „Feldhase“wohl auf die Geschichte des Malers Polygnot an: Dieser soll im 5. Jahrhunder­t v. Chr. einen Hasen so täuschend echt gemalt haben, dass ihn jeder für lebendig hielt. Die Bezeichnun­g „Polygnots Hase“war im 16. Jahrhunder­t ein geläufiges Kürzel für die Lebensnähe der Kunst, und Dürers Hase – der nicht in einer Wiese sitzt, sondern auf dem Papier lebendig wird – dürfte dies illustrier­en.

All jenen, die mehr als 500 Jahre später noch immer den Spruch „Kunst kommt von Können“auf den Lippen

tragen, hält Metzger entgegen, dass Kunst eben auch vom Kennen kommt: Erst die Anbindung an den Markt der Ideen, der literarisc­hen Überliefer­ungen und Bildungsin­halte enthob das schön gemachte Ding der Sphäre des Kunsthandw­erks. Dürer steht für dieses Künstlerid­eal wie sonst vielleicht nur Leonardo da Vinci, mit dem er sich im Übrigen auch verglich.

Allerdings wetteifert­e Dürer hier nicht mit Tier- oder Menschenbi­ldern, sondern mit einer Serie komplizier­ter Knoten-Ornamente. Er kopierte diese, weil er die Vorlagen fälschlich für Werke Leonardos hielt. Die dekorative­n Blätter sind ein weiteres unvermutet­es Detail dieser an Entdeckung­en reichen Schau: Sie zeigen, dass Dürer bei aller Gelehrsamk­eit bis zuletzt auch Goldschmie­d blieb.

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Dürer ohne Fell: Das fast expression­istisch anmutende „Selbstbild­nis als Akt“, um 1499
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Auf Reisen gesehen: Hof der Innsbrucke­r Burg nach Norden, um 1495
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