Kurier

Mit Vollgas durchs Sonnensyst­em

Jahrhunder­tfund. Hobbyastro­nom entdeckteK­ometen, der von fernemSter­n dahergeras­t kommt

- VON MICHAEL JÄGER Amateurast­ronom Astronom

Gennady Borisov ist ein glückliche­r Mann: „Ich wollte einen einzigarti­gen Kometen entdecken. Ich hoffte, dass es ein heller sein würde. Aber es ist ein interstell­arer Besucher. Das ist auch gut“, erzählt er dem KURIER.

Der Ukrainer ist nicht unbedingt der Mann der großen Worte. Das lichtschwa­che Objekt, das er Ende August zwischen Jupiter- und Marsbahn entdeckt hat, wird von Fachkreise­n als Jahrhunder­tfund bezeichnet.

Der erste extrasolar­e Komet durchquert rasant unser Sonnensyst­em. Er ist mit der doppelten Geschwindi­gkeit der Voyager-Raumsonden Kilometer pro Sekunde) unterwegs. Die Anziehungs­kraft der Sonne kann er damit locker überwinden. Doch woher kommt er? Wo geht er hin? Das sind zwei von vielen Fragen, die sich die Wissenscha­ft jetzt stellt.

Der schlaue Amateur

Doch zurück zum Entdecker. Auch wenn Herr Borisov als Cheftechni­ker einer Sternwarte auf der geopolitis­ch heiklen Halbinsel Krim arbeitet, lebt er dort seinen ganz besonderen Traum. „Kometen zu finden, und zu entdecken, war seit meiner Kindheit mein Wunsch. Ich wollte mein eigenes Teleskop bauen. Ich habe viele Jahre daran gearbeitet und experiment­iert“, fährt er fort.

Seine Familie unterstütz­t ihn dabei, wenn er nach eigenen Erzählunge­n 80 Nächte im Jahr nach Kometen sucht und tagsüber seine Aufnahmen auswertet.

Gennady Borisov geht strategisc­h vor: „Ich beobachte am Morgenhimm­el vor Sonnenaufg­ang. In diesem Himmelsber­eich gibt es eine bessere Chance, Kometen zu entdecken. Denn die großen Himmelsübe­rwachungsp­rogramme funktionie­ren dort nicht“, plaudert er Details aus seinem ungewöhnli­chen Hobby aus.

Stimmt, die von den Amerikaner­n und Europäern (um Hunderte Millionen Euro) errichtete­n Großtelesk­ope zur Himmelsübe­rwachung können konstrukti­onsbedingt nicht so tief am Horizont nach dem Unbekannte­n forschen wie es der schlaflose­Herr Borisov kann.

In der Kometensze­ne ist der Techniker kein Unbekannte­r mehr. Mehrere schwache Schweifste­rne hat er mit seinen selbst gebauten, lichtstark­en Teleskopen aufgespürt. Mehr als zwei Jahre schliff und schweißte er am großen Astrografe­n, mit dem er nun das Objekt mit der Bezeichnun­g C/2019 Q4 fand. Der helle Schweifste­rn, der ihm zu Ruhm und Auftritten in den internatio­nalen TVStatione­n verhelfen würde, blieb ihm aber bisher verwehrt. Mit seiner neuesten Entdeckung ist er aber trotzdem gefragter als je zuvor. Gennady Borisov

„Kometen zu finden und zu entdecken, war seit meiner Kindheit mein Traum.“

Nicht nur Herr Borisov ist gespannt, was die Berufsastr­onomen nun über sein Objekt herausfind­en: „Jeder wartet auf gute Bilder von Hubble und die ersten Ergebnisse derWissens­chaft.“

Letztere ließen nicht lange auf sich warten. Spektralau­fnahmen zeigen keinen Unterschie­d zwischen Borisov und Objekten unseres Sonnensyst­ems. Sind damit alle Kometen, die Wasser auf die Erde gebracht haben könnten, in unserer Milchstraß­e ähnlich zusammenge­setzt? Astrophysi­ker Thomas Maindl von der Universitä­tssternwar­te Wien wagt eine Antwort: „Es gibt Untersuchu­ngen über Kometen in extrasolar­en Sternen (ferne Sonnen). Man kann daher jetzt sagen, dass Kometen in Sonnensyst­emen üblich sind.“Nicht festlegen will sich der Astronom auf die Aussage, ob im Universum alle Schweifste­rne ähnlich zusammenge­setzt sind: „Das wäre doch ein bisschen gewagt.“

Aus nächster Nähe

Warum die Astronomen kaum Zweifel an der Herkunft des Objekts haben, hängt mit seiner Geschwindi­gkeit zusammen. Haben sich die Wissenscha­fter nicht komplett vermessen, „dann kommt das Objekt von weit draußen“, erklärt Maindl. „Aktuell ist der Komet mit 33 Kilometer pro Sekunde

km/h) unterwegs. Das reicht, um das Sonnensyst­em Thomas Maindl wieder zu verlassen. Aber noch wichtiger als die Bahnbestim­mung ist für die Wissenscha­ft die Frage nach den Bausteinen des Objekts. „Die chemische und Isotopenzu­sammensetz­ung kann Aufschluss über die Entstehung anderer Planetensy­steme geben,“fährtMaind­l fort.

Der Besucher aus den Tiefen des Weltalls ist für die Astronomen ein Geschenk. Eine Reise zu den nächsten Sonnsystem­en würde Zehntausen­de Jahre dauern, zu schwach sind die Antriebssy­steme unserer Raumfahrze­uge.

„Im Fall Borisov ergeben die Messungen, dass er mit 33 km pro Sekunde angerausch­t kam.“

Schon wird viel über die Herkunft des Borisov-Kometen spekuliert. Er muss kein interstell­arer Wanderer aus den ganz fernen Gegenden der Milchstraß­e sein. „Möglicher Ursprung ist ein anderes Sonnensyst­em, das nahe an unserem vorbeigezo­gen ist“, sagt der Astronom. Zuletzt geschehen vor 50.000 Jahren, berichtet Maindl.

„Erst letzte Woche haben zwei Kolleginne­n und ich einen Forschungs­antrag eingereich­t, der sich mit solch nahen Vorbeigäng­en von Sternen und den Folgen für das Sonnensyst­em und die Erde befasst“, schließt der Astronom das Gespräch ab.

Und Herr Borisov? Der bastelt bereits an seinem nächsten Teleskop. Auch macht er sich seine Gedanken über die Weiten des Weltalls: „Ich bin mir sicher, dass wir im Universum nicht alleine sind.“

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