Der Meister des Hasen wusste viel
Die große Albrecht-Dürer-Schau zeigt neben der Virtuosität des Künstlers auch seine Gelehrsamkeit
Zu Beginn ein weniger bekanntes Detail: Albrecht Dürer, dieser vermeintlich deutscheste aller deutschen Meister, hatte Migrationshintergrund! Sein Großvater kam aus Ungarn, aus dem Dorf Ajtós, und weil Ajtó „Tür“bedeutet, wurde in Nürnberg aus dem „Türer“ein „Dürer“.
Die Albertina verzichtet in ihrer aktuellen, in Qualität und Fülle überwältigenden Dürer-Schau freilich darauf, dem wohl prägendsten Künstler ihrer Sammlung einen nationalen Stempel aufzudrücken oder ihn in zeitgenössische Identitäts-Diskurse zu verstricken.
Goldenes Handwerk
Doch was die Ausstellung anschaulich vorführt, ist Dürers Mobilität quer durch geografische und kulturelle Sphären. Sie versorgte das Werk des Nürnbergers stetig mit neuen Impulsen und machte ihn zum Modell eines neuen Künstlertypus: Dürer (1471– 1528) erscheint in der Schau als Scharnier zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Meisterschaft und Bildung.
Einer Goldschmiedefamilie entstammend und zunächst beim Vater handwerklich ausgebildet, ging Dürer drei Jahre in die Malerlehre und danach auf Wanderschaft. Dass er gleich vier Jahre lang wegblieb, war ungewöhnlich. Auch seine Italienreisen – Dürer fuhr erstmals 1494/’95 in den Süden, elf Jahre später noch einmal – waren für Künstler in jener Zeit noch nicht typisch, wie Co-Kuratorin Julia Zaunbauer erklärt.
Wie die auf Reisen gesammelten Eindrücke Dürers Kunst lebendig machten und über die mittelalterlichen Traditionen hinauswachsen ließen, lässt sich in der Schau schön verfolgen – etwa anhand von Ansichten Innsbrucks, aber auch an Kopien von Kunstwerken wie Andrea Mantegnas „Bacchanal“.
Netzwerker in Nürnberg
Dürer suchte in mehrfacher Weise Anschluss: Als Betreiber einer Werkstatt für luxuriöse Kunstdrucke, als der er sich primär verstand, galt es zum einen, Kunden zu gewinnen. Zum anderen suchte er den Draht zu den Bildungseliten seiner Zeit, die in Nürnberg ein einflussreiches Netzwerk bildeten.
In diesem Spannungsfeld platziert Albertina-Kurator Christof Metzger die berühmten zeichnerischen Meisterwerke Dürers: Die „betenden Hände“, der „Blaurackenflügel“und das „Große Rasenstück“seien wohl Teil von Dürers Werkstatt-Fundus gewesen, für bloßes Arbeitsmaterial aber viel zu kunstvoll ausgeführt: Vielmehr dienten die Studien dazu, das Talent des
Künstlers zu demonstrieren, es waren Aushängeschilder.
Kunst kommt von ...
Dürers Meisterschaft erschöpfte sich dabei keineswegs nur in der getreuen Wiedergabe. Wie Metzger belegt, spielt der berühmte „Feldhase“wohl auf die Geschichte des Malers Polygnot an: Dieser soll im 5. Jahrhundert v. Chr. einen Hasen so täuschend echt gemalt haben, dass ihn jeder für lebendig hielt. Die Bezeichnung „Polygnots Hase“war im 16. Jahrhundert ein geläufiges Kürzel für die Lebensnähe der Kunst, und Dürers Hase – der nicht in einer Wiese sitzt, sondern auf dem Papier lebendig wird – dürfte dies illustrieren.
All jenen, die mehr als 500 Jahre später noch immer den Spruch „Kunst kommt von Können“auf den Lippen
tragen, hält Metzger entgegen, dass Kunst eben auch vom Kennen kommt: Erst die Anbindung an den Markt der Ideen, der literarischen Überlieferungen und Bildungsinhalte enthob das schön gemachte Ding der Sphäre des Kunsthandwerks. Dürer steht für dieses Künstlerideal wie sonst vielleicht nur Leonardo da Vinci, mit dem er sich im Übrigen auch verglich.
Allerdings wetteiferte Dürer hier nicht mit Tier- oder Menschenbildern, sondern mit einer Serie komplizierter Knoten-Ornamente. Er kopierte diese, weil er die Vorlagen fälschlich für Werke Leonardos hielt. Die dekorativen Blätter sind ein weiteres unvermutetes Detail dieser an Entdeckungen reichen Schau: Sie zeigen, dass Dürer bei aller Gelehrsamkeit bis zuletzt auch Goldschmied blieb.