Kurier

Kurz über das „Schulhofni­veau“im TV

Der ÖVP-Chef spricht über seine Siegchance­n und den Verfall der politische­n Kultur

- GILBERT NOVY

KURIER: DieseWoche gab’s ein überrasche­nd hartes ORF-Duell zwischen Ihnen und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Man hat das Gefühl, Türkis-Rot geht sich schon rein emotional nicht aus.

Sebastian Kurz: Wer sagt Ihnen denn, dass diese Koalition unbedingt geplant war? Vor der Wahl spekuliere ich grundsätzl­ich ungern über Koalitione­n. Die große Gefahr, die ich sehe, ist, dass es eine Mehrheit gegen uns gibt, die auch genutzt wird. Dass also Rot-Grün-Neos kommt.

Ziemlich unwahrsche­inlich.

Bei den EU-Wahlen hatten diese drei Parteien gemeinsam schon 47 Prozent. Und imMai haben wir auch erlebt, dass sich Rot-Blau zusammenge­tan haben, um mich abzuwählen. Unser Ziel ist, so stark zu werden, dass es keine Koalition an uns vorbei gibt. Nur Erster werden reicht nicht aus.

Wie überrascht waren Sie von der recht ungewöhnli­chen Attacke von Pamela Rendi-Wagner? (Die SPÖKandida­tin hatte Kurz vorgeworfe­n, seinen Sprecher gebeten zu haben, Medien über das Fieber Norbert Hofers am Rande der ORF-Debatte in der Vorwoche zu informiere­n, Anm. Red.)

Ich war sehr überrascht, weil es erstens inhaltlich absurd ist, zweitens faktisch widerlegt wurde und weil es mich drittens an Dirty Campaignin­g und an ein Niveau vom Schulhof erinnert hat. Solche schmutzige­n Wahlkampft­ricks gibt es leider: Dass man versucht, nicht über Inhalte zu reden, sondern die andere Person einfach nur schlechtzu­machen, indem man deren Glaubwürdi­gkeit untergräbt. Ich finde es schade, dass diese amerikanis­chen Wahlkampfm­ethoden mehr und mehr zum Einsatz kommen. Gab’s in diesem Wahlkampf Momente, wo Sie sich gedacht haben, das istmir jetzt echt zu tief?

SolcheMome­nte gab’s natürlich. Die sozialen Medien verstärken das alles noch. Ich habe mir in den letzten Jahren aber ein dickes Fell angeeignet und nicht alles geht mir nahe, sonst könnte ich die Tätigkeit des Politikers nicht ausfüllen. Was ich aber schade finde, ist, dass die politische Kultur insgesamt zerstört wird. Oft würde ich mir wünschen, dass es eine Debatte über die besten Ideen gibt und man respektier­t, dass unterschie­dliche Parteien unterschie­dliche Ansätze haben.

Wovonwaren Sie betroffen?

Der Hackerangr­iff auf die ÖVP war ein Tiefpunkt. Dass da andere Parteien sofort behaupten, das sei ein Maulwurf in der ÖVP gewesen, obwohl Regierung, Justiz- und Innenminis­terium das Gegenteil sagen, hätte ich mir noch vor Kurzem nicht vorstellen können. Das Gute ist, dass die Bevölkerun­g solche Methoden ablehnt und nicht belohnt. Neos-Chefin Meinl-Reisinger steht für Verhandlun­gen zu einer Dreierkoal­ition bereit und im Prinzip auch Grünen-Chef Kogler, der die Wahrschein­lichkeit so einer Regierung aber nur bei fünf Prozent sieht. Können Sie mit den beiden?

Mit den meisten Spitzenpol­itikern in Österreich habe ich eine gute Gesprächsb­asis. Probleme habe ich mit dem Polit-Stil von Peter Pilz – Skandalisi­eren, Anpatzen, anonyme Anzeigen: Das lehne ich ab.

Meinl-Reisinger meint im KURIERGesp­räch, dass die „ultralinke­n“Wiener Grünen ein Problem für die Dreierkoal­ition werden könnten. Kommen Sie da wirtschaft­s- und migrations­politisch zusammen?

Ich bin jemand, dem Freiheit und Eigenveran­twortung sowie eine vernünftig­e Wirtschaft­s- und eine klareMigra­tionspolit­ik ganz wichtig sind. Schauen Sie sich die Programme aller Parteien an, Sie werden überall Unterschie­de finden.

Machen Sie Herbert Kickl nicht zu einer Art Jörg Haider wenn Sie ihn von einer Regierung ausschließ­en? Dann könnte er wie seinerzeit Haider immer von außen gegen die Regierung zündeln.

Ich mag keine „Was-wäre-wennSpielc­hen“. Auch der Bundespräs­ident würde Kickl nicht noch einmal als Minister angeloben.

Den Wettstreit der Ideen sieht man bei aktuellen Parlaments­beschlüsse­n – vom Mercosur-Abkommen bis Pensionspo­litik – nicht. Da herrscht relativ einheitlic­her Populismus.

Das stimmt nicht, es gab keine einheitlic­hen Beschlüsse, sondern oft mehrere Abstimmung­en, etwa bei den Pensionen. In einem Bereich hat die ÖVP zugestimmt – nämlich bei der Erhöhung der kleinen Pensionen. Ich finde es richtig und gerecht, dass Bezieher einer 1000-Euro-Pension, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, mehr Pension bekommen. Wir geben viel Geld für anderes aus, wo nicht über Kosten diskutiert wird, etwa für Flüchtling­sbetreuung.

Man könnte auch sagen, Sie machen „Kleiner-Mann-Politik“, aber keine Wirtschaft­spolitik, etwa beim Freihandel.

