Kanzlerin Brigitte Bierlein: Zu nett für „echte“Politik?
Porträt. Nach dem Anfangshype ist es um die Juristin ruhig geworden
Am Montag reist Kanzlerin Brigitte Bierlein ins EU-Ratsvorsitzland Finnland. Nach dem großen Anfangshype ist es einwenig still geworden um ihre Person. In den Wahlkampf mischt sie sich nicht ein.
AmBeistelltischchen im hell und nüchtern gehaltenen Kanzlerinzimmer steht eine dieser kitschigen chinesischen Winkekatzen. Ein Geschenk von Außenminister Alexander Schallenberg. Die Batterie soll ein halbes Jahr halten. „Danach habe ich wieder ein glückliches Leben“, hatte Bierlein zu Amtsbeginn augenzwinkernd gemeint. Nein, sie ist wirklich keine Politikerin: einerseits entwaffnend offen, lustig, liebenswürdig. Andererseits wohl sensibler und vorsichtiger als in der Politik üblich.
Am 29. Mai veränderte ein Anruf des Bundespräsidenten ihr bis dato vergleichsweise beschauliches Leben als Verfassungsgerichtshofpräsidentin. Übergangsjustizministerin hätte sie sich vorstellen können – aber Kanzlerin! Die Motivation, so ein Amt dennoch zu übernehmen? „Ich bin Staatsdienerin.“
Stellen Sie sich also vor, Sie werden über Nacht Bundeskanzlerin und müssen in Brüssel als politisches Greenhorn sogar um die Spitze der Europäischen Kommission ringen. Stellen Sie sich vor, Sie sind oft nur Zuschauerin von parlamentarischen Initiativen, die nicht einmal in Ihrem Sinne sind. Und dennoch: Die Österreicher finden Bierlein laut allen Umfragen toll.
Ein Drahtseilakt
Dabei war vor allem der Amtsantritt für die zierliche Juristin, die immer in High Heels auftritt, alles andere als leicht. Bei der Auswahl der Minister soll vor allem um den Innenminister schwer gefeilscht worden sein. Die Übergangs-Proporzregierung musste ja von allen abgesegnet werden – ein Drahtseilakt. Bierlein, Van der Bellen und sein Hund saßen damals also in ungewöhnlicher Maihitze in der schlecht klimatisierten Hofburg und brüteten über Kandidaten. „Der Bundespräsident war exzellent, kreativ und belastbar“, schwärmt Bierlein.
Zeugen von damals sagen, dass Kurz dem neuen (und jetzt außergewöhnlich aktiven) Innenminister Wolfgang Peschorn nur mit der Auflage zugestimmt haben soll, dass dann wenigstens möglichst früh gewählt werden sollte. Was auch in Bierleins Sinne gewesen wäre – aber wie man heute weiß, nicht im Sinne der Rot/Blau/Jetzt-Nationalratsmehrheit. Eine einfachere „Übung“war zum Beispiel Vizekanzler Clemens Jabloner. Er ist ein alter Weggefährte Bierleins. Sie kennt ihn seit Studientagen, vertraut ihm.
Holprig war der Einstand mit Vorgänger Sebastian Kurz. Bei ihrem ersten Pressegespräch bekannte die Kanzlerin kühl, wenig Austauschmit ihm zu haben. Später fühlte sie sich falsch verstanden. Bei der schwierigen Brüssel-Mission Bierleins funktionierte die Gesprächsbasis aber offenbar wieder.
Bierlein wurde eigentlich immer der ÖVP zugerechnet, doch als Kanzlerin vermeidet sie peinlichst alles, was sie in den Geruch bringen würde, einfach die türkise Politik fortzusetzen. Und holte zum Schrecken der Türkisen zunächst sogar das rote Urgestein, Ex-Sektionschef Manfred Matzka, als Berater aus der Pension zurück.
Aber wer ist Brigitte Bierlein wirklich? „Ein entzückender Mensch und toller Kumpel“, sagen ihre Freunde. Außerdem ehrgeizig. Ihre Büromitarbeiter beschreiben sie als respektvoll, freundlich, schnell von Begriff. Seit mehr als 40 Jahren ist der mittlerweile pensionierte Richter Ernest Maurer ihr Lebensgefährte. Ein Jurist der alten Schule, der in eine freiheitliche Nähe gerückt wurde, weil er Medienfälle gelegentlich für Jörg Haider und gegen die Presse entschied.
Eigentlich wollte Bierlein als junge Frau Malerin werden. Doch vor der Aufnahmsprüfung, mit einer Mappe Zeichnungen unterm Arm, kehrte sie um und studierte dann Jus. Warum? Die Mappen der anderen seien besser gewesen.
Wer so perfektionistisch ist wie sie, für den ist die Sprunghaftigkeit der Politik nicht leicht. Wäre sie „echte“Politikerin, müsste sie ja sogar „austeilen“. Kaum denkbar, dass sie daran Gefallen finden könnte. Daher wird auch bezweifelt, dass sie noch in ein anderes politisches Amt wechseln könnte. Mit Jahresende wäre die Siebzigjährige in Pension gegangen. Sicher ist das nicht. Denn die Koalitionsbildung wird keine einfache Übung. Und vielleicht wartet dann doch noch die eine oder andere berufliche Herausforderung.