„Wir haben genug Leichen im Keller“
Körperwelten. ImOktober kommt Gunther vonHagens’Ausstellung nachWien. Dochwie undwo entsteht so ein Plastinat? Besuch im Mausoleum derKörperspender.
Jenseits von Oder und Lausitzer Neiße liegt das Nirvana – flaches Land; Wiesen; Föhrenwälder; ein paar Dörfer; Wirtshäuser, die Speisegaststätten heißen; Menschen, die der Arbeitslosigkeit trotzen, und Straßenschilder, die zweisprachig sind. Gut zwei Stunden südöstlich von Berlin weist ein grünes Schild erstmals den Weg zum Plastinarium.
Einst war die Gegend eine Textilhochburg. Seit der Wende 1989 aber standen die Hallen der Hutfabrik Guben – eine der bedeutendsten in der Kaiserzeit – leer. Bäume wuchsen aus den Dächern. Die Arbeitslosigkeit lag bei mehr als 20 Prozent. 2006 legte Gunther von Hagens einen Euro auf den Tisch, zog mit seinen Kühltruhen, Anatomie-Tischen, Stahltanks mit Formalin, Messern und Skalpellen ein. Und begann, Guben – halb deutsch, halb polnisch – mit Hilfe von Leichen neues Leben einzuhauchen.
Genie versus Wahnsinn
Der damals bereits durch seine Körperwelten-Ausstellungen berühmte und höchst umstrittene Anatom hatte einen Plan: Hier wollte er die Plastination vervollkommnen und medizinische Präparate für Universitäten und seine Schau im großen Stil herstellen. Seine Fans nannten ihn Genie, seine Kritiker einenWahnsinnigen.
Heute stellen mehr als 80 Mitarbeiter auf über 3.000 Quadratmetern Plastinate am Fließband her, erzählt von Hagens Sohn Rurik, der die Firma mittlerweile leitet. Alle wurden angelernt: So ließ sich ein Hutmacher zum Präparator umschulen, ein Modellbauer und ein Physiotherapeut ebenfalls. Wichtigste Voraussetzungen „Geduld und geschickteHände“.
Ein Mitarbeiter ist ausschließlich damit beschäftigt, die 58 Kühltruhen in Schuss zu halten.
Eva steckt bis zum Hals in Plastik, eine Schutzbrille auf der Nase, ein Skalpell in der Hand. Seit zwei Jahren fährt die ehemalige Biologielehrerin täglich sieben Minuten von Polen nach Guben. Liebevoll deckt sie den Körper, der irgendwann ein atmender Mensch gewesen ist, ab, nimmt den Brausekopf und besprüht das Gewebe. „Alles muss feucht bleiben“, erklärt sie. Hier riecht es nicht nach Tod, sondern nach Chemie. Seltsam steril, entpersonalisiert und nur ein klein wenig gruselig ist die Atmosphäre.
Formalin ist das perfekte Konservierungsmittel, erfährt man beim Rundgang. Und: Nur das Entwässern und das Entfetten sind nicht öffentlich. Rurik von Hagens: „Nicht, weil wir was zu verbergen hätten. Bei uns ist alles offen und transparent.“Die Arbeit mit Aceton sei einfach explosiv und damit nicht ungefährlich. Längst wurde die Zellflüssigkeit entfernt und durch Kunststoff ersetzt. „Damit es keinen Raum mehr für bakterielles Wachstum gibt“, sagt er.
Notenständer mit Fotos und Anweisungen für die Präparierung stehen neben Evas Obduktionstisch. Wenn alles fertig ist, wird ihre Arbeit als „Standard Ganzkörperpräparat HPO101“auf Seite 24/25 des Von-Hagenschen-Bestellkatalogs für Universitäten zu finden sein. 15.000 Arbeitsstunden stecken in einem Ganzkörperplastinat. Kostenpunkt: 70.000 Euro.
Der Markt ist da und noch lange nicht gesättigt, Sohn Rurik nennt sich selbst Kaufmann und zeigt auf eine große Tafel, die die aktuellen Auslieferungen auflistet: „Mexiko, New York, Kalifornien, Texas, die Malediven, Saudi Arabien, Ägypten, Kasachstan, Linz. 90 Prozent der Plastinate gehen an Universitäten“. Beine, Arme, Torsi hängen auf Metallgerüsten, Hirne und Herzen liegen auf Tischen – 40 ProzentMensch, 60 Prozent Plastik.
Wer täglich mit dem Tod zu tun hat, entwickelt einen makabren Humor. An der Wand hängt ein Cartoon. Text: „Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren“.
