Früchte in fremden Gärten naschen – wo beginnt der Diebstahl?
Kindheit amWiener Stadtrand. Ja, das warmitunter idyllisch. Da, wo die Stadt in Richtung Niederösterreich ausfranst, warenFelder, Gärten und unendliche Freiheit. Viel Auslauf und scheinbar keine Regeln. An einem Spätsommer abend im August gab es nichts Schöneres, als zwischen den in meiner Erinnerung meter hohenKukuruz- Stauden Versteckenzuspielen und dabei junge Maiskolben zu jausnen. Und es war nicht so, dass wir nicht wussten, was wir taten. Dass der Kukuruz jemand anderem als uns gehörte, war uns klar undmachte die Sache nur noch spannender. Wirnanntenunser Abenteuer nonchalant „Fladern“und hatten höchstens ein leichtes, aufregendes Bauchkribbeln, aber nicht einen Hauch von schlechtem Gewissen dabei.
Die Zeit des Kukuruz-Fladerns ist vorbei – nicht zuletzt, weil die Felder an der Grenze zur Vorstadt zusehends verbaut wurden. Unendlich ist hier gar nichtsmehr, schongarnicht die Freiheit. Erwachsen sein heißt auch, dass einem bei aufregendem Bauchkribbeln leicht schlecht wird.
Und so habe ich, wenn ich heute über den Bis am berg streife, schon vorauseilende in schlechtes Gewissen, wenn ich bloß daran denke, von den Trauben des Grünen Veltliner, des Sauvignon blanc oder des Weißburgunder, die dort angebaut werden, zu kosten. Wohlgemerkt: Eine Beere, mehr nicht– danaschendieRehe, die sich in der Dämmerung zwischen den Reben tummeln, bedeutendmehrmit. Dochspricht meine innere Stimme heute immer diesen Satz, ebenfalls aus Kindheitstagen bekannt: „Stell dirvor, dasmachenalle!“Wenn jeder der unzähligen Wanderer, die hier durch die Weinberge spazieren, mitnascht ... dann bleibt am Ende nichts mehr für denWeinübrig! Unddannistda die juristische Komponente, bei der es ein „bisserl Kosten“wohl genausowenig gibt wie das fast schon liebevoll verharmlosende Wort„Fl adern “.
Was sagt der Jurist?
Der StrafrechtlerRobert Lattermann hat dazu eine überraschende Antwort: Es gibt ein „bisserl Kosten“sehr wohl, juristisch ausgedrückt heißt das „für den eigenen Verbrauch“, was bedeutet, dass „die Wegnahmenicht insGewicht fällt“.
DasStrafgesetzbuch(§ 141, Absatz 4) sagt dazu Folgendes: Die rechtswidrige Aneignung von Bodenerzeugnissen oder Bodenbestandteilen (wie Baumfrüchte, Waldprodukte, Klaubholz) geringenWertes ist gerichtlichnicht strafbar.
Jurist Lattermannkonkretisiert: „Es muss sich um Bodenerzeugnisse handeln, die einen erkennbaren Bezug zu Landoder Forstwirtschaft haben. Diese darfman für den eigenen Verbrauch straffrei an sich nehmen, weil deren Wegnahme nicht ins Gewicht fällt. Anders ist das bei privaten Gärten. Einen kunstvoll angelegten Kräutergarten dürfen Sie nicht einfach leerpflücken.“Doch auch für denWeinberg hat der Jurist eine Einschränkung: Die Trauben müssen sich noch an der Rebe befinden. Bereits geerntet, dürfen sie nicht ohne weitersmitgenommenwerden. Wo es außerdem problematisch werden könnte, ist beim Abzupfen von Weinblättern in großemStil, umdamit etwa gefüllte Weinblätter zu kochen: „Wenn das übertriebene Ausmaßeannimmt, geht es in RichtungSachbeschädigung.“
Niemals würde man den kostbaren Reben schaden wollen! Abereinbisserlkostenwird manjawohl noch dürfen – jetzt haben wir’s schriftlich.
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