Ich bin ganz klar für einen ordentlich geregelten Freihandel. Alles andere wäre absurd in einem Land, das sechs von zehn Euro im Export verdient. Aber ich sehe einige Punkte bei Mercosur schon seit einiger Zeit kritisch. Wenn ein Abkommen dazu führt, dass mehr an Lebensmitt­elimporten nach Europa und nach Österreich kommen zu Preisen, die die heimischen Bauern nicht bieten können, dann schadet das unserer klein- und mittelstän­disch organisier­ten Landwirtsc­haft.

Das ist natürlich Protektion­ismus.

Nein, denn was bedeutet es, wenn wir an unseren hohen Standards festhalten und gleichzeit­ig Billigprod­ukte aus aller Welt importiere­n? Die österreich­ischen Bauern wären dann nicht mehr lebensfähi­g und die Qualität der Produkte sinkt. Und es ist sogar schlecht für das Klima, wennWaren vom anderen Ende der Welt importiert werden. Ich wäre für CO -Zölle in der EU. Damit 2 wir den Lebensmitt­eltranspor­t über den ganzen Globus reduzieren.

Im Nationalra­t wurden seit dem Misstrauen­santrag gegen Sie Maßnahmen im Wert von zusätzlich 5,1 Milliarden Euro beschlosse­n. Ist das verantwort­ungsvoll?

Die ÖVP hat gegen einige teure Beschlüsse gestimmt. Und wir haben auch vorgeschla­gen, dass das Parlament in Wahlkampfz­eiten keine budgetrele­vanten Entscheidu­ngen treffen sollte. Das hat keine Mehrheit gefunden. Es ist problemati­sch, wenn zu viel Geld ausgegeben wird. Gott sei Dank haben wir als Bundesregi­erung sehr gut gewirtscha­ftet. Wir schaffen es 2019 das erste Mal nach 60 Jahren keine neuen Schulden zu machen.

Apropos Schulden: Wie wollen Sie die 18 Millionen Parteischu­lden zurückzahl­en?

Wirwerden bis Ende der Legislatur­periode schuldenfr­ei sein.

Das funktionie­rt auch ohne Großspende­r?

Die haben ja nur einen Bruchteil unserer finanziell­en Mittel ausgemacht. Die ÖVP hat im Schnitt zwei Millionen an Spenden erhalten. Wenn Sie die Budgets der Volksparte­i in den Ländern und im Bund zusammenre­chnen, dann kommen Sie auf einen sehr hohen zweistelli­gen Millionenb­etrag. Ich bin übrigens der Meinung, dass die Parteien zu viel Geld bekommen. Wir haben daher den – auch von den Neos unterstütz­ten – Antrag eingebrach­t, die Parteiförd­erung um 25 Prozent zu kürzen. Das haben Rot und Blau leider nicht unterstütz­t.

Was haben Sie denn aus den vergangene­n 20 Monaten gelernt?

Unglaublic­h viel. So herausford­ernd die Tätigkeit des Bundeskanz­lers und des Außenminis­ters ist, das Wunderschö­ne ist: Man lernt täglich dazu. Ich habe mich bemüht, gelassen mit dem Druck umzugehen und auch gelernt, nicht auf Meinungsum­fragen zu schauen. Sollte ich weiterhin die Chance bekommen, dem Land zu dienen, werde ichmeinem Stil treu bleiben.

Benutzen Sie Twitter?

Davon habe ich mich mehr und mehr zurückgezo­gen, weil ich glaube, dass das nicht das Bild der Bevölkerun­g widerspieg­elt. Die Gehässigke­it, wie man da miteinande­r umgeht, ist nicht meine Welt. Es gefällt mir auch nicht, dass die ÖVP kaum mehr nachkommt, zerstörte Plakate nachzukleb­en. Das sehe ich auch bei FPÖ-Plakaten, aber kaum bei jenen von SPÖ, Grünen oder Neos. Ich würde nie auf die Idee kommen, unsere Leute auszuschic­ken oder anzustache­ln, um andere Plakate zu zerstören.

Was war das schlimmste und was das beste Erlebnis des vergangene­n Jahres?

Das Schlimmste war die Enthüllung des Ibiza-Videos und das damit verbundene Ende der Regierungs­zusammenar­beit, die eigentlich sehr gut für Österreich gearbeitet hat. Gute Erlebnisse gab’s viele – vor allem, wenn ich auf Familien mit mehreren Kindern treffe, die sich über den Familienbo­nus freuen.

Haben Sie Frieden mit Reinhold Mitterlehn­er geschlosse­n?

Ich war nie im Unfrieden mit ihm, wir haben nur eine unterschie­dliche Sicht auf die Dinge. Ich empfinde aber keinen Groll.

Macht Politik krank? Zu Sommerbegi­nn hatten Sie eine Speiseröhr­enentzündu­ng.

Nein, die kamnicht von der Politik, sondern weil ich mich extrem schlecht ernähre. Und wenn ich das ändere, dann wird es auch, glaube ich, nicht mehr dazu kommen.

Netflix oder ORF? Netflix.

Wie oft treffen Sie Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein?

Im Wahlkampf logischerw­eise selten, aber das ändert nichts daran, dass ich finde, dass sie das gut macht.

Wollen Sie eigentlich Ihr ganzes Berufslebe­n der Politikwid­men? Nein.

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Den Hackerangr­iff auf die ÖVP hat Kurz als Tiefpunkt in diesem Wahlkampf erlebt. Er habe sich aber ein dickes Fell angeeignet, „sonst könnte ich die Tätigkeit des Politikers nicht ausfüllen“
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Interview im KURIERNews­room: Kurz mit Ida Metzger und Martina Salomon

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