Apropos Heidelberg
In den 1970ern hat von Hagens an der Uni Heidelberg als Anatom gearbeitet – und war unzufrieden mit der Qualität der Plastinate, die als Lehrbehelf dienten. „Papa dachte groß, schon damals“, erinnert sich Sohn Rurik. Und mietete zehn Garagen – für jeden Schritt der Plastination eine. Für Rurik war es „das Größte, wenn Papa ihn im VW-Bus von einer zur anderen chauffierte“.
Damals waren die Präparate ausschließlich für die medizinische Fachwelt bestimmt. Doch von Hagens fand, dass auch Laien wissen sollten, wie ihr Innenleben ausschaut. 1995 erfand er die Körperwelten-Ausstellung, verließ die Universität und tourte fortan durch die Welt. In einem Interview mit dem KURIER bezeichnete sich von Hagens einmal als „Demokratisierer der Anatomie, der jedem Zugang zum menschlichen Körper ermöglichen will“.
Heute sagt
Rurik von Hagens:
„Der große Kulturkampf um die Ausstellung ist vorbei.“Aber natürlich gebe es noch immer Kritik:
„Ist das wirklich was für Laien? Und müssen diese Posen sein?“, zitiert er. Und weiter:
„Wir tragen die
Kritik hier stolz vor uns her“. Die Wände des Plastinariums werden von den knackigsten Schlagzeilen geziert („Leichen pflastern seinen Weg“, „Körperwelten sind Angriff auf die menschliche Würde“). Und vom Cover des deutschen Spiegel-Magazins, in dem man Gunther von Hagens den Namen Dr. Tod verpasste.
Den verwendet er jetzt als Künstlername. Mit etwas Glück sieht man von Hagens – wie immer mit Hut und Lederweste – durch die fenster- und endlosen Gänge des Backsteingebäudes aus 1890 huschen. Er hat sich in sein Daniel-Düsentrieb-Labor (© Rurik) im zweiten Stock der Textilfabrik zurückgezogen. Dort tüftelt er – trotz Morbus Parkinson, jener Krankheit, die ihm Stimme und Beweglichkeit geraubt hat – an neuen Kunststoffen, die seine Präparate besser haltbar machen sollen.
Tiere für die Ewigkeit
Im Hof schwimmt seit Jahren ein toter Hammerhai im Ethanolpool und wartet auf die Plastinierung, genauso wie Krokodile, Hippos und ein
Elefant. Für derartige Riesenprojekte wurde eine Halle ausgeräumt und mit einer riesigen Sägeanlage wieder befüllt. Die ist gleichzeitig der größte Kühlraum Europas, berichtet Rurik von Hagens stolz.
Mindestens ein Jahr dauert es, bis ein Ganzkörperplastinat fertig ist. Einige Hundert harren der Plastination. „Wir haben genug Leichen im Keller.“Rurik weiter: „Etwa drei Körperspender treffen proWoche ein. Ist erst mal die Verwesung gestoppt, haben wir alle Zeit für die Plastination. Das kann Monate oder Jahre dauern.“Zum Beweis führt er in eine Lagerhalle auf der anderen Straßenseite: „Männlich, Mai 2017“, „Weiblich, Dezember 2016“, steht auf den Formalin-Tanks.
199 Österreicher
Das Plastinarium ist das Mausoleum für unzählige Körperspender, die als Ganzkörperplastiken in der Ausstellung stehen, als Scheibenpräparate herumliegen oder gerade auf Obduktionstischen mit Skalpellen bearbeitetwerden.
Alle haben sich freiwillig gemeldet. 199 aus Österreich stehen auf der Liste. Normalsterbliche können sich zwar die Pose wünschen, in der sie plastiniert werden wollen. Eine Garantie, ob man als Hirnpräparat an einer Uni oder als Skulptur auf einem Geisterschiff in der Ausstellung endet, gibt es aber nicht.
Begrüßungspose
Von Hagens selbst hat verfügt, dass er „in Begrüßungspose – rechter Arm zum Handschlag dem betrachtenden Besucher entgegengestreckt – als stehendes Ganzkörperplastinat unter einer Glashaube am Anfang der Dauerausstellung in Guben stehen“möchte. Auf dem Sockel soll unter anderem stehen: Gunther von Hagens, Erfinder der Plastination, „Ich war, was Du bist (lebendig), Du wirst sein, was ich bin (tot), und Du kannst werden was ich bin (ein Plastinat).“
Dass es weitergeht, steht für Sohn Rurik fest: Die Nachfrage ist groß, das Plastinarium Guben baut gerade aus. Dieser Tage haben die Bauarbeiten begonnen. Und Ruriks Tochter hat in ihrem Poesie-Album unter: Was willst du mal machen? notiert: „Etwasmit den Körperwelten.“